Kriege

Das Wiegenlied vom Totschlag. Wikileaks enthüllt unterdrückte Wahrheit über den Afghanistan-Krieg

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 26. Juli 2010 –

Der Afghanistan-Krieg  fordert mehr zivile Opfer als bislang bekanntgegeben. Im Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die Sicherheitslage schlechter als von der Bundesregierung eingeräumt und US-Militärs gehen seit Jahren davon aus, dass Mitarbeiter des pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI direkt mit verschiedenen aufständischen Gruppen kooperierten und sogar selbst Anschläge auf die internationalen Truppen in Auftrag gaben.

Der in Australien geborene Assange studierte Physik an der University of Melbourne. Er lebte und arbeitete in China, Iran, Australien, den USA und Großbritannien. Infolge seiner Arbeit wurde er mehrmals verhaftet, abgehört, zensiert und auch erfolglos verklagt. (Quelle: Wikipedia)

Das geht aus einer Sammlung von mehr als 90.000 überwiegend geheimen Dokumenten der am Hindukusch kämpfenden US-Truppen hervor, die von der Website Wikileaks in der Nacht zu Montag veröffentlicht wurde. „Das Material wirft ein Schlaglicht auf die alltägliche Brutalität und das Elend des Krieges. Es wird die öffentliche Meinung verändern und auch die von Menschen mit politischem und diplomatischen Einfluss“, sagte WikiLeaks-Gründer Julian Assange* gegenüber dem Spiegel. (1)

Die Internetplattform Wikileaks sammelt geheime offizielle Dokumente aus anonymen Quellen, um Missstände öffentlich zu machen. Der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama, James Jones, reagierte empört. „Die USA verurteilen aufs Schärfste die Veröffentlichung von Geheiminformationen durch Einzelne oder Organisationen, durch die das Leben von Amerikanern und deren Verbündeten gefährdet und die nationale Sicherheit bedroht wird.“

Die Veröffentlichung sei „ein äußerst bemerkenswerter Vorgang“ sagte der Sprecher des  Bundesverteidigungsministeriums, Kapitän zur See Christian Dienst, am Montag in Berlin. Derzeit werde geprüft, ob die deutschen Sicherheitsinteressen „berührt sein können.“

Sachverhalte verharmlost

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel sowie die Zeitungen New York Times und der Guardian aus London analysierten jeweils für sich die gewaltige Datenmenge der US-Streitkräfte. Es sind größtenteils Meldungen der Truppen aus dem Feld, die zusammengefasst und direkt weitergeleitet wurden. Obwohl nicht alle Berichte  verifiziert werden konnten, halten die US-Militärs selbst viele ihrer Quellen – darunter afghanische Informanten und Sicherheitskräfte – für glaubwürdig.

Laut Guardian sollen hunderte afghanischer Zivilisten bei bislang nicht bekannten Aktionen der internationalen Truppen ums Leben gekommen sein. In den Dokumenten sind 144 Zwischenfälle mit 195 zivilen Todesopfern aufgelistet. (2)

Das US-Militär habe in Erklärungen Sachverhalte immer wieder „verharmlost“, schreibt die New York Times in ihrem am Sonntagabend im Internet veröffentlichten Bericht. (3)   So gebe es in den Unterlagen Hinweise darauf, dass die Taliban mit modernsten Waffen ausgerüstet seien und unter anderem Luftabwehrraketen gegen Hubschrauber der internationalen Truppen einsetzten. Das sei bislang von der NATO und US-Armee nicht offiziell bestätigt worden.

Im Einsatzgebiet der deutschen Truppen im Norden Afghanistans habe die Zahl der Kampfhandlungen ebenso stark zugenommen wie die Zahl der Anschläge, schreibt der Spiegel.

Deutsche Basis für Killerkommandos

Seit Sommer 2009 sind laut Spiegel 300 Mann der geheim operierenden US-Einheit „Task Force 373“  in Masar-i-Scharif auf dem Gelände des deutschen Feldlagers Camp Marmal stationiert und führen von dort aus gezielte Tötungsaktionen gegen Anführer der Aufständischen durch. Sie befinden sich dabei offiziell unter dem Befehl des Regionalkommandos Nord, das unter deutscher Führung steht. Gegenüber dem Parlament hatte die Regierung laut Spiegel noch im Herbst 2009 darauf beharrt, der „Kernauftrag“ der US-Spezialeinheit sei lediglich die „Aufklärung und Festsetzung von Personen, die Qaeda oder gegebenenfalls der Führungsriege der Taliban angehören.“  

Es ist davon auszugehen, dass die Killerkommandos des US-Militärs ihrer blutigen Arbeit nachgehen, ohne die zum heutigen Zeitpunkt noch zurückhaltender agierenden Soldaten der Bundeswehr, die vorgeblich das militärische Zepter in der Hand halten, um Erlaubnis zu fragen.  

Auf Nachfrage, wie es man sich die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit der Spezialeinheit vorzustellen habe, antwortete der Sprecher des Verteidigungsministeriums am Montag in Berlin sinngemäß, man spreche sich ab, damit man sich nicht in die Quere komme und wörtlich, „das vorherrschende Element ist die Koordination“. Die deutschen Parlamentarier seien über die Vorgänge informiert. Es habe vor der Sommerpause eine Information des Parlaments über die Einsätze der US-Spezialkräfte im deutschen Kommandogebiet gegeben.

Zwielichtiger Geheimdienst

Weiter enthalten die Dokumente zahlreiche Hinweise darauf, dass der pakistanische Geheimdienst ISI die Aufständischen in Afghanistan unterstützt. Vor allem in Berichten aus den Jahren 2004 bis 2007 werde deutlich, dass der ISI einer Reihe von Taliban-Kämpfern half und ihnen in Pakistan Unterschlupf gewährte. Die pakistanische Regierung wies die Vorwürfe zurück.

Pakistan, Afghanistan und die USA seien strategische Partner im Kampf gegen Taliban und Al Qaeda, sagte Pakistans Botschafter in Washington, Husain Haqqani, gegenüber pakistanischen Medien. Daher würden auch Militär und Geheimdienst die Regierungspolitik „effektiv umsetzen“.

* vgl. auch Video auf der Hintergrund-Startseite: Julian Assange erläutert, warum er entschied, die Geheimdokumente auf Wikileaks zu veröffentlichen.


(1) Der Spiegel, Nr. 30, 26.07.2010, S. 84

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(2) http://www.guardian.co.uk/world/blog/2010/jul/26/afghanistan-war-logs-wikileaks#A

(3) http://www.nytimes.com/2010/07/26/world/asia/26warlogs.html?_r=1&ref=todayspaper

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