Zeitfragen

„Ich bewundere Geert Wilders blonde Haare“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1283170326

Thilos Sarrazins Buchvorstellung fand in Berlin unter Polizeischutz statt, Demokraten und Antifaschisten protestierten. Eindrücke von einem Medienereignis –

Von THOMAS WAGNER, 30. August 2010 –

Soviel Polizeipräsenz sieht auch das Haus der Bundespresskonferenz am Schiffbauerdamm nur selten. Beide Auffahrten zum Haupteingang, hier fahren die Karossen der Ministeriumssprecher und Regierungspolitiker vor, werden von Beamten bewacht. Rein kommt nur, wer ins Haus gehört, über einen Presseausweis verfügt oder für die Buchvorstellung von Thilo Sarrazin akkreditiert ist. Rund um das Gebäude patrouillieren weitere Beamte. Innerhalb des Gebäudes und am Hintereingang  zur  Reinhard Straße sind Wachleute in Zivil positioniert, die anscheinend verhindern sollen, dass unangemeldete Gäste sich Zutritt verschaffen und die proppenvolle Pressekonferenz der Deutschen Verlags-Anstalt zu stören vermögen. Mit so viel Andrang hatte der Verlag nicht gerechnet. 200 Rezensionsexemplare von Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ hatte der Verlag für akkreditierte Presseleute bereitgelegt, damit konnte eine eigens dafür abgestellte Mitarbeiterin die Nachfrage der anwesenden Journalisten bei weitem nicht bedienen.

Protest an der Spree

Zwei Aktivisten verteilten „Intelligenzgene, gesponsert von Dr. Sarrazin“.

Mindestens ebenso viele Menschen waren einem Aufruf des Bündnisses „Rechtspopulismus stoppen!“ gefolgt und hatten sich ab 10.00 Uhr an der Spree-Seite des Gebäudes versammelt, um gegen Sarrazins Auftritt zu protestieren.  Die Demonstrierenden trugen Transparente mit Aufschriften wie „Nicht-Handeln macht Rassismus salonfähig“, „Mehr Empathie für eine tolerantes Deutschland“ oder „Das Sarrazin-Gen. Chronisch niedrige Intelligenz“. Zwei Aktivisten verteilten „Intelligenzgene, gesponsert von Dr. Sarrazin“, bunte Pillen, die sich als Smarties-Schokoladendrops entpuppten. Unter den Protestierenden waren Vertreter der Linken, der Grünen, der Gewerkschaften GEW und Verdi. Michel Friedman sprang aus einer Limousine und gab Interviews.

Insgesamt waren über 100 Demonstranten, etwa 50 Journalisten und genauso viele uniformierte Polizisten vor Ort. Störungen durch die Polizei beschränkten sich auf die Aufforderung, sich vom „Parkautomaten 21“ zu entfernen und mitgebrachte Transparente nicht auf der Straße, sondern auf dem Gehweg zu zeigen.

Vertreter rechtsradikaler Organisationen wurden von den Veranstaltern aufgefordert, die Protestveranstaltung zu verlassen. Explizit genannt wurden „zwei Herren vom Institut für Staatspolitik“. Gemeint war sicherlich auch ein einsamer Vertreter des vor allem durch islamfeindliche Hetze bekannt gewordenen Internetportals „Political Incorrect“, der, unbemerkt von vielen Demonstranten, ein Transparent mit der Aufschrift „Danke Thilo“ hochhielt.

Verschiedene Redner kritisierten dass sich Der Spiegel und die Bild-Zeitung zur Vorveröffentlichung von Sarrazins rassistischen Thesen hergegeben haben. Eine Bundestagsabgeordnete der SPD bezeichnete seine Äußerung als parteischädigend und sprach sich für den Parteiausschluss des Bundesbankvorstands aus.

Strafanzeige erstattet

Zustimmung von bekannter Seite: Ein einsamer Aktivist der rassistischen Gruppe “Politically Incorrect” lobte unverholen Sarrazin.

Der Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz kündigte an, dass er im Auftrag der Migrantenbeauftragten a.D. Azize Tank wegen Volksverhetzung,der Beschimpfung von Religionsgesellschaften und der Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung Strafanzeige gegen Sarrazin erstattet habe. In einer Hintergrund vorliegenden Presseerklärung sagt die ehemalige Migrationsbeauftragte des Berliner Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf: „Sarrazins Äußerungen führen zu Vorurteilen, verknüpft mit weitreichenden, in dieser Radikalität nur von antidemokratischen, rechtsextremen Parteien erhobenen Parolen. Sie sind damit auch eine Gefahr für unsere Demokratie und Wertegemeinschaft. Sie schaden dem Bild Deutschlands in der Welt.“

In einem acht Seiten starken Schriftsatz, sagte Rechtsanwalt Schulz, habe er nachgewiesen, dass Sarrazins Äußerungen nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien.

Rassistische Äußerungen bekräftigt

Sarrazin warnte erneut, „die Deutschen“ würden wegen der niedrigen Geburtenrate zu „Fremden im eigenen Land“.

Genau das nahm Sarrazin wenige Minuten später auf seiner für 11.00 Uhr angesetzten Pressekonferenz für sich in Anspruch. Zuvor hatte die Soziologin Neclá Kelek für ihre Einführungsrede nur ungewöhnlich spärlichen Applaus der versammelten Journalisten erhalten. Viele Pressevertreter kamen von ausländischen Agenturen oder Zeitungen. Die zahlreichen Fernsehkameras versperrten vielen die Sicht. Henryk M. Broder, der einen Sitzplatz ergattert hatte, stand immer wieder auf, um mit seiner Handy-Kamera Aufnahmen zu machen.  Sarrazin selbst wirkte verhalten, als ob er mit so viel Widerspruch nicht gerechnet hätte.

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Er war sichtlich nicht auf Krawall gestimmt, doch auch dieses Mal hatten seine Äußerungen wieder ein hetzerisches Potenzial. Er bekräftigte seine Behauptung, dass die heute lebenden Juden gemeinsame genetische Wurzeln hätten und warnte, dass „die Deutschen“ wegen der niedrigen Geburtenrate zu „Fremden im eigenen Land“ werden könnten. Den Einwanderern aus muslimischen Ländern warf er vor, sich nicht genügend integrieren zu wollen.  „Dafür ist die Herkunft aus der islamischen Kultur verantwortlich“, sagte er.  Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies er zurück. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Merkel das Zeitbudget hat, dass sie schon meine 464 Seiten gelesen hat.“

Auf die Frage eines Journalisten, ob er der deutsche Geert Wilders sei, antwortete die neue Gallionsfigur des hiesigen Rechtspopulismus: „Ich bewundere Geert Wilders blonde Haare. Sonst lese ich nur von ihm in unseren Medien.“

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Zeitfragen Noam Chomsky spricht über Wahrheit und Macht
Nächster Artikel Zeitfragen Es herrscht Pogromstimmung