Weltpolitik

„Eine politische Revolution hat begonnen“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Bei der ersten Vorwahl im US-Präsidentschaftswahlkampf musste sich der Sozialist Bernie Sanders knapp geschlagen geben und kann sich dennoch als Sieger fühlen –

Von REDAKTION, 2. Februar 2016 –

Im Präsidentschaftswahlkampf der USA hat Ted Cruz bei den Republikanern die erste Vorwahl im Bundesstaat Iowa am Dienstag für sich entschieden. Mit 27,7 Prozent verwies der Senator aus Texas Donald Trump auf den zweiten Platz, der 24,3 Prozent für sich verbuchen konnte. Bei den Demokraten konnte sich Hillary Clinton mit 49,9 Prozent einen hauchdünnen Sieg vor Bernard „Bernie“ Sanders sichern, der auf 49,6 Prozent kam.

Bei den Vorwahlen werden die Delegierten bestimmt, die im Sommer auf den jeweiligen Parteitagen den Kandidaten wählen, der ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt wird. Die dreißig republikanischen Delegierten aus Iowa müssen demnach für Cruz stimmen. Die Stimmen der 44 Delegierten der Demokraten werden vermutlich zwischen Clinton und Sanders gleichmäßig geteilt.

Im ländlich geprägten Iowa mit seinen gut drei Millionen und zu über neunzig Prozent weißen Einwohnern haben christlich-konservative Kandidaten traditionell einen guten Stand. Das kam dem erzkonservativen Rechtsaußen Ted Cruz zugute, während Trump als der republikanische Kandidat mit den geringsten religiösen Bezügen gilt.

Dass Cruz, der sich ebenso wie Trump als Kämpfer gegen das Washingtoner Politestablishment in Szene zu setzen weiß, den Milliardär auf den zweiten Platz verwies, war daher keine wirkliche Überraschung – zumal sich beide in den Umfragen in Iowa ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert hatten.

Für eine Überraschung sorgte dagegen der Drittplatzierte Marco Rubio, der nur ein Prozentpunkt weniger als Trump erhielt. Ebenso wie Cruz gehört der Senator aus Florida der konservativ-christlichen Rechten an und erhält Unterstützung aus der Tea-Party-Bewegung. Beide Kontrahenten vertreten wirtschaftsliberale Positionen, lehnen Obamas Gesundheitsreform ab und machen gegen illegale Einwanderung mobil. Beide machen sich für eine aggressive Außenpolitik stark, möchten das Atomabkommen mit dem Iran rückgängig machen und suchen die Konfrontation mit Russland.

Doch Rubio gibt sich moderater, verzichtet auf verbale Paukenschläge und hält sich anders als Cruz oder Trump zurück, gegen das Establishment zu agitieren. Damit ist der 44-jährige der Wunschkandidat der republikanischen Parteioberen. Denn die können sich mit Rubio an der Spitze deutlich bessere Chancen bei den Präsidentschaftswahlen ausrechnen.  Schließlich schreckt der polarisierende Trump zu viele potentielle Wähler ab, und auch Cruz steht zu weit rechts, um Wähler aus der Mitte überzeugen zu können.

Während das gute Abschneiden Rubios in der republikanischen Parteiführung für Erleichterung gesorgt haben dürfte, haben die Wähler mit ihrem Votum dem Parteiestablishment der Demokraten eine schallende Ohrfeige verpasst.

Pyrrhussieg für Hillary Clinton

Für Hillary Clinton kommen die Iowa-Vorwahlen einer erneuten Demütigung gleich – vor acht Jahren musste sie sich dort überraschend Barak Obama geschlagen geben. Vor wenigen Monaten galt die 68-jährige noch als unangefochtene Kandidatin der Demokraten, deren Sieg niemand im Wege steht. Im November lag Sanders in dem Bundestaat in Umfragen noch über zwanzig Prozentpunkte hinter seiner Konkurrentin. (1)

Wie seinerzeit Obama ist es dem Senator aus Vermont gelungen, die Basis und vor allem junge Wähler zu mobilisieren. Bis zur Iowa-Vorwahl konnte er über drei Millionen Einzelspenden einsammeln, und hat damit Obamas damaligen Rekord übertroffen. Doch anders als der amtierende US-Präsident, dessen Wahlkampf laut Spiegel vor allem von „Top-Anwälten, Silicon-Valley-Unternehmern, Immobilienmagnaten und Investmentbankern“ finanziert wurde, nimmt der gebürtige New Yorker keine Spenden der Lobbyisten entgegen.

Diese können auch kein Interesse haben, den 74-jährigen mit seinem dezidiert anti-neoliberalen Programm zu unterstützen. So will Sanders die Finanzmärkte stärker regulieren, die sechs größten „too-big-to-fail“-Banken zerschlagen und höhere Steuern für die (Super-)Reichen durchsetzen. Studiengebühren will er streichen, die Mindestlöhne anheben und die gesetzliche Krankenversicherung ausbauen.

„Machen wir weiter so angesichts des seit vierzig Jahren anhaltenden Niedergangs der Mittelschicht und der wachsenden Kluft zwischen den Superreichen und allen anderen, oder kämpfen wir für eine progressive wirtschaftliche Agenda, die Arbeitsplätze schafft, zu steigenden Löhnen führt, die Umwelt schützt und eine Gesundheitsversorgung für alle ermöglicht“, fragt Sanders auf seiner Webseite in der Einleitung der Präsentation seines politischen Programmes. Und fügt die Frage hinzu: „Sind wir bereit, der enormen wirtschaftlichen und politischen Macht der Milliardärsklasse den Kampf anzusagen, oder schlittern wir weiter in eine wirtschaftliche und politische Oligarchie?“ (2)

Weil Sanders gegen die Finanzoligarchie wettert, die die Politik in Washington bestimme, wird er in den Leitmedien gerne als Populist dargestellt. Dabei dürfte ihm seine Eigenbezeichnung als „demokratischer Sozialist“ in den USA kaum zu größerer Popularität verhelfen. Sanders ist das Gegenteil eines Populisten, keiner, der im Blick auf Wählerstimmen sein Fähnchen in den Wind hängt. Seine klassisch sozialdemokratischen Positionen vertritt er unbeirrt seit Jahrzehnten.

Das lässt sich über Clinton nicht sagen. Angesichts der erfolgreichen Kampagne ihres Herausforderers, der deutlich mehr Menschen zu seinen Veranstaltungen als die ehemalige First Lady mobilisieren konnte und in Umfragen stetig zulegte, vollzog sie in wirtschaftspolitischen Fragen einen Linksschwenk.

So lehnt sie inzwischen das kürzlich vereinbarte Freihandelsabkommen TPP zwischen den USA und elf Pazifikanrainerstaaten ab, und macht sich mit der Kritik vieler Gewerkschaften an dem Abkommen gemein – in ihrer Zeit als Außenministerin hatte sie noch auf dessen Umsetzung gedrängt.

An ihrer Glaubwürdigkeit kratzt auch ihr enges Verhältnis zur Wall Street. Aus der Finanzbranche erhält sie nicht nur üppige Wahlkampfspenden. (3) Mehrere Millionen US-Dollar kassierte sie in den letzten Jahren für Vorträge, die sie für Banken und andere Finanzdienstleister hielt. (4)

Während sich Clinton innenpolitisch an linke Positionen anbiedert, hält sie außenpolitisch an ihrer bellizistischen Linie fest – auch wenn sie sich im Wahlkampf bemüht, das erfolgreiche Abkommen mit dem Iran auf ihre Fahne zu schreiben. Die einstige New Yorker Senatorin hat sämtliche US-Kriegseinsätze der jüngeren Vergangenheit begrüßt oder direkt unterstützt. Ginge es nach ihr, würden sich die Vereinigten Staaten auch in Syrien stärker militärisch engagieren, um Waldimir Putins „Schikanen eine Ende zu bereiten“. (5)

Mit ihrer Forderung, in dem arabischen Land eine Flugverbotszone einzurichten, nimmt sie eine direkte militärische Konfrontation mit Russland in Kauf. Sanders außenpolitische Position lässt sich hingegen auf die Formel „mehr Diplomatie wagen“ herunterbrechen, der Drang zu neuen militärischen „Abenteuern“ ist ihm fremd.

Damit ist er natürlich nicht nur dem Establishment seiner Partei ein Dorn im Auge. Die Lobby des „großen Geldes“ hat er ebenso gegen sich wie die großen US-Medien – die New York Times hatte jüngst ihrer Leserschaft aufgefordert, die „überaus qualifizierte“ Hillary Clinton zu unterstützen. (6)

„In Iowa hat heute Abend eine politische Revolution begonnen“, ließ Sanders seine Gegner nach seinem Beinahe-Sieg wissen. Ob diese Revolution das Kind jüdischer Eiwanderer ins Weiße Haus spülen wird, darf bezweifelt werden, auch wenn sein Sieg bei der kommenden Vorwahl in New Hampshire als ausgemachte Sache gilt.

Schließlich kann die Führung der Demokraten mit einem Argument aufwarten, das nicht so einfach von der Hand zu weisen ist: Clintons Konkurrent ist zu links, um bei den Präsidentschaftswahlen eine Mehrheit zu bekommen – seine Nominierung würde den Republikanern den Sieg ebnen. Ein selbsterklärter Sozialist im Oval Office, das erscheint selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein Ding der Unmöglichkeit.

Spiegelbildlich wird die republikanische Parteiführung der Basis ihren Wunschkandidaten Marco Rubios mit dem Verweis schmackhaft machen, eine Nominierung verbalradikaler Draufhauer wie Trump oder Cruz würde den Demokraten den Schlüssel zur Pforte ins Weiße Haus direkt in die Hände spielen.

Wenn diese Sichtweise bei der Basis beider Parteien verfängt, wird am Ende ein Kandidat die Präsidentschaft gewinnen, mit dem das Großkapital und das Politikestablishment gut leben können.

Auch wenn sie kaum richtungsweisend sind, so haben die Vorwahlen in Iowa dank des guten Abschneidens von Bernie Sanders immerhin neue Spannung in das Spektakel um die „gekaufte Wahl“ (7) der US-Präsidentschaft gebracht.

 

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 Anmerkungen

(1) http://www.realclearpolitics.com/epolls/2016/president/ia/iowa_democratic_presidential_caucus-3195.html
(2) https://berniesanders.com/issues/
(3) https://www.opensecrets.org/pres16/contrib.php?cycle=2016&id=N00000019
(4) http://www.nytimes.com/2016/01/22/us/politics/in-race-defined-by-income-gap-hillary-clintons-wall-street-ties-incite-rivals.html?_r=0
(5) http://www.ontheissues.org/2015_CNN_Dems.htm
(6) http://www.nytimes.com/2016/01/31/opinion/sunday/hillary-clinton-endorsement.html?
(7) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201511103742/politik/welt/die-gekaufte-wahl.html

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