Aneignung der Welt

Wem gehört die Welt?

Die heutige Welt basiert auf Eigentum. Ordnung herrscht, wenn überall klar ist, wem was gehört und wer dafür verantwortlich ist. Und funktionieren tut – oder soll – die Welt, so die These, weil alle bestrebt sind, ihr Eigentum zu vermehren. Aber gibt es denn noch etwas, das noch niemandem gehört? Die Luft vielleicht?

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Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes. – Kolorierter Holzschnitt, 1888, im Stil um 1520. Aus: Camille Flammarion, L’atmosphère météorologie populaire, Paris 1888.
Foto: Heikenwaelder Hugo, Lizenz: CC BY-SA, Mehr Infos

Ein Zufall ist es nicht, dass Lew Nikolajewitsch Tolstois Novelle »Wie viel Erde braucht der Mensch?« in Dutzende von Sprachen übersetzt und weltberühmt wurde. Wer möchte nicht ein kleines Stück Land sein Eigen nennen, oder eben sogar ein großes? Grund und Boden: Das ist Sicherheit, das ist, wenn es viel ist, Reichtum. Und Reichtum wird gleichgesetzt mit Glück. Tolstois Novelle trifft jeden von uns, irgendwo, irgendwie.

Vor Urzeiten gehörte, nach dem Verständnis der damaligen Menschen, der Grund und Boden niemandem – oder eben allen. Man durfte ihn bearbeiten, bepflanzen, sogar eine Hütte darauf bauen – aber nicht darauf »sitzen«, das Land nicht in »Besitz« nehmen, nicht ins persönliche Eigentum überführen. Davon ist wenig ge- blieben. Immerhin: Einige Hochkulturen – etwa in Lateinamerika – lebten nach unserer Zeitrechnung auch im 15. Jahrhundert noch nach diesem »Grund«-Gesetz. Aber dann kamen die Spanier und die Portugiesen und mit ihnen europäisches Grundbesitz-Denken. Fortan war der Boden auch dort einzel- nen Personen zugeteilt: Es gab jetzt Grund- eigentum – ob bebaut oder nicht.

Überreste der Kultur des gemeinsamen Grundbesitzes gibt es aber auch noch in Europa selbst, zum Beispiel in der Schweiz, in den sogenannten Korporationen. Und dieses System funktioniert sogar. Funktioniert es noch? Als Auslaufmodell?

Doch beginnen wir von vorne. Wem gehört die Welt? Die Welt besteht, so zu- mindest glaubten es unsere Vorfahren, aus vier Elementen: aus Luft, aus Wasser, aus Erde und aus Feuer.

Die Luft gehört allen

Kein Mensch käme auf die Idee, Luft für sich selbst, als persönliches Eigentum zu beanspruchen. Der Luft Grenzen zu setzen, sie aufzuteilen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Eigentum muss aber abgegrenzt sein, abgegrenzt gegen das Eigentum eines anderen. Wir alle atmen – wir nutzen die Luft gemeinsam, und dies in aller Selbstverständlichkeit. Vielleicht gerade deshalb fühlt sich auch niemand verantwortlich für diese Luft, die niemandem gehört. Und vielleicht gerade deshalb sind wir schon weit fortgeschritten darin, diese unsere Luft zu übernutzen, sie zu verdrecken, sie zu zerstören.

Gehört das Wasser auch allen?

Wasser ist wie Luft, könnte man meinen. Es gibt unfassbare Wolken. Es gibt kaum fassbaren Regen. Es gibt unsichtbares Grundwasser. Wasser ist nicht begrenzbar, für Privatbesitz also, der mit klaren Grenzen definiert sein muss, ungeeignet. Könnte man meinen.

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CHRISTIAN MÜLLER, wurde ein Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges geboren. Er studierte an der Uni Zürich Geschichte und Staatsrecht (inkl. Doktorat), arbeitete aber schon während des Studiums und anschließend als Journalist, später als Medien-Manager und unabhängiger Medien- Consultant, etliche Jahre auch in Tschechien. 2014 bis 2017 war er Chefredakteur der Vierteljahreszeitschrift Die Gazette, im März 2022 gründete er die Online-Plattform Globalbridge.ch und ist deren alleinverantwortlicher Herausgeber.

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