Kriege

Afghanistan: Die Streitkräfte der USA und der NATO vertrauen den Warlords ihre Sicherheit an

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Von GARETH PORTER, 4. November 2009 –

Am Mittwoch hat die NewYork Times enthüllt, dass Ahmed Wali Karzai, der Bruder des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, lange auf der Gehaltsliste des US-Geheimdienstes CIA stand. Das ist aber nur die Spitze eines viel größeren Eisbergs, denn die Streitkräfte der USA und die Auftstandbekämpfungs-Truppen der NATO sind in hohem Maße von den afghanischen Warlords (Kriegsherren) abhängig, denen sie ihre Sicherheit anvertrauen; Informationen darüber sind einem kürzlich veröffentlichten Report und Berichten australischer und kanadischer Journalisten zu entnehmen, die dieses Problem untersucht haben.

Die Truppen der Vereinigten Staaten und NATO-Kontingente, die in den südlichen und östlichen, überwiegend von Paschtunen besiedelten Provinzen Afghanistans operieren, haben nach den genannten Quellen private Milizen afghanischer Warlords angeheuert, um ihre vorgeschobenen Stützpunkte, andere Basen und (Nachschub-)Konvois schützen zu lassen.

General Stanley A. McChrystal hat zugegeben, dass die Verbindungen zwischen den US- und NATO-Truppen und den Warlords zu den Ursachen für die Entfremdung zwischen der afghanischen Bevölkerung und den ausländischen Streitkräften gehören. Diese Zusammenarbeit wird wahrscheinlich auch nicht so bald eingestellt, weil Offizielle der US- und NATO-Streitkräfte noch keine Alternative zu den Sicherheitsdienstleistungen haben, die ihnen die Warlords bieten.

In einem Report, den das Center on International Cooperation (das Zentrum für Internationale Zusammenarbeit) der New York University / NYU im September veröffentlicht hat, wird festgestellt, dass US- und NATO-Truppenteile häufig „Sicherheitsdienste“ beschäftigt haben, die von den verdeckt operierenden privaten Milizen der Warlords gestellt werden, die mit staatlichen Institutionen um die Macht streiten. (1)

In dem Report werden wichtige Warlords und mit ihnen Verwandte oder Verbündete genannt, die in vier Provinzen für Sicherheitsdienstleistungen in Anspruch genommen werden.

In der Provinz Uruzgan haben Spezialtruppen der USA und Australiens mit einer Privatarmee von 2.000 Mann unter dem Befehl des Obersts Matiullah Khan, der auch Kandak Amniante Uruzgan genannt wird, Verträge über Sicherheitsdienstleistungen abgeschlossen, um die Versorgung ihrer dortigen Basen zu sichern. Diesen Fall haben die beiden Reporter Mark Dodd und Jeremy Kelly im April 2009 (nicht wie angegeben im April 2008) detailliert in der Zeitung The Australian dargestellt. (2)

Oberst Khans Sicherheitsdienst schützt die Konvois der International Security Assistance Force (ISAF) der NATO auf der Hauptstraße von Kandahar nach Tarin Kowt, wo nach Angaben im Australian im Camp Holland mehr als 1.000 australische Soldaten stationiert sind.

Oberst Khan erhält monatlich 340.000 Dollar – jährlich fast 4,1 Millionen Dollar – dafür, dass er jeden Monat zwei Konvois sicher von Kandahar nach Tarin Kowt geleitet. Khan, der gleichzeitig Polizeichef der Provinz Uruzgan ist, hat seine Privatarmee offensichtlich von seinem Onkel Jan Mohammad Khan übernommen, einem der Kommandeure, die 2001 halfen, die Taliban aus Kandahar zu vertreiben; dafür wurde er 2002 vom Präsidenten Karzai durch die Ernennung zum Gouverneur der Provinz Uruzgan belohnt.

Die Australian Defence Force (die australische Verteidigungsarmee) behauptete gegenüber dem Australian, Oberst Khan werde vom afghanischen Innenministerium dafür bezahlt, dass er die Sicherheit auf den Hauptstraßen der Provinz Uruzgan gewährleistet. Das australische Militär weigerte sich, direkte australische Zahlungen an Oberst-Khan zu bestätigen oder zu dementieren.

Mike Blanchfield und Andrew Mayeda vom CanWest News Service berichteten im November 2007, das kanadische Militär habe einen „General Gulalai“ angeheuert, um einen geheim gehaltenen vorgeschobenen Stützpunkt sichern zu lassen. Gulalai ist ein Warlord im südlichen Afghanistan, der 2001 ebenfalls an der Vertreibung der Taliban aus Kandahar beteiligt war. (3)

Die beiden Reporter enthüllten auch, dass Oberst Haji Toorjan, ein mit dem Gouverneur von Kandahar und dem bedeutenden Warlord Gul Agha Sherzai verbündeter lokaler Warlord, engagiert wurde, um das Camp Nathan Smith in der Stadt Kandahar zu sichern, wo das kanadische Aufbauteam für die Provinz untergebracht ist.

Wie Blanchfeld und Mayeda herausfanden, hat das kanadische Militär mit einer Firma „Sherzai“ 29 Sicherungsverträge im Wert von 1,14 Millionen Dollar geschlossen; Eigentümer dieser Firma ist sehr wahrscheinlich der (gleichnamige) ehemalige Gouverneur von Kandahar, der jetzt Gouverneur der Provinz Nangarhar ist.

Das kanadische Militär wollte nicht bestätigen, dass Gul Agha Sherzai tatsächlich Eigentümer dieser Firma ist.

In der Provinz Badakhshan wurde mit General Nazri Mahmed, einem Warlord, dem nachgesagt wird, dass er einen bedeutenden Teil der lukrativen Opiumindustrie der Provinz „kontrolliert“, ein Vertrag zur Sicherung des deutschen Rekonstruktionsteams der Provinz geschlossen; das ist dem (eingangs verlinkten) Report der New York University zu entnehmen.

In dem NYU-Report steht auch, dass US- und NATO-Kontingente jährlich Hunderte von Millionen Dollars für Verträge mit afghanischen Sicherheitsdiensten ausgeben, von denen die meisten lokalen Machthabern gehören, die alle Menschenrechtsverletzungen begangen haben.

Zusätzlich zu Ahmed Wali Karzai werden in dem NYU-Report Hashmat Karzai, ein weiterer Bruder des Präsidenten Karzai, und Hamid Wardak, der Sohn des Verteidigungsministers Rahim Wardak, als bedeutende Machthaber genannt, die private Sicherheitsunternehmen kontrollieren und private Sicherungsverträge abgeschlossen haben, die nicht bei der (afghanischen) Regierung registriert sind.

Nach zwei anonymen UN-Quellen, die in dem Report zitiert werden, wurden von der ISAF und von „Koalitions-Truppen“ schätzungsweise 1.000 bis 1.500 nicht registrierte bewaffnete Sicherheitsdienste für Sicherungsaufgaben „engagiert, ausgebildet und bewaffnet“. Nach Schätzungen in den UN-Quellen sollen in Afghanistan etwa 120.000 bewaffnete Personen zu rund 5.000 privaten Milizen gehören.

Die meisten afghanischen Warlords werden von der Bevölkerung gehasst, weil die von ihnen kontrollierten Privatarmeen Zivilisten bestehlen und schikanieren, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

In seiner Einschätzung (bei der Übernahmen des Oberbefehls über die US- und ISAF-Truppen in Afghanistan) im August 2009 führte General McChrystal „die Wut und die Ablehnung“, die der ISAF aus der Bevölkerung entgegen schlägt, auf den Eindruck zurück, dass die ISAF an der „weit verbreiteten Korruption und dem Machtmissbrauch“ beteiligt ist.

Diese Bemerkung lässt darauf schließen, dass McChrystal, der früher für die in Sicherheitsfragen praktizierte Zusammenarbeit der US-Special Forces mit den afghanischen Warlords verantwortlich war, jetzt deren politische Konsequenzen zu spüren bekommt. (4)

Jake Sherman, ein Mitverfasser des NYU-Reports, war als politischer Beauftragter der Vereinten Nationen an dem in den Jahren 2003 bis 2005 durchgeführten Versuch beteiligt, die (Armeen der) Warlords zu entwaffnen. Er ist skeptisch im Hinblick darauf, dass die US-Politik ihre Zusammenarbeit mit den Warlords beenden wird.

„Ich sehe keine Möglichkeit, wie die US-Truppen und die Kontingente anderer Staaten ihre vorgeschobene Stützpunkte halten könnten, ohne diese Kerle zu bezahlen,“ sagte Sherman in einem Interview mit IPS (Inter Press Service).

Neben der bleibenden Abhängigkeit von den Sicherheitsdiensten der Warlords sieht Sherman einen weiteren Grund, sie auch künftig zu bezahlen. Wenn die Kommandeure der US- und NATO-Truppen versuchen sollten, ihre Verbindungen zu den privaten Milizen zu kappen, würden die Warlords (mit ihre Privatarmeen) selbst „zur Bedrohung für die Sicherheit“.

Sherman erinnerte sich, dass während seiner Tätigkeit für die Vereinten Nationen im nördlichen Afghanistan lokale Polizisten angeheuert wurden, um ein Vorratslager des Welternährungsprogramms zu schützen. Nach einem Raketenangriff auf das Lager wurde durch eine Untersuchung schnell festgestellt, dass die Polizei selbst den Angriff ausgeführt hatte, um die Vereinten Nationen unter Druck zu setzen, dass sie mehr Wächter einstellten.

Die gegenwärtige Abhängigkeit der US- und NATO-Truppen von Privatarmeen der Warlords geht auf die Politik der Regierung George W . Bushs in den ersten Jahren nach der Vertreibung des Talibanregimes gegen Ende des Jahres 2001 zurück.

Die CIA setzte die Kommandanten der Privatarmeen, welche die Taliban besiegt hatten, auf die Gehaltsliste und rüstete ihre Kämpfer mit Waffen und Kommunikationsgeräten aus, weil sie die Anti-Terrortrupps der USA bei der Suche nach Al-Qaeda-Versprengten in Afghanistan unterstützen sollten.

Die Kommandanten nutzten die US-Hilfe, um ihre politische Kontrolle über ganze Provinzen oder Teilgebiete von Provinzen auszubauen. Human Rights Watch (5) stellte im Juni 2002 in einem Bericht über die neuen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und den Warlords fest: „Während die US-Regierung in dieser Politik keine aktive Unterstützen lokaler Warlords sieht, macht es für die afghanische Bevölkerung keinen Unterschied, wenn sie das offene Zusammenwirken der Streitkräfte der Koalition mit den Warlords sieht.“

Larry Goodson vom Army War College (6), der 2002 die Einberufung der Loya Jirga verfolgte (7), aus der die erste afghanische Regierung nach der Talibanherrschaft hervorging, äußerte gegenüber IPS, dass er von Anfang an eine „Ent-Warlordisierung“ empfohlen habe, bei der „man üble, anrüchige Charaktere durch weniger üble und weniger anrüchige Bosse „hätte ersetzten sollen.“

Aber die Warlords seien auf der Gehaltsliste geblieben, erinnerte sich Goodson, vor allem, weil die von den bewährten Kommandanten kontrollierten Privatarmeen in einer Situation, in der es noch nicht genügend ausländische Truppen gab, als „Verstärkungen“ angesehen wurden.


Der Artikel erschien im Original am 29. Oktober 2009 unter dem Titel „Afghanistan: U.S., NATO Forces Rely on Warlords for Security “ bei Inter Press Service/IPS.


Der Autor: Gareth Porter (s. http://en.wikipedia.org/wiki/Gareth_Porter ) ist ein investigativer Journalist und Historiker, der sich auf die US-Sicherheitspolitik spezialisiert hat. Die Paperback-Ausgabe seines letzten Buches „Perils of Dominance: Imbalance of Power and the Road to War in Vietnam“ (Risiken der Überlegenheit: Die Unausgewogenheit der Macht und der Weg in den Vietnam-Krieg) wurde 2006 veröffentlicht.
Übersetzung: Wolfgang Jung, Luftpost Kaiserslautern www.luftpost-kl.de

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Quellen und Anmerkungen:

1) Der Report mit dem Titel „The Public Cost of Private Security in Afghanistan“ / Die öffentlichen Kosten für private Sicherheitsfirmen in Afghanistan kann aufgerufen werden unter http://www.cic.nyu.edu/afghanistan/docs/pubcost_sherman_vididom.pdf
2) Ihre Artikel im AUSTRALIAN sind aufzurufen unter http://www.theaustralian.news.com.au/story/0,,25396612-25837,00.html und http://www.theaustralian.news.com.au/story/0,,25394769-25837,00.html
3) Artikel s. http://www2.canada.com/topics/news/features/businessofwar/story.html?id=c6581dc2-9afd-4a03-8a05-b5dec6d56c81
4) vgl. Hintergrund: Cheneys Killertruppe und das große Schweigen von Horst Schäfer
5) http://de.wikipedia.org/wiki/Human_Rights_Watch
6) s. http://www.carlisle.army.mil/ und http://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Army_War_College ,
7) s. http://de.wikipedia.org/wiki/Loja_Dschirga

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