Der Tod, ein Meister aus Deutschland
Der deutsche Faschismus fiel nicht vom Himmel, er hatte eine Vorgeschichte. Das gilt auch für die von ihm verübten Verbrechen, an denen unter anderem Mediziner beteiligt waren. Eine persönliche Auseinandersetzung. Teil 1

Der Schock des Verbrechens
Etwa mit zwölf Jahren, um das Jahr 1961, erhielt ich Kenntnis von den Grauen der national-sozialistischen Vergangenheit. Der Schock erschütterte mein Vertrauen in die Erwachsenenwelt bis ins Mark. Meine Eltern und Lehrer, die ich als fürsorgend erlebte, mein gesamtes Lebensumfeld war in jener Zeit dabei gewesen, aber niemand wollte darüber reden. Fragen wurden schnell unwirsch abgewiesen. „Das verstehst du nicht. Es waren schlimme Zeiten, der Krieg und die Bombennächte. Die anderen haben auch Schlimmes gemacht. Dresden war ein Flammenmeer.“ Meinem Lateinlehrer, der redlich bemüht war, uns die Antike näherzubringen, entfuhr manchmal verärgert ein Satz, den ich damals nicht verstand: „Sie mit Ihrer Kopfform müssten das eigentlich begriffen haben!“
Das Schweigen meiner Erwachsenengeneration ließ mich auf anderen Wegen nach Erklärungen suchen. Als Sechzehnjähriger erlaubten mir Eltern und Lehrer, an einem Schülerkongress in Frankfurt teilzunehmen. Sie wussten nicht, dass es sich dabei um die Gründung eines Ablegers des Sozialistischen Studentenbundes für Schüler handelte. Erstmals bekam ich Zugang zu neuen Informationen und Kontakt zu Menschen, mit denen ich über solche Themen sprechen konnte. Ich verschlang Alexander Mitscherlichs Buch Medizin ohne Menschlichkeit und danach Die Unfähigkeit zu trauern, das er gemeinsam mit seiner Frau Margarete Mitscherlich geschrieben hatte. In mir brannte der Wunsch, die Verbrecher dieser Zeit, die ja doch weitgehend noch ungeschoren in der Gesellschaft lebten, zu identifizieren. Ich wollte, sie mögen für ihr Verhalten bestraft werden.
Als Medizinstudent wählte ich „Grundelemente der Rassenkunde und Rassenhygiene der Weimarer Zeit“ als Thema meiner medizinhistorischen Dissertation. Dabei untersuchte ich zwei Standardwerke der Fächer „Rassenlehre“ und „Rassenhygiene“. Anfangs noch sehr zentriert auf die Identifizierung von Tätern, richtete sich mein Fokus bald auf eine andere Frage: Welche Umstände haben führende Gesellschaftsschichten, die Ärzte, die Juristen, die Politiker und die Medienschaffenden, dazu bringen können, zu tragenden Pfeilern eines Unrechtssystems zu werden?
Der 1964 verstorbene Historiker Karl Heyer sah in jener Entwicklung nicht nur ein singulär deutsches Problem, sondern stellte sie in den Zusammenhang mit einer Warnung vor künftigen Fehlentwicklungen:
Kann man etwa glauben, dass mit dem Sturze Hitlers die Attacken des Bösen schon zum Abschluss gekommen seien? War der Nationalsozialismus nicht vielleicht umgekehrt nur ein Anfang, wie es z. B. die religiösen Urkunden des Christentums erwarten lassen? Spricht nicht vieles dafür, daß das deutsche Volk nur einen gewissen Vorsprung vor der übrigen Welt gehabt hat auf der Bahn des Unheils, das, wenn auch in verschiedener Ausprägung, die ganze Menschheit bedroht? Wie sehr käme es dann für alle Menschen darauf an, durch rechte umfassende Würdigung dieser ersten Erscheinung Erfahrungen zu sammeln, Einsichten und Kräfte zu gewinnen, um spätere Attacken recht zu bestehen. 1
Ich verstand die Mahnungen dieses Historikers in keiner Weise relativierend bezüglich der Verantwortlichkeit Deutschlands, sondern als die Aufforderung, um der Zukunft willen tiefer in das Verständnis einzusteigen. Mein Blick richtete sich nun auf den Vorlauf, der den Schrecken Realität werden ließ.
Geistige Vorläufer
Die praktizierte Eugenik des Nationalsozialismus hatte viele geistige Väter. Erstmals 1798 beschwor der britische Ökonom Thomas Robert Malthus einen Kampf der Menschen ums Dasein, weil einer wachsenden Bevölkerung nur ein statischer Lebensraum zur Verfügung stehen würde. 2 Der Franzose Joseph Arthur Comte de Gobineau, bekannt geworden als Rassenideologe, konstruierte 1853 in seiner Schrift „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“ einen „Sturz der Civilisation“ durch Blutmischungen von drei „Grundrassen“, wobei seiner Meinung nach es den „Ariern“ als Eliterasse zustände, die Welt zu beherrschen. 3 Diese ersten Vorläufer rassistischer Thesen kamen aus Kreisen der feudalistischen Restauration und fanden noch keine Breitenwirkung. Erst als Charles Darwin nach einer Südamerika-Expedition seine Forschungsergebnisse 1859 in „Über den Ursprung der Arten“ durch natürliche Auslese niedergelegt hatte, bekam die Auslese bei verschiedenen Spezies oder Rassen ein wissenschaftliches Fundament. 4 Darwins Entwurf eines Gesetzes zur Entstehung der Artenvielfalt durch Variation und deren Selektion, entsprechend der besten Anpassung an die Umgebung, war wissenschaftlich gut belegt. Darwin selbst hatte seine Evolutionsthese nicht auf den Menschen und das menschliche Sozialleben angewendet. Aber seine beeindruckenden Ergebnisse beflügelten einen wissenschaftlichen Monismus, die Annahme eines allgemeingültigen, grundlegenden Naturgesetzes, auf das alle Erscheinungen des Lebens zurückzuführen seien. Darwins Erkenntnisse erschienen der Schlüssel für eine Ablösung von der bisherigen religiösen Geist-Materie-Dualität hin zu einem Aufbruch einer Ontologie [Anm. d. Red: die Lehre vom Sein bzw. Seienden], die allein materielle Gesetzmäßigkeiten anerkennt.
Fortschritt und Unsicherheit
Die Wissenschaft hatte sich vom „Ablauschen“ der Geheimnisse einer „göttlich“ erschaffenen Natur und von holistischen Reflexionen, die bis ins 18. Jahrhundert bestimmend waren, zu einer faktenorientierten Analyse materiell fassbarer physikalisch-chemischer Vorgänge hin entwickelt. Die großen Erfolge der analytischen, Kausalketten erforschenden Naturwissenschaft hatten ein Feuerwerk an technischen Innovationen in Gang gesetzt, und diese schienen einen schlüssigen Beweis für die Richtigkeit eines neuen Weltbilds zu liefern, das sich ganz auf die Existenz des Materiellen stützte. Mit der Erwartung, mit Hilfe der Wissenschaft einst die letzten Geheimnisse des Lebens zu entschlüsseln, erschien das philosophische Ringen um metaphysische Fragen überflüssig.
Die Wandlungen um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren andererseits aber von einem tiefen Einbruch ins bisherige Lebensgefühl geprägt. Eine bis dahin unbekannte Entfremdung ergriff die Gesellschaft. Mit der Industrialisierung lösten sich die sozialen Bande der Familien und dörflichen Gemeinschaften. Die Anonymität städtischer Lebensweisen wurde nun zur Normalität. Die Arbeitswelt war von der Produktion von Dingen geprägt, die keinen Bezug mehr zur Natur und zum eigenen Leben hatte. Die Schlote der Fabriken, die prekäre Lebensbedingungen der Arbeiter und ein verbreitetes soziales Elend begleiteten wie ein düsterer Schatten die technologischen Fortschritte.
Im Kontext einer schwindenden Bedeutung religiöser Gebote, der Erfolge von Naturwissenschaft und Technik und der Zuspitzung prekärer sozialer Verhältnisse lag es nicht mehr fern, die Evolutionsgesetze auf das menschliche Sozialleben zu übertragen. Bereits der Naturforscher Sir Francis Galton, ein Vetter Darwins, zog aus der Evolutionstheorie den Schluss, dass der Mensch in eine fehlerhafte Selektion eingreifen und die menschliche Fruchtbarkeit lenken müsse. Angelehnt an die Gesetze der industriellen Produktion, etablierte sich allmählich eine Wertbetrachtung der Menschen je nach ihrem Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft. Genetischer Determinismus, die Gebrauchswertbetrachtung des Kapitalismus und die zunehmenden Kluften zwischen Arm und Reich ließen aus sozialdarwinistischer Perspektive die negativen Begleiterscheinungen der industriellen Transformation nicht als menschenverantwortet, sondern als naturgegeben erscheinen. Darwins Erkenntnisse schienen wissenschaftlich zu beweisen, dass es ein Naturrecht der optimal Angepassten oder, vereinfacht gefasst, ein „naturgegebenes Recht des Stärkeren“ gebe. Damit wurde jeder entsprechend seiner Gene für seine Stellung im kapitalbestimmten Gefüge selbst verantwortlich gemacht.
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Dr.med. ERICH FREISLEBEN, Jahrgang 1949, Facharztausbildung zum Internisten an der Infektiologischen Abteilung des Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin, war von 1986 bis 2022 als niedergelassener Hausarzt tätig. Er promovierte in der Geschichtsmedizin zum Thema Rassenhygiene und Rassenideologie. Im Juni 2020 veröffentlichte er das Buch „Medizin ohne Moral“, im Juni 2021 folgte das Buch: „Ansichten eines Hausarztes – Wege aus dem Corona-Dilemma“ und schließlich im November 2022 erschien das Buch „Sie wollten alles richtig machen – Dokumentation eines verschwiegenen Leidens“. Auf dem Boden seiner Erfahrung in der Behandlung von über dreihundert schweren Schäden nach Covid-19 Impfungen engagiert sich Dr. Freisleben auch nach seiner Praxisabgabe für die Erforschung und Anerkennung von Impfschäden.
1 Karl Heyer, Wesen und Wollen des Nationalsozialismus, Basel 1991
2 Thomas Robert Malthus, „An Essay on the Principle of Population“, 1798
3 Arthur Comte de Gobineau, „Essai sur l’inégalité des races humaines“, 1853/54
4 Charles Darwin, „On the Origin of Species by Means of Natural Selection or of the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Live“, 1859