Weltpolitik

Ausschluss Syriens aus Arabischer Liga gescheitert

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Von SEBASTIAN RANGE, 17. Oktober 2011 –

Nachdem eine Resolution des UN-Sicherheitsrates gegen Syrien am Veto Russlands und Chinas scheiterte, ist nun auch das Vorhaben gescheitert, die Mitgliedschaft Syriens in der Arabischen Liga auszusetzen.

Ein entsprechender Vorschlag aus den Golfstaaten wurde in der Nacht zum Montag bei einer Dringlichkeitssitzung der Außenminister der Liga-Staaten in Kairo nicht angenommen. Stattdessen forderten die Außenminister Syrien lediglich auf, die Gewalt binnen 15 Tagen zu beenden und in dieser Zeit auch am Sitz der Arabischen Liga in Kairo einen Dialog mit der Opposition zu beginnen.

Syrien lehnte jedoch auch dies ab. Die Nachrichtenagentur Sana meldete, Damaskus habe Vorbehalte gegen die Entscheidung der Außenminister und wolle keinen Dialog außerhalb Syriens.

Basma Kadmani, die Sprecherin des oppositionellen Nationalrates, zeigte sich zutiefst enttäuscht von dem Ergebnis der Sitzung. Die Syrer fühlten sich von den Arabern im Stich gelassen, sagte sie im Interview mit dem Nachrichtensender Al-Arabija. Die 15-Tage-Frist sei eine Einladung für weiteres Blutvergießen.

Der Nationalrat war offiziell Anfang September im türkischen Ankara gegründet worden. Dem Beispiel des libyschen Nationalen Übergangsrates (TNC) folgend, bleiben auch die Mitglieder der syrischen Variante „aus Sicherheitsgründen“ geheim. Die Geheimhaltung dürfte vermutlich eher der Tatsache geschuldet sein, dass der Nationalrat in erster Linie aus Mitgliedern besteht, die über enge Kontakte ins „westliche Lager“ verfügen und daher im Verdacht stehen, eine Agenda zu verfolgen, die sich weniger an den Interessen des syrischen Volkes orientiert. Der Nationalrat will laut Eigenverständnis die Revolte in Syrien „steuern“. (1)  Gelänge es ihm, sich an die Spitze der Proteste zu setzen, dann wäre im Erfolgsfall der westliche Einfluss auf eine Nachfolgeregierung gesichert. In den Mainstream-Medien scheint bereits Einigkeit darin zu herrschen, den Nationalrat als legitimen Nachfolger der Regierung Assad zu betrachten. Woher der Nationalrat die Legitimität bezieht, für die Mehrheit der Syrer zu sprechen, wird ebenso wenig kritisch hinterfragt wie die Tatsache, dass viele der syrischen Oppositionellen den selbst ernannten Führungsanspruch des Nationalrates nicht anerkennen und auf einen Dialog mit der Regierung setzen.

Ebenso wie der libysche Nationalrat jeden Dialog mit der Gaddafi-Regierung ablehnte und auch alle Vorschläge für Friedensverhandlungen in den Wind schlug, scheint auch das syrische Pendant an einer Eskalation des Konfliktes interessiert zu sein. Im Fall Libyens hatte die Resolution des UN-Sicherheitsrates sowie die Position der Arabischen Liga zu einer dramatischen Eskalation des Konfliktes beigetragen. Auch im Fall Syriens wäre dies zu erwarten, doch zum Ärger des Nationalrates ist es zu keiner Resolution gekommen, die eine ausländische Einmischung – auch militärischer Art – legitimiert. Führende Vertreter der innersyrischen Opposition begrüßten hingegen das Veto Chinas und Russlands.(2)  Im Unterschied zur Mehrheit der innersyrischen Opposition distanziert sich der Nationalrat auch nicht von der Anwendung von Gewalt. Zwar gebe es „keine einheitliche Forderung nach Gewalt“, doch offenbar tummeln sich in den Reihen des Nationalrates auch Gruppen, die zum bewaffneten Aufstand aufrufen.(3)

Die von Beginn des Konfliktes an zu verzeichnende hohe Anzahl an getöteten Sicherheitskräften lässt darauf schließen, dass die Proteste in Syrien von Anfang an von bewaffneten Gruppen missbraucht wurden, um eine Eskalation zu betrieben und den Staat zu zwingen, zurückzuschlagen. Das lässt sich dann wiederum als Beweis verwenden, dass die Proteste mit Gewalt unterdrückt werden. Auch hier sind die Parallelen zu Libyen unverkennbar. Nur selten wird in Meldungen wie der der AFP vor einer Woche erwähnt, dass es Opfer auf beiden Seiten gibt. In der AFP-Meldung ist die  Rede davon, dass „bei neuer Gewalt nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten mindestens 14 Zivilisten und 17 Soldaten und Sicherheitskräfte getötet“ wurden.(4) Was darauf schließen lässt, dass sich hier nicht einfach nur friedliche Demonstranten und schießwütige Sicherheitskräfte gegenüberstehen, sondern zwei bewaffnete Parteien – und dazwischen friedliche Demonstranten.

Die Parallelen zu Libyen sind auch hinsichtlich der verfälschten Berichterstattung gegeben. Auch in Syrien übernimmt al-Jazeera die Führungsrolle wenn es darum geht, mit Fälschungen und Lügen Stimmung gegen die Regierung zu machen. Da werden aus Demonstrationen für die Assad-Regierung  Protestbekundungen der Opposition, bewaffnete Auseinandersetzungen, die Jahre zuvor im Libanon stattfanden, werden zu Angriffen syrischer Sicherheitskräfte auf Demonstranten umgemogelt.

Erst vor kurzem trat al-Jazeera Direktor Waddah Khanfar aus Gründen der Schadensbegrenzung aufgrund seiner Kontakte zu US-Geheimdiensten und der fabrizierten Nachrichten über Ereignisse in Syrien, Jemen und Libyen, zurück. Auch der Direktor des al-Jazeera-Kanals Mubasher, Aiman Jaballah, musste zurücktreten, weil der Sender zur Eskalation der Lage in Ägypten beitrug.

Bereits im April warf der Direktor der al-Jazeera-Vertretung im libanesischen Beirut, Ghassan Ben Jeddo, das Handtuch. Grund sei laut „verlässlichen Quellen“ gewesen, dass der Sender nicht eine objektive Berichterstattung verfolge, sondern zu einem Werkzeug der „Aufwiegelung und Mobilisierung“ verkommen sei.(5)

Al-Jazeera wird im Nahen Osten aufgrund seiner unterschiedlichen Berichterstattung der arabischen Frühlingsrevolte einer intensiven Prüfung unterzogen. Obwohl der Sender nominell unabhängig ist (…), behaupten viele Menschen, dass die Berichterstattung über die Region nach wie vor die Ansichten der katarischen Eigentümer widerspiegeln würde.

Al-Jazeera spielte frühzeitig eine einflussreiche – manche würden sagen, ermutigende – Rolle in der Berichterstattung der Aufstände in Tunesien und Ägypten. Der Sender war sogar noch aggressiver in seinem Fokus auf das Regime von Muammar al-Gaddafi und den Kämpfen der von ihm als „Freiheitskämpfer“ bezeichneten [Rebellen] in Libyen, wo Katar eine wichtige Rolle in der Unterstützung der Rebellion spielte“, kommentierte die New York Times die zwielichtige Rolle des Senders.(6) Was Libyen angeht, so formulierte das US-Magazin sehr zurückhaltend die Tatsache,  dass al-Jazeera mit gefälschten Berichten den Konflikt erst auf die internationale Tribüne gehoben hatte – wo sie dann von den Medien bereitwillig kolportiert wurden. Auch der Internationale Strafgerichtshof übernahm wohlwollend die al-Jazeera-Propaganda von dem angeblichen Beschuss von Demonstranten durch die Luftwaffe und dem Völkermord in Tripolis. Folgendes Beispiel zeigt, wie der arabische Sender die Situation in Libyen angeheizt hatte:

Al-Jazeera sprach mit einem politischen Aktivisten in Tripolis, der uns sagte, dass es Luftschläge „überall in Tripolis“ gebe. (…) „Die Luftschläge konzentrieren sich auf Gebiete, in denen eine große Anzahl von Menschen zum Protest auf die Straße ging, und es gibt Fahrzeuge voller ausländischer Kämpfer, die auf die Menschen schießen.“ Tripolis ist „von ausländischen Kämpfern belagert“ – Wasser und Elektrizität wurden unterbrochen, Nahrung und Medizin werden knapp. „Es ist ein Völkermord“, sagte er. (7)  

Der Bericht dieses unbekannten Augenzeugen war frei erfunden. In Tripolis gab es bis zum Angriff der NATO keinerlei Bombardierungen aus der Luft. Filmaufnahmen russischer Journalisten belegten, dass die Lage in Tripolis trotz des angeblichen „Völkermords“ ruhig war und die Menschen ihrem Alltag nachgingen. Dies hielt jedoch französische Diplomaten nicht davon ab, noch Anfang Juni davon zu sprechen, dass Gaddafi in Tripolis eine „Politik der verbrannten Erde“ betreibe.(8)

Während der Zeit der „verbannten Erde“ demonstrierten in Libyens Hauptstadt regelmäßig Zehn- bis Hunderttausende Anhänger Gaddafis gegen den NATO-Krieg. Das Beispiel Libyen und die bereits bekannt gewordenen Medienmanipulationen im Fall Syriens zeigen, dass grundsätzlich Skepsis gegenüber den vermeldeten vermeintlichen Gräueltaten der syrischen Regierung angebracht sein sollte.

Der Vorschlag zur Suspendierung der syrischen Mitgliedschaft in der Arabischen Liga scheiterte dem Vernehmen nach an Jemen, Algerien, dem Libanon und dem Sudan.

All diese Länder stehen selbst vor der Herausforderung westlicher Destabilisierungsversuche. Gegen Jemen führt die USA bereits einen Krieg niedriger Intensität. Beinah täglich führt die Großmacht Anschläge mit unbemannten Drohnen durch. Im September 2011 wurde gemeldet, dass die USA ihre Drohnenpräsenz in der Region massiv ausbauen will und hierfür geheime Drohnen-Stützpunkte am Horn von Afrika und der arabischen Halbinsel betreibt. (9)

Auch der Libanon sieht sich seit Jahren Destabilisierungskampagnen ausgesetzt, die das Ziel haben, den Einfluss Syriens und des Irans auf das Zedernland zu begrenzen und dadurch die Position der Hisbollah, die mit in der Regierung sitzt, zu schwächen.

In Algerien hat sich ebenfalls bereits ein Nationaler Übergangsrat gegründet. Anhänger des libyschen NTC hatten als eine Art Schützenhilfe im August die algerische Botschaft in Tripolis verwüstet. Algerien fürchtet, dass sich der Krieg der NATO gegen Libyen auch auf das eigene Territorium ausdehnen könnte. Zudem hat sich die NATO in Libyen mit jenen Kräften verbündet, die in Algerien unter dem Stichwort „al-Qaeda“ bekannt sind und mit denen sich der Staat seit Jahren ein blutiges Gefecht liefert.

Wenn der syrische Nationalrat bekundet, dass die Demonstranten „den Schutz der internationalen Gemeinschaft benötigen“ (10), dann ist dies vor dem Hintergrund der Erfahrungen Libyens, wo der „Schutz“ durch die internationale Gemeinschaft über 50.000 Einwohnern das Leben kostete und die „Schweiz Afrikas“ innerhalb weniger Monate zu einem neuen Somalia gebombt wurde, als Kriegserklärung gegen das syrische Volk zu werten. Angesichts der Hunderttausenden, die am vergangenen Mittwoch erneut in Massendemonstrationen ihren Rückhalt für die Regierung Assad bekundet haben (11) – über die die deutschen Meiden weitestgehend schwiegen – und der ablehnenden Haltung der innersyrischen Opposition gegenüber einer ausländischen Einmischung, ist dem Nationalrat wohl bewusst, dass seine verlässlichsten Bündnispartner nicht im syrischen Volk zu finden sind, sondern in den Regierungen jener Länder, die mit militärischen Mitteln einen Regimewechsel in Libyen herbeigeführt haben und dasselbe nun auch in Syrien vollziehen möchten. Die „eingebetteten Medien“ jener Länder tun dazu das Ihre.

Da der Krieg gegen Libyen aber die vom Westen viel beschworene Demokratie und Einhaltung der Menschenrechte vollends als inhaltsleere Rhetorik entlarvt hat, hinter der sich die Machtambitionen der NATO-Bombenleger verschanzen, dürfte es im Fall Syriens ungleich schwerer sein, einen Regimewechsel in die Wege zu leiten, der durch internationale Gremien wie den Vereinten Nationen Legitimität erfährt.  

Anmerkungen

(1) http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/10/02/International/Unruhen-in-der-islamischen-Welt/Syrische-Opposition-bildet-Nationalrat-gegen-Assad

(2) http://de.rian.ru/politics/20111005/260839676.html

(3) http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2011/10/211248/

(4) http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5gYcD10H8OrCm7-dXM_Qmoocx9xZw?docId=CNG.442756fee1474ae15c3f0f70d454e36f.261

(5) http://www.allvoices.com/contributed-news/8881031-director-of-aljazeeras-beirut-office-resigns-over-incitement

(6) http://www.nytimes.com/2011/09/21/world/middleeast/after-disclosures-by-wikileaks-al-jazeera-replaces-its-top-news-director.html

(7) http://blogs.aljazeera.net/middle-east/2011/02/17/live-blog-libya

(8) http://www.krone.at/Nachrichten/NATO_verlaengert_Militaereinsatz_in_Libyen_um_90_Tage-Angriffe_fortgesetzt-Story-265963

(9) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,787564,00.html

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(10) http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/10/02/International/Unruhen-in-der-islamischen-Welt/Syrische-Opposition-bildet-Nationalrat-gegen-Assad

(11) http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-15271764

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