Literatur

Der Deutsche Jugendliteraturpreis in der Kritik

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Zur Internationalität eines deutschen Staatspreises –

Von WOLFGANG BITTNER, 22. Mai 2013 –

Alle Jahre wieder spielt sich bei einer Großkundgebung auf der Frankfurter Buchmesse das Gleiche ab: Der Deutsche Jugendliteraturpreis wird im Rahmen eines großartigen „Events“ im vollbesetzten Kongresssaal vergeben. Aber auf der Bühne stehen kaum mal deutsche Autorinnen und Autoren; wer von ihnen eingeladen wurde, sitzt zumeist in den hinteren Reihen. Obwohl es sich um einen Staatspreis handelt, der aus Mitteln des Familienministeriums finanziert wird, präsentieren sich neben den Veranstaltern und Gästen aus Politik und Medien überwiegend ausländische Autoren, deren Übersetzer sowie Lektoren und Verleger. In einigen Jahren stand kaum ein deutsches Buch auf der Auswahlliste, die – einschließlich des Preises einer Jugendjury – jährlich insgesamt dreißig Titel umfasst (dazu: „Ein Staatspreis für Lizenzen aus dem Ausland?“ –(1)).

Diese Praxis der Preisvergabe wurde in der Vergangenheit mehrfach kritisiert. Doch geändert hat sich nichts. Stattdessen wurden und werden die Kritiker beschimpft und diskriminiert. Nun gibt es seit Anfang 2013 eine Initiative, die sich für eine Besinnung auf die in Deutschland, Österreich und der Schweiz geschriebene Kinder- und Jugendliteratur einsetzt. Mehr als 500 deutschsprachige Autorinnen und Autoren haben den Aufruf unterschrieben. Sie plädieren für eine angemessene Wahrnehmung und Wertschätzung der im eigenen Land entstehenden Literatur für Kinder und Jugendliche, wie es in anderen Ländern selbstverständlich ist.

Hinsichtlich des Preises wird eine Änderung der Statuten dahingehend gefordert, dass künftig für die Bewertung durch Kritiker- und Jugendjury nur noch deutschsprachige Originalwerke in den Sparten Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch zugelassen werden, die in ihrer Erstausgabe in einem in Deutschland ansässigen Verlag herausgebracht wurden, sowie Werke deutscher UrheberInnen aus anderen deutschsprachigen Ländern. Übersetzungen, die bisher überwiegend ausgezeichnet wurden, sollen separat in einer fünften eigenen Sparte prämiert werden.

Deutsche Kinder- und Jugendliteratur chancenlos?

Dieselbe Forderung wurde bereits 1998 anlässlich einer von mir in Zusammenarbeit mit dem Verband deutscher Schriftsteller und dem Arbeitskreis für Kinder- und Jugendliteratur durchgeführten Tagung unter dem bezeichnenden Titel „Deutsche Kinder- und Jugendliteratur chancenlos im German Open?“ gestellt. Kritisiert habe ich seinerzeit, dass jahrzehntelang von den für die vier Hauptsparten nominierten Titeln lediglich mal zwei oder drei aus Deutschland stammten; mehrmals kam es vor, dass kein einziger deutschsprachiger Titel prämiert wurde.

Stattdessen wurden immer wieder auch erfolgreiche ältere Bücher aus anderen Ländern prämiert, die im Jahr zuvor in deutscher Übersetzung erschienen waren. Zum Beispiel erhielt 2008 die US-Amerikanerin Paula Fox den Preis für ein im Vorjahr in Übersetzung erschienenes Buch, dessen Erstveröffentlichung 39 Jahre zurücklag. In den Jahren 2005 bis 2009 erhielt in den Sparten Kinderbuch und Jugendbuch bei 59 Nominierungen nur ein einziger deutschsprachiger Autor den Preis, nominiert wurden lediglich acht Originalausgaben.

Zu dieser skandalösen Selbstdemontage schrieb die Skandinavistin Astrid van Nahl im März 2013 in einem offenen Brief an das Ministerium für Familie Senioren, Frauen und Jugend: „Wir leben in einem Land, das seit einigen Jahren eine überreiche Kinder- und Jugendliteratur hervorbringt, die sich in keiner Weise verstecken muss und um die wir im Ausland oft genug beneidet werden. Aber manchmal, da gibt es offenbar Situationen (Ausnahme: Sport), da haben wir Deutschen immer noch nicht gelernt, auf eigene Leistungen stolz zu sein und diese ganz objektiv nach außen zu vermitteln und es ist keineswegs nationalistisch, das zu tun.“

Die Lobby wehrt sich

Wie zu erwarten war, ist auch diesmal der Aufschrei der „Sekundären“ nicht ausgeblieben. Eine Vertreterin des Übersetzerverbandes (VdÜ), wandte sich vehement gegen eine Änderung der Statuten, weil die bisherige Praxis beweise, „dass es ein weltoffenes Deutschland“ gebe; sie ist außerdem der kühnen Auffassung: „Übersetzung und Original sind nicht zwei unterschiedliche literarische Formen, sondern ein und dasselbe.“

Mehrere Journalisten und Juroren sprachen von einem Rückfall in Provinzialismus, einer Schädigung der hohen Reputation der deutschen Kinder- und Jugendbuchbranche im Ausland, einer Leugnung der Kulturvielfalt oder dem Versuch, den Horizont der jugendlichen Leser einzuengen. Jugendliche aus dem Kreis der Jugendjurys reagierten empört und fühlten sich „in ihrer Zielgruppe als Leser“ angegriffen. „Wir brauchen kein Reservat für deutschsprachige Autoren“, hieß es, jeder habe „seine faire Chance“.

Der Arbeitskreis für Kinder- und Jugendliteratur, der jährlich mit etwa einer halben Million Euro aus Steuermitteln gesponsert wird (50.000 Euro gehen an die Preisträger), ließ verlauten: „Schon früh sollten Kinder und Jugendliche über Bücher und Geschichten von fremden Ländern und Kulturen erfahren“; dabei leisteten Übersetzungen „einen wichtigen Beitrag zu der Literatur, die in deutscher Sprache zugänglich ist und bereichern diese“. Eine Buchhändlerin erklärte: „Ein Preis, der ausschließlich deutsche Originalwerke berücksichtigt, wäre ein Nischenpreis und in keiner Weise mehr für den international ausgerichteten deutschen Buchhandel interessant. Somit würde ein solcher Preis seine marktrelevante Wirkung verlieren.“

Übersehen wird dabei, dass auf dem deutschen Buchmarkt ohnehin die aus anderen Ländern übernommenen Bücher dominieren, für die oft zusätzlich noch ein hoher Werbeetat zur Verfügung steht. Ein weiterer wichtiger Aspekt kommt hinzu, den der Verleger Otfried Wolfrum in einer Dokumentation „Über die unausgeschöpfte Effektivität des Deutschen Jugendliteraturpreises“ angesprochen hat. In der Tendenz, so schreibt Wolfrum, wüssten die Verlage natürlich, dass Übersetzungen weitaus leichter eine Nominierung erzielen, als Originaltitel, und sie handelten dementsprechend, indem sie aus ihrem Programm vorzugsweise Übersetzungen einreichten. Das verschiebe das Bild noch weiter zu Lasten der Originalliteratur. Der Verleger beweist seine Thesen anhand von Statistiken (2).

Ignoranz, Boshaftigkeiten und Inkompetenz

Die Argumente der Initiative werden überwiegend ignoriert. Eine Germanistin gab sogar ihr „Entsetzen“ zum Ausdruck und sprach von Deutschtümelei der Initiatoren und der Unterzeichner. Einigen wurde, wie schon in den 1990er Jahren einer Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchautoren und –autorinnen, die sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und gegen eine zunehmende Reglementierung durch die Verlage wandten, der bösartige Vorwurf gemacht, sie seien zweit- oder drittklassig und trügen dazu bei, den Markt mit schlechter Literatur zu überfluten. Auch von Nationalismus war die Rede. Häme, Boshaftigkeiten, Diskriminierung, Boykott. Selbstbewusste Autorinnen und Autoren werden in dieser Szene, in der auch schon mal ein anti-emanzipatorisches „Biss-Buch“ (es geht um Vampire und Werwölfe) der amerikanischen Mormonin Stephenie Meyer propagiert wird, nur geduldet, wenn sie das Glück gehabt haben, einen Bestseller zu platzieren.

Die Befürworter der Internationalität des Deutschen Jugendliteraturpreises schreiben selbst keine Bücher. Vielmehr beschäftigen sie sich auf die eine oder andere Weise mit Büchern und dem Literaturbetrieb oder sie profitieren davon. Es sind die sogenannten Sekundären wie Vermarkter, Organisatoren, Journalisten, Literaturwissenschaftler, Juroren und so weiter, auch Leser. Viele von ihnen haben nicht begriffen, dass es Schriftsteller gibt, die – unter anderem um Niveau und Ästhetik bemüht – vom Schreiben der Kinder- und Jugendbücher leben, und die damit die deutsche Kultur mitgestalten und prägen.

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Während die Vermarkter, Verwalter und sonstigen Nutznießer der Kinder- und Jugendliteratur über eine gut organisierte Lobby verfügen, stehen die Kreativen allein. Jetzt haben sie sich zu einer Initiative zusammengeschlossen, aber die Widerstände gegen eine Reform der Statuten des Preises sind auch diesmal wieder heftig und von sachfremden Interessen geleitet, so dass es schwierig sein wird, eine Änderung durchzusetzen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das den Preis finanziert, dazu verhält.


1)    http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17423
2)    http://www.laetitia-verlag.de/210/Dokumentation_zum_DJLP.html

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