Literatur

Der Rätselhafte

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Die Identität des Schriftstellers B. Traven ist nach langen Jahren geklärt. Offen bleiben Fragen nach der Urheberschaft einiger Werke –

Von WOLFGANG BITTNER, 12. Juni 2014 –

Kaum ein Schriftsteller hat die Literaturwissenschaft, aber auch die Boulevardpresse, im vergangenen Jahrhundert so intensiv beschäftigt wie B. Traven, dessen Identität lange Zeit im Dunkeln lag. Der Bestsellerautor, der am 26. März 1969 in Mexiko-Stadt starb, verweigerte Zeit seines Lebens Auskünfte über seine Herkunft. Stattdessen streute er das Gerücht, er sei ein illegitimer Sohn Kaiser Wilhelms II., gelegentlich trat er auch als sein angeblicher Agent unter den Namen Hal Croves und Berick Traven Torsvan auf.

B. Traven alias Ret Marut bei seiner Verhaftung, London, 1923. Seinen Verleger ließ er wissen: „… mein Lebenslauf ist meine Privatangelegenheit, die ich für mich behalten möchte“

Travens Bücher wurden in 24 Sprachen übersetzt und erreichten eine geschätzte Gesamtauflage von 30 Millionen. Mehrere seiner Romane wurden verfilmt, so Der Schatz der Sierra Madre (1948 mit Humphrey Bogart) und Das Totenschiff (1959 mit Horst Buchholz, Elke Sommer und Mario Adorf). Aber die Herkunft des Autors blieb ein Rätsel, bis 1978 der britische Journalist Will Wyatt herausfand, dass B. Traven ursprünglich Otto Feige hieß und am 23. Februar 1882 im damaligen preußisch-brandenburgischen Schwiebus (heute Swiebodzin in Polen) als Sohn der Fabrikarbeiterin Hermine Wienecke und des Töpfers Adolf Feige geboren wurde.

Außerdem konnte Wyatt durch eingehende Untersuchungen die Identität Travens mit dem Revolutionär der Münchner Räterepublik Ret Marut beweisen, der von 1917 bis 1921 die anarchistische Zeitschrift Der Ziegelbrenner herausgab, und mit Gustav Landauer, Erich Mühsam, Ernst Toller und Eugen Leviné befreundet war. Das hatte Traven schon seiner Frau auf seinem Totenbett verraten. Allerdings ließen sich die Angaben in seinem Testament, das er wenige Wochen vor seinem Tod aufgesetzt hatte, wonach sein echter Name Traven Torsvan Croves sei, geboren am 3. Mai 1890 in Chicago als Sohn von Burton Torsvan und Dorothy Croves, nicht bestätigen. Auch verschiedene Auskünfte Rosa Elena Lujáns, mit der er 1957 in San Antonio in Texas die Ehe geschlossen hatte und die seither seine geschäftlichen Angelegenheiten regelte, waren widersprüchlich oder nachweislich falsch.

Travens Romane dienten nicht selten als Stoff für vielbeachtete Filme, so 1948 die Verfilmung  Der Schatz der Sierra Madre.

Die Heimlichkeiten und Verschleierungsversuche des Autors führten jahrelang und bis heute zu Mutmaßungen und abenteuerlichen Spekulationen, die ganze Bücher füllen. Selbst nach der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse Wyatts vertraten Literaturwissenschaftler wie Rolf Recknagel und Karl S. Guthke unbeeindruckt ihre Hypothesen, wonach Traven den Brandenburger Otto Feige „gut gekannt haben“ müsse oder auf dessen Informationen zurückgegriffen habe. Allerdings war auch ihnen schon bekannt, dass Ret Marut in London verhaftet worden war und im Verhör den Namen Otto Feige sowie weitere Einzelheiten der Schwiebusser Familie preisgegeben hatte. Die beiden Traven-Forscher blieben nach wie vor skeptisch.

1926 erschien einer der bekanntesten Romane Travens, Das Totenschiff. 1959 entstand nach der Vorlage des Romans der gleichnamige Film mit Horst Buchholz und Mario Adorf in den Hauptrollen. 

Spekulationen, wie die des Stern-Reporters Gerd Heidemann, B. Traven sei als unehelicher Sohn Kaiser Wilhelms II. geboren, erwiesen sich inzwischen als unhaltbar (eine DNA-Analyse wäre nicht mehr möglich, da Traven angeordnet hatte, dass seine Asche über Chiapas verstreut werden sollte, was auch geschah). Heidemann hatte B. Traven im Dezember 1966 in Mexiko-Stadt in der Calle Rio Mississippi 61 aufgesucht und im Mai 1967 eine Aufsehen erregende Reportage im Stern veröffentlicht, in der er behauptet, das „quälende Rätsel der modernen Literatur“ gelöst zu haben. 1977 erschien sein Buch „Postlagernd Tampico – Die abenteuerliche Suche nach B. Traven“, worin der Skandalreporter (später „entdeckte“ er die gefälschten Hitler-Tagebücher) über seine Recherchen berichtet.

In jüngerer Vergangenheit ist nun der am Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf tätige Literaturwissenschaftler Jan-Christoph Hauschild den einzelnen Stationen auf dem Lebensweg des Otto Feige, alias Ret Marut, alias B. Traven bis zu seiner Ankunft im Juli 1924 in Tampico in Mexiko gefolgt. Hauschild beschreibt in seinem 2012 erschienenen Buch „B. Traven – Die unbekannten Jahre“ minutiös die bis dato in der Traven-Forschung zum Teil noch nicht bekannten Aufenthaltsorte, Tätigkeiten, Kontakte und privaten Verbindungen des Schriftstellers, der schließlich 1923 in London ankam und 1924 Mexiko erreichte.

Offene Fragen

Damit ist der Lebensweg Travens in der Zeit von 1882 bis 1924 genauestens recherchiert und rekonstruiert worden. Schriftvergleiche und gesichtsgeometrische Daten beweisen eindeutig Travens Identität, womit die Nachforschungen Wyatts bis in alle Einzelheiten bestätigt und untermauert worden sind. Dennoch bleibt eine wesentliche, wenn nicht die bedeutsamste Frage offen: die nach der nicht unumstrittenen Urheberschaft der Traven-Werke. Der Schriftsteller hat zwar unter seinem angenommenen Namen zahlreiche Bücher veröffentlicht, aber immer wieder gab es Vermutungen und Unterstellungen, dass nicht alle diese Publikationen aus seiner Feder stammen.

Der Ziegelbrenner, eine anarchistische Zeitschrift, wurde in den Jahren 1917 bis 1921 von Ret Marut in München und Köln herausgegeben.

So behauptete zum Beispiel Anfang der 1980er Jahre die Witwe eines angeblichen Traven-Weggefährten aus der Münchner Zeit namens Beckmann-Bourba, mehrere der Bücher seien von ihrem Mann unter Mithilfe von Traven geschrieben worden, insbesondere Das Totenschiff und Die Baumwollpflücker. Des Weiteren ist von einem Autorenkollektiv, das aus Emigranten bestanden haben soll, die Rede; Traven habe als deren Agent oder Bevollmächtigter die Romane, Erzählungen und Geschichten vermarktet. Der Schiffsingenieur Wladislav Alexandrei Bourba, der unter den Revolutionären Wollek geheißen habe, sei ein Verbindungsmann der russischen Kommunisten zu den Münchner Aufständischen gewesen, befreundet u.a. mit Erich Mühsam, Ernst Toller und Eugen Leviné. Er habe in München bereits an der von Ret Marut herausgegebenen Zeitschrift Der Ziegelbrenner, dem Publikationsorgan der an der Räterepublik beteiligten Intellektuellen, mitgearbeitet. Später habe er zeitweise in Mexiko gelebt, u.a. in Acapulco und in Chiapas, und seine Romanmanuskripte in Englisch verfasst (beim Totenschiff unter Mithilfe eines befreundeten Seemanns namens August Bibeljé). Nach Angaben der Witwe ist er am 15. August 1900 in Russland geboren worden und am 12. August 1942 auf See gestorben. Das B. zum Namen Traven sei sozusagen ein Tribut an ihren verstorbenen Mann gewesen.

Traven mit seiner Frau Rosa Elena Luján

Der Traven-Forscher Karl S. Guthke, der offenbar Kontakt zu der Witwe Bourbas hatte, widmet ihm in seinem umfangreichen Werk B. Traven – Biographie eines Rätsels immerhin einen Absatz. Und er stellt hinsichtlich der Werke Travens die Frage, die er allerdings kurz darauf wieder verwirft: „Wie konnte er in so wenigen Jahren so viele offensichtlich auf ‚Erfahrung‘ beruhende Romane zustande bringen, wenn er sich nicht die Erfahrung anderer zunutze machte? Und klang das Deutsch dieser Bücher nicht auf weite Strecken hin wie aus dem Englischen (nicht aus dem Spanischen!) übersetzt? (… ) Verarbeitete der Autor etwa Erlebnisse oder übersetzte er sogar Aufzeichnungen eines ‚anderen‘, eines Englischsprachigen?“

Aber weder Travens Witwe Rosa Elena Luján noch der Herausgeber der bei der Büchergilde Gutenberg von 1978 bis 1982 erschienenen B. Traven-Gesamtausgabe, Edgar Päßler, sind auf die zum Teil mit Daten und Fakten belegten Angaben der Witwe Bourbas und auf deren Briefe und Anfragen eingegangen. „Spinnereien“, hieß es, „Hochstapelei und Trittbrettfahrerei“. Auch bei Hauschild findet Bourba an keiner Stelle Erwähnung.

In der Tat gab es außer Bourba noch weitere „Erlebnisträger“, die angeblich an der Urheberschaft der Traven-Bücher beteiligt waren, so u.a. der Mecklenburger Abenteurer August Bibeljé und ein deutschstämmiger Rechtsanwalt namens Ewald Heß, der in Chiapas lebte. Über Letzteren berichtete der Schriftsteller und Ethnologe Wolfgang Cordan (Majakreuz und rote Erde) in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. Juni 1957, Heß habe mit Traven zeitweise zusammengearbeitet, und er habe sich „stets als Mitautor des ‚Karren‘ und der ‚Regierung‘ bezeichnet“. In allen Fällen fehlte es aber an entsprechenden dokumentarischen Unterlagen. Hingegen existieren zahlreiche Tagebuchaufzeichnungen und Fotos, die beweisen, dass Traven zum Beispiel Chiapas intensiv bereist hat.

„Zwei-Männer-Theorie“

Belegt ist jedoch, dass Traven sich selbst mehrmals als Literaturagent oder Bevollmächtigter bezeichnet hat. Bereits als Ret Marut hatte er erklärt: „Ich habe nicht den geringsten literarischen Ehrgeiz und lasse alle Fragen von Verlegern, die den Namen des wirklichen Verfassers vom Schriftleiter wissen wollen, unbeantwortet.“ Auskünfte über sein Herkommen zu erteilen, widersetzte er sich konsequent und legte Wert auf Anonymität. Der Büchergilde Gutenberg schrieb er 1926: „… mein Lebenslauf ist meine Privatangelegenheit, die ich für mich behalten möchte“, und 1929: „Ich fühle mich nicht als eine Person, die im breiten Licht stehen will …“ Wiederholt ließ er wissen: „Travens Muttersprache ist Englisch, und seine Bücher schreibt er in Englisch.“

Dem mexikanischen Enthüllungsjournalisten Luis Spota, der Traven 1948 in Acapulco aufspürte, wo er unter dem Namen Berick Traven Torsvan lebte, erklärte er, sein Vetter Barbick Traven sei der Schriftsteller B. Traven. Der allerdings habe sehr wenig von dem gesehen, was in den Büchern stehe, er sei nie in den Busch gegangen und das meiste sei ihm von anderen erzählt worden; seine Bücher habe er mit seiner und der Hilfe anderer geschrieben. Hauschild hält das für „eine Erniedrigung des eigenen Ich, die gewiss eine professionelle Untersuchung verdiente“. Andere Wissenschaftler konstruierten daraus die Erlebnisträger-Hypothese oder eine „Zwei-Männer-Theorie“.

Vehemente Zweifel an der Urheberschaft der unter dem Namen B. Traven veröffentlichten Bücher wurden aber schon 1960 nach dem Erscheinen des letzten Romans Aslan Norval laut. Denn dieses Alterswerk weicht sowohl hinsichtlich der Thematik als auch in Sprache und Stil von dem ab, was bis dahin von Traven veröffentlicht worden war.

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Festzustellen bleibt, dass es auch Hauschild letztlich nicht gelungen ist, das Änigma B. Traven vollständig zu entschlüsseln, zumal seine Nachforschungen 1924 enden. Er steht der Erlebnisträger-These sowie der Hypothese von einem Verfasser-Kollektiv kritisch gegenüber, und von einer Mitarbeit des Revolutionärs Bourba an der Zeitschrift Der Ziegelbrenner konnte er nichts in Erfahrung bringen. B. Traven wird also ein Forschungsobjekt für Biografen und Literaturwissenschaftler bleiben.

Bedauerlich ist, dass bisher keine umfangreicheren Schriftvergleiche von Manuskripten und auch keine weiterführenden Stiluntersuchungen durch Linguisten vorgenommen worden sind. Einsichtnahmen in das von den Traven-Erben in Mexiko-Stadt verwaltete Archiv haben in dieser Hinsicht offenbar zu keinem Ergebnis geführt. Zu wünschen ist, dass der komplette Nachlass Travens für die Forschung freigegeben wird. Vielleicht käme man dann zu seriösen Resultaten, die heute niemandem mehr schaden würden.

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