Zeitfragen

Gebetsteppiche, abendländisch

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von LEONIE FELIX, 16. März 2010 –

„Alles, was unter den Teppich gekehrt wird, das fault, stinkt und verpestet die Atmosphäre. Das hat’s ja nun viel zu lange gegeben.“ Mit diesen Worten reagierte der Hamburger Erzbischof, Werner Thissen, am vergangenen Sonntag in seiner Predigt im Mariendom auf die Lawine bekannt gewordener Fälle sexueller Gewalt an Kindern in katholischen Bildungseinrichtungen in Deutschland.

Thissen hat recht. Mehr recht, als er wahrscheinlich zugeben würde. Unter den Teppich gekehrt wurden ja nicht nur die konkreten „Missbrauchs“-Fälle. Sondern bei katholischen Geistlichen wird durch die Logik des Zwangs-Zölibats die Sexualität selbst „unter den Teppich gekehrt“. Und siehe da: es fault, stinkt und verpestet die Atmosphäre.

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Ich will gar nicht bestreiten, dass es Menschen geben kann, deren persönlicher Sexualität ein zölibatäres Leben angemessen ist. Aber will irgendjemand behaupten, dass dies auf die Mehrheit der Priester zutrifft? Wählen nicht viele diesen Beruf, weil sie merken, dass ihre sexuellen Neigungen nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, und weil sie glauben, sie so verdrängen zu können? Und wählen nicht manche andere diesen Beruf aus religiösen Gründen, z.B. weil sie sich der Seelsorge widmen oder Gottes Wort verbreiten möchten – also aus Motiven, die mit ihrer dann unterdrückten Sexualität unmittelbar gar nichts zu tun haben? (Um gar nicht von jenen zu reden, die von vorneherein nach einem Job im Internat – lechzen.)

Unter diesen Umständen muss sich die Öffentlichkeit fragen, ob sie einer Institution, die ganz wesentlich auf der Pathologisierung der Sexualität basiert, erlauben kann, Internate zu führen, wo schutzbedürftige Kinder Tag und Nacht dieser Institution und den darin angehäuften beschädigten Persönlichkeiten ausgeliefert sind. Ob diese Frage in den nächsten Wochen offen ausgesprochen wird: daran wird sich zeigen, wie weit wir uns vom Mittelalter wirklich entfernt haben.

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