Streitfragen

Kommentar zu dem Veranstaltungsprotokoll „Das Kalkül hinter der Katastrophe“

Ein Beitrag von Tamaris Kessler bei hintergrund.de sorgte für Widerspruch vonseiten eines unserer Autoren. Wir bieten deshalb an dieser Stelle die Möglichkeit, seine Sicht auf eine strittige Frage darzustellen. Gleichzeitig bitten wir unsere Leser um ihre Meinung.

Für problematisch an diesem Beitrag halte ich schon einmal das Format. Es handelt sich um das Protokoll einer Veranstaltung. Die Leser oder Nutzer erfahren also nur, was ein Referent, seines Zeichens Naturwissenschaftler, vorgetragen haben soll. Die Protokollantin selbst ist nicht Studentin der Naturwissenschaften, sondern befindet sich in der Ausbildung zur Journalistin.

Ob das Protokoll den naturwissenschaftlichen Inhalt des Vortrags korrekt wiedergibt, ist aber für meine Kritik nicht von Belang, da sich diese nicht auf die naturwissenschaftliche Argumentation des Referenten bezieht, sondern auf seine außerwissenschaftliche Verschwörungserzählung.

Professor Edmund Lengfelder hat seine Verdienste, was die Hilfe für nukleare Strahlenopfer angeht. Nach dem GAU von Tschernobyl hat er sich offenbar als Strahlenbiologe sehr engagiert und sich Verdienste erworben.1 Er ist aber ein Spezialist für Strahlenbiologie und kein Klimaforscher. Seine naturwissenschaftliche Ausbildung befähigt ihn sicher, sich auch mit Publikationen der Klimaforschung auseinanderzusetzen. Aber seine These, der Klimawandel sei nicht auf menschliche Einwirkung zurückzuführen, ist sehr kühn. Er bestreitet damit einen Erklärungszusammenhang, der von der internationalen wissenschaftlichen Community seit Jahrzehnten weitgehend, von Ausnahmen abgesehen, anerkannt wird.

Misstrauen weckt Lengfelders Diskursstrategie, Klimaforscher, die entgegen seiner Auffassung die Theorie vom menschengemachten Klimawandel vertreten, in ein fragwürdiges Licht zu rücken. Er hat sich in dem Vortrag dafür offenbar stellvertretend den Club of Rome und den Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ausgesucht, die er mit aus dem Kontext gerissenen Zitaten bloßzustellen versucht. Wenn Lengfelder in dem Vortrag den Club of Rome als „Think Tank“ bezeichnet haben sollte, so ist das nicht ganz falsch, aber doch eine arg verzerrende Darstellung, weil mit Think Tank eher eine nach außen abgeschottete Institution assoziiert wird. Der Club of Rome ist jedoch eher ein interdisziplinäres Netzwerk von Wissenschaftlern und war von Anfang an sehr offen für wissenschaftliche Auseinandersetzung. Schon 1972 wurde der Bericht des Forscherteams um die Meadows auf zwei internationalen Konferenzen zur Diskussion gestellt. Auf einer Folgeveranstaltung in 2012 waren zahlreiche Naturwissenschaftler (auch aus Asien) mit wissenschaftlichen Beiträgen beteiligt. Warum ist das wichtig? Weil Lengfelder ganz nach dem Muster von Verschwörungstheorien suggeriert, dass ein mehr oder weniger geschlossener Zirkel etwas ausgeheckt hat.

Den IPCC diskreditiert er mit einer fragwürdigen Interpretation des gestellten Auftrags. Der Gründungsauftrag des Weltklimarates (IPCC) sei… zu beweisen, dass die Klimakatastrophe bevorsteht und vom Menschen verursacht ist. […] Wissenschaftler, die mit der These des IPCC nicht einverstanden waren, wurden übergangen“, behauptete Lengfelder laut Protokoll. Aus dem Kontext dessen, was im Internet zu finden ist, ergibt sich, dass das eine verfälschende Interpretation ist. Lengfelder unterstellt unter anderem Panikmache. Der IPCC hat jedoch unter anderem explizit den Auftrag, Strategien zu Minderung der Erderwärmung zu untersuchen, was Alarmismus verhindern soll.

Mit politischen Aussagen überschreitet Lengfelder klar die Grenzen seiner Zuständigkeit als Naturwissenschaftler. Außerdem handelt es sich um nicht überprüfbare Aussagen, mit anderen Worten vage Verdächtigungen. Die Überprüfbarkeit von Aussagen ist das Grundprinzip von Wissenschaft. Dem Protokoll nach meinte er: „Die Theorie des menschengemachten Klimawandels sei ein schlauer Versuch von einflussreichen Kreisen der Weltwirtschaft, den Klimawandel zu kommerzialisieren […] wer Menschen in Panik versetzt, macht sie steuerbar, kann hohe CO2-Abgaben festlegen, Grundrechte entziehen und Macht zentralisieren – mit der Begründung, dass es für diese Katastrophe eine globale Regierung brauche, die die Krise händelt.“ Eine solch globale Regierung befürwortet angeblich der Club of Rome. Die Angst, dunkle Mächte wollten eine „globale Regierung“ inthronisieren, ist typisch für die rechte Szene. Dort wird befürchtet, die Nationalstaaten sollten entmachtet werden, womit die Nationen ihre Identität verlören.

Den vagen Verdacht auf „einflussreiche Kreise“ zu lenken, ohne Ross und Reiter zu nennen, ist eine für Verschwörungstheorien typische Praxis. Wer soll das denn sein? Welche Interessengruppen der „Weltwirtschaft“ sollen ein Motiv dafür haben, der Weltöffentlichkeit zu erklären, dass der Klimawandel ein Effekt der Industrialisierung und des Wirtschaftswachstums sei. Das Gegenteil muss man doch annehmen. Denn ohne oder mit gebremstem Wirtschaftswachstum wird die Kapitalverwertung behindert, wenn nicht verunmöglicht. Bezeichnenderweise wurde 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio ein Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit festgehalten. Die Ölkonzerne haben nachweislich lange Zeit Studien über den Klimawandel der Öffentlichkeit vorenthalten. Das Kapital kann auch nicht daran interessiert sein, „hohe CO2-Abgaben festzulegen“. Welche Macht sollte dann eine solche Belastung wünschen? Manche Empfehlungen oder Forderungen des Club of Rome wie Recyling, verlängerte Nutzungsdauer von Produkten und Investitionsgütern können die Marketing-Abteilungen von Unternehmen nicht begeistern. Dort setzt man eher auf geplante Obsoleszenz oder geplanten Verschleiß.

Kurz und gut, es ist völlig unklar, welche Interessengruppen die wissenschaftliche Theorie fördern sollten, dass der Klimawandel von Menschen gemacht, oder genauer von der industriellen Entwicklung verursacht ist. Unklar ist auch, welche Macht Lengfelder hinter der UNO vermutet, die zusammen mit der Weltorganisation für Meteorologie den IPCC einberufen hat. Es lässt sich kein plausibles machtpolitisches Bündnis zwischen dem IPCC oder auch dem Club of Rome und dem Kapital ausmachen, der Macht, die bislang die Wirtschaft beherrscht. Und welche politische Macht könnte hinter der von Lengfelder befürchteten Verschwörung stecken? Die Überschrift „Das Kalkül hinter der Katastrophe“ verspricht eine Art Enthüllungsstory und unterstreicht damit den verschwörungstheoretischen Inhalt im Artikel.

Quelle:

 

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Artikel von Tamaris Kessler, veröffentlicht am 11.1.2023: Das Kalkül hinter der Katastrophe

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