Erwerbstätig und obdachlos: Alltag einer unsichtbaren Minderheit
Trotz Vollzeitjob abends in der Notunterkunft oder gar auf der Straße schlafen – was nach einem unvorstellbaren Widerspruch klingt, ist in Deutschland längst Realität: Tausende Menschen finden trotz Erwerbsarbeit keine eigene Wohnung. Diese Menschen führen ein Leben im permanenten Ausnahmezustand – sichtbar vielleicht für Sozialarbeiter vor Ort, im politischen Berlin jedoch weitgehend unsichtbar.
Die gängigen Klischees von Obdachlosigkeit (Faulheit, Sucht, „selbst schuld“) greifen hier nicht: Diese Betroffenen gehen einer Arbeit nach und gehören dennoch zum wachsenden Phänomen der sogenannten „Working Poor ohne Wohnsitz“ (Working Poor = Menschen, die arm sind, obwohl sie arbeiten). Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat sich der Anteil erwerbstätiger Wohnungsloser in Deutschland innerhalb eines Jahrzehnts nahezu verdoppelt. 2009 hatten rund 6 Prozent der Wohnungslosen einen Job, 2019 waren es bereits 11,7 Prozent – also jeder Neunte. In Großstädten und Ballungsräumen sprechen Sozialarbeiter inzwischen von einem festen Personenkreis, der tagsüber in niedrig entlohnten Jobs arbeitet und abends mangels Wohnung in Notquartieren, Wohnheimen oder improvisierten Schlafplätzen unterkommt.
Erwerbstätig und obdachlos: Alltag einer unsichtbaren Minderheit