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Global Player DHL

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US-Investoren fordern: Löhne senken in Europa! – Die Bundesregierung will Deutschland und die EU „wettbewerbsfähiger“ machen.

Von WERNER RÜGEMER, 24. April 2015 –

Bis zu 20 000 Beschäftigte will die Deutsche Post jetzt in die niedrigeren Tarife der Logistikbranche abschieben. Im Jahr 2015 hat der Vorstand dafür 49 Tochterfirmen unter dem Dach der Delivery GmbH gegründet. In diversen Hotels werden den meist befristet Beschäftigten die neuen Arbeitsverträge vorgelegt: Unterschreib oder dein bisheriges Arbeitsverhältnis läuft aus! Die Unterzeichnenden durften die Verträge nicht nach Hause mitnehmen, wurde berichtet.(1) Das ist rechtswidrig. Die Fremdvergabe innerhalb des Konzerns verletzt auch eine Vereinbarung mit der Gewerkschaft ver.di, so Andrea Koscis, die für die Gewerkschaft im Aufsichtsrat sitzt.(2) Schon bisher hat die Post 10 800 Subunternehmen beauftragt, die mit ihren prekären Billigarbeitsplätzen den Konzerngewinn steigern – und dort fühlt sich der Postkonzern nicht für die Einhaltung zumindest des Mindestlohngesetzes verantwortlich. Die Bundesregierung billigt das.

Die Privatisierung der Bundespost

Die Bundespost, die nie Verluste machte, sondern zu den verlässlichen Einnahmequellen der Bundesrepublik zählte, sollte trotzdem privatisiert werden. Die Deutsche Post DHL AG gehörte nach ihrer Privatisierung im Jahr 1995 unter CDU-CSU-FDP-Regierung und Bundeskanzler Helmut Kohl noch ganz dem Staat.(3) Unter SPD, Grünen und Bundeskanzler Gerhard Schröder begann die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Jahre 2000 mit dem Verkauf der Aktien. Beim ersten Börsengang gingen 29 Prozent der Aktien vor allem an angelsächsische Investoren.

Das gehörte zur Programmatik der „rot-grünen“ Bundesregierung. Das Stichwort war „Entflechtung der Deutschland AG“: Die jahrzehntelange enge Verbindung zwischen den drei deutschen Großbanken Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank und dem Versicherungskonzern Allianz mit den großen deutschen Unternehmen sollte aufgelöst werden. Die Banken waren sowohl Hauptkreditgeber von Siemens, Holzmann, Bayer, RWE, Thyssen usw. als auch gleichzeitig deren Großaktionäre. Deutsche Bank und Allianz hielten gegenseitige Aktienpakete.

Für die Investoren aus den USA und England galt Deutschland deshalb als „kranker Mann Europas“. Sie forderten Deregulierung, um wieder Wachstum zu ermöglichen – wie gesagt: Die Bundespost war kerngesund. Schröder als Transatlantiker übernahm die interessengeleiteten Horrormärchen: Der Standort Deutschland muss wettbewerbsfähig werden! Dazu gehörten nicht nur die Senkung der Löhne und der Abbau des Sozialstaates, sondern auch die Öffnung für neue Investoren. Für die deutschen Banken und die Allianz wurden Anreize geschaffen, ihre Aktien deutscher Unternehmen zu verkaufen: Die Schröder-Regierung stellte die Verkaufserlöse steuerfrei.

Schrittweise kauften sich seitdem und kaufen sich noch heute vor allem angloamerikanische Investoren als Eigentümer in wichtige Unternehmen am Standort Deutschland ein. Das betrifft nicht nur die börsennotierten Unternehmen, darunter alle dreißig DAX-Konzerne, sondern auch den lukrativen Mittelstand.(4)

Wem gehört die Deutsche Post?

Beim Postkonzern ist der Staat mit 21 Prozent noch größter Einzelaktionär. Das Unternehmen mit dem Namen Deutsche Post ist aber weder deutsch noch ein Postunternehmen – es ist nach eigenem Anspruch der größte Logistikdienstleister der Welt, zu Luft, zu Wasser und am Boden, auf allen Kontinenten. Und es gehört mehrheitlich Eigentümern außerhalb des Territoriums Deutschland.

Inzwischen ist der größte Kapitalmanagementkonzern der Welt, der ehemalige US-Hedgefonds Blackrock, nach dem deutschen Staat der zweitgrößte Post-Eigentümer. Privat- und Kleinanleger halten 11,2 Prozent. Die Mehrheit von 67 Prozent gehört Investoren aus den USA und Großbritannien – wobei London oft nur der juristische Standort für US-Investoren ist. Hinter Blackrock rangiert die US-amerikanische Investmentgesellschaft Capital Group, dann folgen unter anderem die Norwegische Nationalbank, Lyxor International, Vanguard Group, Henderson Global Investors, Artisan Partners.

Nun meinen manche Leute, auch solche marxistischen Anspruchs und viele Gewerkschafter, die Anteile dieser Investoren seien doch so gering und flüchtig, dass sie auf das „operative Geschäft“ – also zum Beispiel auf die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse – gar keinen Einfluss nähmen, auch gar nicht nehmen wollten. Das könnte dem ersten Anschein nach so sein. Blackrock hält 5,48 Prozent, Capital Group 3 Prozent, die Norwegische Nationalbank 1,85 Prozent, Lyxor 1,35 Prozent und so weiter. Außerdem ändern sich diese Anteile teilweise sehr schnell. Zum Beispiel war Blackrock im Jahre 2012 mit 3,18 Prozent am Postkonzern beteiligt, Ende 2014 mit 5,99 Prozent, Anfang 2015 mit 5,48 Prozent.

Die Sache wird noch einmal dadurch verkompliziert, dass diese Investoren ihre Anteile weiter aufspalten. So verteilen sich die 5,48 Prozent von Blackrock auf acht Blackrock-Fonds, die zudem ihren rechtlichen Standort in einer Finanzoase haben: Blackrock Holdco2, Blackrock Financial Management, BlackrockAdvisors Holding, Blackrock International Holdings, Blackrock Jersey International Holdings, Blackrock Group Limited, Blackrock Investment Management (UK) und Blackrock Management Deutschland AG (Stand Ende 2014).

Wie üben Blackrock und Konsorten ihren Einfluss aus?

Natürlich haben solche Investoren nicht die Zeit, in jeden Zukauf eines anderen Postunternehmens in einem anderen Staat oder in die Gründung einer Post-Tochtergesellschaft, wie jetzt bei den 49 Delivery-Subunternehmen in Deutschland, einzugreifen. Aber die Investoren bestimmen erstens die allgemeine Richtung. So setzte der Blackrock-Chef Larry Fink die Wahl von Anshu Jain gegen Josef Ackermann zum neuen Chef der Deutschen Bank durch, obwohl Blackrock hier auch nur gut 5 Prozent der Aktien besitzt.

Der US-Hedgefonds BlackRock mit Firmensitz in New York (oben) und sein Chef Laurence Douglas „Larry“ Fink: Er gilt als mächtigster Mann der Wall Street, der mit BlackRock das größte Finanzimperium der Welt geschaffen haben soll.

Zweitens treiben diese Investoren die weitere Finanzialisierung der Unternehmen voran. Das heißt: Diese Investoren, die Kapital von Konzernen, reichen Unternehmerclans, Zentralbanken und von Staats- und Konzern-Pensionsfonds mehren, sind an möglichst hohen Dividendenausschüttungen interessiert. Zudem müssen die Vorstände von Unternehmen wie der Deutschen Post so agieren, dass die Aktien für Spekulationen der verschiedensten Art geeignet sind, sowohl für das Ansteigen wie auch das Absteigen des Kurswertes. Lohnsenkungen dienen dem Ansteigen des Kurswertes – vorher kann Blackrock als Insider Aktien kaufen, um sie später mit gesteigertem Wert wieder zu verkaufen. Drittens ist Blackrock nicht nur Miteigentümer, sondern auch Anbieter verschiedenster Beratungsdienste. Viertens sind diese Investoren untereinander vernetzt. So ist auch der Fonds Deutsche Asset &Wealth Management Miteigentümer des Postkonzerns; der Fonds gehört der Deutschen Bank, in der wiederum Blackrock der größte Eigentümer ist. Und der Post-Miteigentümer Norwegische Nationalbank ist Miteigentümer von Blackrock.

Fünftens ist Blackrock wichtiger Berater der US-Regierung, der Europäischen Zentralbank (EZB) und – zusammen mit seinen Eigentümerschaften an Tausenden von Unternehmen auf allen Kontinenten – auch auf der politischen Ebene einer der wichtigsten Insider und Mitgestalter der globalen Finanz- und Wirtschaftsverhältnisse. Durch diese Vernetzung – zugestanden: sie ist verwirrend – können die Investoren einen viel größeren Einfluss ausüben als auf den ersten Blick ersichtlich.

Der Blackrock-Filz im Aufsichtsrat

Der deutsche Staat, vertreten durch das Bundesfinanzministerium, ist zwar mit seinen 21 Prozent immer noch der Hauptaktionär des Postkonzerns. Er verzichtet aber auf ihm zustehende Posten im Aufsichtsrat und stellt dort mit zwei Vertretern nur eine kleine Mitläufer-Minderheit: Der verbeamtete Staatssekretär Werner Gatzer (SPD) vom Finanzministerium sitzt hier seine Zeit ab, wenn er nicht ebenso ahnungslos als Regierungsvertreter im Aufsichtsrat des Flughafens Berlin-Brandenburg GmbH (BER) seine Zeit zum Schaden der Steuerzahler totschlägt.(5) Der zweite Staatsvertreter ist Ulrich Schröder, Chef der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die die staatlichen Post-Aktien verwaltet.

Die weiteren Mitglieder des Aufsichtsrates sind ebenso wenig den Post-Beschäftigten und den Bürger-Endkunden verbunden. Henning Kagermann ist Vorstandsmitglied von SAP, Simone Menne ist Vorstandsmitglied der Deutschen Lufthansa, Stefan Schulte ist Vorstandsvorsitzender des Flughafenunternehmens Fraport: An diesen drei Unternehmen ist Blackrock ebenfalls Miteigentümer.

Aufsichtsratsmitglied Elmar Toime betreibt die Finanzberatungsfirma E Toime Consulting mit Sitz in London; er selbst ist an der Postea Group in den USA, an Blackbay in Großbritannien und an den Postal Services des Scheichtums Katar beteiligt. Postea und Blackbay sind darauf spezialisiert, Post- und Logistikdienste zu optimieren und kostengünstige Subunternehmen zu gründen, Niedriglöhnerei eingeschlossen. Davon kann auch der Postkonzern profitieren. Zu den weiteren Mitgliedern des Aufsichtsrates zählt Thomas Kunz, Vorstandsmitglied des Nahrungsmittelkonzerns Danone, Roland Oetker mit seiner Investmentfirma ROI und Katja Windt, Professorin für Global Production Logistics an der privaten Jacobs University in Bremen.

Und noch einer darf nicht vergessen werden: Vorsitzender des DHL-Aufsichtsrates ist Klaus Zumwinkels McKinsey-Kumpel Wulf von Schimmelmann. Wenn der nicht gerade seinem Segel-Hobby an seinem Wohnsitz auf den Bahamas nachgeht,(6) sitzt er vielleicht auch gerade im Verwaltungsrat der irischen Accenture, einem der weltweit größten Beratungs-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleister, im Aufsichtsrat der Tchibo-Holding, der Allianz Deutschland AG oder im Verwaltungsrat des Medienkonzerns Thomson Reuters. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind an strategischen Entscheidungen nicht beteiligt. Sie sind seit Beginn der Privatisierung in der Defensive und versuchen die brutale Umstrukturierung der Arbeitsverhältnisse möglichst abzubremsen, wenigstens in Deutschland.

EU-Arbeitskosten müssen sinken!

Schon SPD-Kanzler Schröder hatte die Agenda 2010, die durch Niedriglöhne und Deregulierung Deutschland „wettbewerbsfähiger“ machen sollte, mit der Wall Street abgestimmt. Seit der „Finanz“-Krise betet Finanzminister Wolfgang Schäuble wieder im Takt derselben Gebetsmühle: „Die EU muss wettbewerbsfähiger werden“, „Deutschland muss wettbewerbsfähiger werden“, „Griechenland muss wettbewerbsfähiger werden“. Schäuble, der Fetischist der „Schwarzen Staats-Null“, wurde gegenüber den „Märkten“ in New York deutlicher: Er will weitere Staatsaktien verkaufen, nicht nur der Post, sondern auch des Telekom- und des Bahnkonzerns.(7)

Der Zeitpunkt dafür ist noch nicht festgelegt. Denn die Braut muss noch schön hergerichtet werden. Daher gehört die Abschiebung der 20 000 Beschäftigten in den Niedriglohnbereich am Standort Deutschland zur „Strategie 2020“. Post-Vorstandschef Frank Appel forciert damit vor allem die Expansion des Unternehmens in den großen Niedriglohngebieten der Erde wie Indien, Lateinamerika und Türkei, die Gewinne sollen um jährlich 8 Prozent auf dann fünf Milliarden steigen.(8)

Schäuble und Appel sind das offizielle Gesicht der öffentlich weithin unbekannten Investoren. Deren mächtigere Hintermänner äußern sich (manchmal) weitaus konkreter: „Arbeitskraft ist in der EU im Schnitt etwa zweimal so teuer wie in den Vereinigten Staaten“, stellt Ray Dalio fest. Der Milliardär und Chef des weltgrößten Hedgefonds Bridgewater „sorgt sich um die Zukunft Europas“. Er möchte für seine Kunden – Konzerne, Banken, Zentralbanken, Vermögens- und Pensionsfonds – mehr in der EU investieren. „Deshalb muss Europa dringend wettbewerbsfähiger und weniger bürokratisch werden.“ Dafür sieht Dalio schon bessere Chancen in den Krisenstaaten Italien, Spanien und Frankreich. Dort seien „die politischen Führer schon mutiger und aufgeschlossener“ für Reformen(9) – für IWF-Chefin Christine Lagarde, Wolfgang Schäuble und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine klare Marschrichtung.

In der Öffentlichkeit wird das Theater „Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP“ und zum Dienstleistungsabkommen TiSA (Trade in Services Agreement) aufgeführt. Arbeitsrechte und Arbeitsbedingungen sind ausgeklammert – während anderswo die Entscheidungen fallen. Mit TTIP würden allerdings die niedrigeren Arbeitsrechtsstandards und Gewerkschaftsrechte in den USA noch stärker auf Europa durchschlagen. Schon jetzt profitieren der Postkonzern sowie etwa die Autokonzerne VW, Daimler und BMW in ihren US-Niederlassungen davon.

Zumwinkels unfreies Forschungsinstitut

Als die Bundesregierung im Jahr 1995 die Deutsche Post in eine Aktiengesellschaft umwandelte, berief sie Klaus Zumwinkel zum Vorstandsvorsitzenden. Er gehörte zuvor zur Unternehmensberatung McKinsey, zuletzt als Miteigentümer und Mitglied der Weltgeschäftsführung. Er wurde unter Bundeskanzler Kohl zum Top-Privatisierer der großen Bundesunternehmen, deshalb agierte er auch in den Aufsichtsräten von Lufthansa, Deutscher Telekom und Deutscher Postbank.

Im Jahr 1998 gründete Zumwinkel das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und berief Klaus Zimmermann zu dessen Direktor. Das IZA tritt seitdem für die typischen Unternehmerforderungen ein, wie Ausweitung des Niedriglohnsektors, größere „Flexibilität“ der Beschäftigten, Anhebung des Renten-Eintrittsalters und workfare (Zwangsarbeit für Arbeitslose).

Zumwinkel wurde wegen jahrelanger persönlicher Steuerhinterziehung zu zwei Jahren Gefängnis mit Bewährung verurteilt. Die im Verhältnis zur Schwere seiner kriminellen Handlungen nur geringe Strafe beruhte auf einer Gefälligkeit der Justiz. Ein Bedauern oder Schuldbekenntnis war von ihm nicht zu vernehmen.

Man darf die Arbeitshypothese aufstellen, dass er das, was er für sich selbst mit professioneller Umsicht organisierte (Stiftung in Liechtenstein, Kontoauszüge nur an seinen italienischen Wohnsitz auf Burg Tenno am Gardasee), zur Gewinnsteigerung auch für den Konzern einsetzte. Solche „Steuergestaltungen“ gehören zu den honorierten Aufträgen der großen Wirtschaftsprüfer-Gesellschaften. Natürlich hat der Postkonzern den größten kriminellen Wirtschaftsprüfer unter Vertrag, PricewaterhouseCoopers (PWC). Aus der Finanzoase Luxemburg hilft der mit 2 000 Beratern, US- und europäischen Konzernen Steuern zu hinterziehen.(10)

Zumwinkel musste wegen seiner persönlichen Steuerhinterziehung von seinen Funktionen in den genannten Unternehmen, aus dem Verwaltungsrat von Morgan Stanley und aus den Präsidien der BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) und des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) ausscheiden. Aber er blieb Präsident sowohl des IZA als auch der Deutschen Post-Stiftung, die das IZA finanziert. Das ist auch heute noch so. Das Hamburger Landgericht urteilte, über das IZA dürfe gesagt werden, es bezeichne sich „faktenwidrig“ als unabhängig, und von freier Wissenschaft könne „beim besten Willen nicht gesprochen werden“.(11)

Trotzdem oder eben gerade deshalb unterstützt und überwacht das IZA weiter die Hartz-Gesetze, liefert seit Kanzler Schröder Gutachten für die deutschen Bundesregierungen, für die Europäische Kommission und für die Weltbank. Das IZA bewegt sich mit seinem Direktor Zimmermann im Milieu der Arbeitgeberverbände und wird zusätzlich von Unternehmensstiftungen wie Bertelsmann, Thyssen und VW finanziert. Post-Großaktionär Blackrock mischt auch hier mit: Sein Mitarbeiter Patrick Liedtke ist Mitglied des IZA-Gremiums „Policy Fellows“.(12)

IZA tritt dafür ein, dass nach der vorbildlichen Agenda 2010 in Deutschland für die ganze EU die Agenda 2020 folgt. Das Institut führt zwar keine Aufträge des Postkonzerns aus, die Parallelen zu den Arbeitsverhältnissen im Konzern sind aber nicht zu verkennen.

Bundesregierung deckt weltweite Arbeitsrechtsverletzungen

Mit der Privatisierung und schon vor dem Börsengang begann die asoziale Aufspaltung der Belegschaft. Ex-McKinsey-Manager Zumwinkel beauftragte dafür seine früheren Kollegen als Berater. Die Gehälter und Boni der Manager stiegen, besonders hoch stiegen sie bei den Mitgliedern des Vorstandes, während die Einkommen der unteren Beschäftigtengruppen ständig weiter abgesenkt werden: Leiharbeit, Teilzeitarbeit, befristete Arbeit, Minijobs, ständige Herabstufung der Einstiegsgehälter, Ausweitung von nicht bezahlten Überstunden, Kettenverträge, Ausgliederung in Tochtergesellschaften und in Subunternehmen.

Etwa 9 000 Beschäftigte sind „Abrufkräfte“: Sie müssen wie Tagelöhner arbeiten. Für sie gilt weder ein Urlaubsanspruch noch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Ausweitung solcher prekären Arbeitsplätze widerspricht zwar einer Betriebsvereinbarung mit der Gewerkschaft ver.di, aber das ist für den Konzernvorstand kein Hindernis. Auch Rechtsbrüche gehören zur Postpraxis, etwa wenn Überstunden gegen Krankheitstage verrechnet werden. Nirgendwo sonst ist der Krankenstand mit 9 Prozent so hoch wie bei Briefzustellern.(13)

Im Jahr 2014 betrug die Zahl der vom Konzern beauftragten Subunternehmer allein in Deutschland 10 800: Sie übernehmen diverse Aufgaben, zum Beispiel leeren sie Briefkästen oder transportieren Ladungen zwischen Briefzentren.(14) Natürlich kann der Konzern dabei nicht darauf achten, dass die Subunternehmer oder die Subunternehmer der Subunternehmer den Mindestlohn zahlen, denn die gegeneinander erpressten Subunternehmer sind ja rechtlich-marktwirtschaftlich „selbständige Unternehmen“, in die von oben nicht reinregiert werden darf.(15)

So wird ganz nebenbei – absichtlich und schrittweise – die Möglichkeit der Beschäftigten untergraben, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Massiver noch geht der Konzern mit denen um, die noch schwächer und ärmer sind. In Delhi und Kalkutta wurden Gewerkschaftsmitglieder diskriminiert, nur weil sie sich für Rechte eingesetzt hatten, die in Indien gesetzlich verbrieft sind. Ein Gewerkschaftsaktivist wurde an einen Arbeitsplatz 150 Kilometer entfernt von seiner Familie versetzt, „aus operativen Gründen“. Zur Rechtfertigung hieß es: „Alle Mitarbeiter haben Versetzungs- und Transferklauseln im Arbeitsvertrag.“ Kuriere verdienen dort 150 Euro im Monat.(16)

Sobald jemand die Arbeitsverhältnisse in ausländischen Niederlassungen des Postkonzerns genauer unter die Lupe nimmt, werden Verletzungen der ILO-Arbeitsrechtsstandards (ILO = International Labour Organization), des UN Global Compact (weltweiter Pakt zwischen Unternehmen und UNO zur sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung), der OECD-Leitsätze (Verhaltenskodex für weltweit verantwortliches Handeln von Unternehmen) und nationaler Gesetze bekannt. In Kolumbien unterhält DHL 26 Filialen, zwei Drittel der Beschäftigten sind Leiharbeiter. Sechzig-Stunden-Wochen ohne Bezahlung der Überstunden sind nicht selten. Bei den Mitarbeitern wurden Lügendetektoren durch Ex-Militärs eingesetzt. Die Post DHL verhält sich auch in der Türkei „hochgradig gewerkschaftsfeindlich“.(17)

Auf die Anfrage der Linkspartei zu den Arbeitsverhältnissen bei der Post antwortete die Regierung: Aus der Stellung als Hauptaktionär „ergeben sich keine Rechte und Pflichten zur Erforschung der erfragten Sachverhalte“.(18)

# Dieser Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe 2/2015 von Hintergrund. Die Texte in der Print-Ausgabe erscheinen zum überwiegenden Teil nicht online. Deshalb: Ein Abo machen lohnt sich.


 

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Anmerkungen

(1) Post soll dubiose Verträge angeboten haben, Die Welt 2.2.2015
(2) Der gelbe Riese auf Tarifflucht, verdi publik 1/2015
(3) DHL ist das US-Logistikunternehmen, das vom Postkonzern aufgekauft wurde und seit 2009 Namensbestandteil ist.
(4) Werner Rügemer: Deutsches Kapital? Gibt es das (noch)?, Zeitschrift Z 95/2013
(5)Daniel Delhaes u.a.: Rat der Ahnungslosen, Handelsblatt 10.1.2013
(6) Mehr Zeit für die Bahamas, Süddeutsche Zeitung 19.5.2010
(7) German Governments mulls Changes to Privatization Plan, Reuters 12.11.2014
(8) Strategie 2020: Deutsche Post setzt auf Schwellenländer, Wirtschaftswoche 2.4.2014
(9) Europa bleibt nur noch wenig Zeit, Handelsblatt 16.2.2015
(10) Luxemburg Leaks: Klicken Sie sich durch die Geheimdokumente, Süddeutsche Zeitung 5.11.2014
(11) Thomas Barth: Neoliberaler Think Tank unter Druck, Telepolis 17.2.2015; Norbert Haering: Zumwinkels forsche Forscher. Der einstige Postchef leitet eine höchst intransparente Stiftung, die Ökonomen mit einer klaren Agenda finanziert, Handelsblatt 19.1.2015
(12)www.iza.org/policyfellow, abgerufen 3.3.2015
(13)Wehr.di, Zeitung der Betriebsgruppe Brief Freiburg 3/2014, S. 2 – 4; vgl. die website der Beschäftigten bei Post-Subunternehmen: http://dhl.betriebsgruppe.blogsport.eu/werwirsind/
(14) Deutsche Post-Konzerne lagern immer mehr Arbeit aus, Focus.de/finanzen/news 14.4.2014, abgerufen 2.3.2015
(15)Arne Lorenz: Immer Ärger mit der Post, ZDF 11.2.2015
(16) Arne Lorenz ebenda
(17) Knut Henkel: Die Gewerkschaft als Feind, Magazin Mitbestimmung 3/2013; International Transport WorkersFederation: DHL-Verhalten in der Türkei „Katalog der Schande“, 2.11.2012
(18) Kenntnis der Bundesregierung über die Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Post AG, Bundestagsdrucksache 18/3796, 21.1.2015

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