Grenzen überwinden
Die Bundeswehr will zur Ertüchtigung für den großen Krieg gegen Russland die "unsichtbare Wand" zur Zivilgesellschaft durchbrechen und treibt die totale Militarisierung unserer Alltagskultur und Lebenswelt voran.
Bundeswehr-Werbung; Foto: Rumen MilkowDeutschland soll Farbe bekennen. Im öffentlichen Raum seiner Städte entfaltet sich auf Video- und Plakatwänden, Verkehrsmitteln etc. ein Traum in Tarnpolygon – das grafisch verfremdete Flecktarnmuster (bestehend aus Dunkelgrün, Hellgrün, Graugrün, Rotbraun und Schwarz, von dem es auch Varianten gibt, etwa Tropentarn), seit 2019 Corporate Design der Bundeswehr. Bis 2029 soll Flecktarn durch das heute schon von Spezialkräften verwendete Multitarn abgelöst werden. Ausschlaggebend für diese Entscheidung sind die Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg gewesen: Die Gefechte des High-Tech-Krieges verlagern sich immer mehr in den urbanen Raum (dort bietet Multitarn eine bessere Camouflage) – wo auch der Kampf um die Köpfe und Herzen stattfindet, um Militarisierung als akzeptierten Normalzustand der Gesellschaft durchzusetzen.
Die Vorinszenierung des nächsten großen Krieges gegen Russland findet bereits bis hinein in die letzte Nische der Alltagskultur statt. Die Regisseure wollen ein in der Ukraine erfolgreich erprobtes Prinzip in Deutschland anwenden: „totale Verteidigung“, wie Nico Lange den totalen Krieg nennt. „Die gesamte Gesellschaft wurde mit Kriegsbeginn auch zur Ressource für die Mobilmachung der ukrainischen Streitkräfte. Die Bilder der langen Schlangen der Ukrainerinnen und Ukrainer vor den Rekrutierungsbüros ab dem 24.2.2022 gingen um die Welt“, schwärmt der Militäranalytiker der Münchner Sicherheitskonferenz in seiner Studie „Wie Russland geschlagen wird. Was die Streitkräfte der NATO von der ukrainischen Landesverteidigung lernen sollten“ (Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München gehört zu den Koautoren). Um eine vergleichbare Einsatzbereitschaft zu erlangen, ohne dass Invasoren die NATO-Ostflanke durchbrochen haben und auch nur eine reale Gefahr besteht, ist eine besonders ausgeklügelte Kriegsbegeisterungs- Einflüsterung gefragt, vermittelt durch strategische Kommunikation.
Diese müsse „kreativ und geschickt“ sein, so Lange, und „ihr Publikum zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichen“. Das funktioniere am besten mit „Musik, Tieren, Kindern, Familien und dem gesamten Register der Emotionen von Freude, Trauer, Angst, Wut, Schreck und Erleichterung“ – also mit den Konzepten von Reklame und Unterhaltung. Nico Lange schildert eine Propaganda-Videoszene auf den Online- Plattformen, die er offenbar perspektivisch auch mit deutschen Soldaten als Hauptdarstellern sehen möchte: „‚Der Frühling wird kommen.‘ Zu dieser Melodie kommt eine Soldatin der ukrainischen Kampftruppen zum Fronturlaub nach Hause. Ihre kleine Tochter, die sie seit Monaten nicht gesehen hat, rennt ihr in Gummistiefeln entgegen, so schnell sie kann. Der Familienhund wedelt irgendwo dazwischen freudig aufgeregt mit dem Schwanz – dann liegen sich alle in den Armen.“ 1
Markenbotschafter
Die gesamte zivile Lebenswelt soll sich in ein einziges Operationsfeld verwandeln – am besten ohne dass die Beeinflussung den Ziel- objekten auch nur ansatzweise bewusst wird. „Wir haben mit unseren Plakaten, Youtube- Serien usw. bestimmte Grenzen, wo wir hinkommen“, die konventionelle Werbung würde sofort als solche erkannt, erklärte Oberstleutnant Marcel Bohnert, Kommunikationsexperte der Bundeswehr in einem Vortrag an der Offizierschule des Heeres in Dresden im Juni 2025. Mit einem real existierenden Menschen, der auf einem privaten Social-Media-Kanal „seine Geschichte“ erzählt – „ich beim Sport, ich und meine Familie, ich auf meinem Weg in die Kaserne“ –, könne aber die „unsichtbare Wand“ zu den Adressaten durchbrochen werden. Bohnert will Soldaten nach dem Vorbild von Konzernen, die Beschäftigte mit großer Reichweite in den sozialen Medien in ihre Werbekampagnen einbinden, effizienter als „Markenbotschafter“ einsetzen. Dafür hat er ein „Corporate-Influencer-Modell“ entwickelt. „Es hat sich etwas gebildet, das wir ‚Social-Media-Division‘ nennen.“ 2
Dieses Influencing wird auch schon seit Jahren durch die Produktion von Bundeswehr-Reality-Soap- und Reportage-Serien wie „Mali“, „KSK“ und dem „Zeitenwende“-Vierteiler „Unsere Bundeswehr: Missionen, Menschen, Emotionen“ mit subjektivem „Storytelling“ aus unmittelbarer Alltagsnähe vorangetrieben. Da können Soldaten bei der Morgentoilette, beim Bettenbauen und Spaghetti-Bolognese-Kochen beobachtet werden. Damit der Zuschauer mitessen kann, hat die Bundeswehr als PR- Maßnahme für ihre bekannteste Youtube- Serie „Die Rekruten“ Pizzaverpackungen in Tarnpolygon mit der Aufschrift „Ab jetzt wird die Ernährung umgestellt“ bedrucken und kostenlos an Fast-Food-Läden verteilen lassen (Kosten: 202.000 Euro). Die Ansage von Verteidigungsminister Boris Pistorius, der Platz der Bundeswehr sei „in der Mitte der Gesellschaft“, muss auch auf dem Wohnzimmersofa gelten.
Krieger-Elite
Dass es aber nicht nur um die Fabrikation des Soldaten zum Anfassen geht, der als Freund und Helfer wahrgenommen werden soll, wie es sich Bohnert wünscht, wird deutlich, wenn man sich die Selbstinszenierung der „starken Truppe“ anschaut: Der »Bürger in Uniform« hat ausgedient. NATO-Strategieberater und Bundeswehroberst a. D. Ralph Thiele hatte 2022 gefordert, dass angesichts der „schrecklichen Taten“ des „sehr, sehr rabiaten“ russischen Gegners nun ein „Kulturwandel für den Soldaten“ nötig sei, ein „besonderer Typus“ mit hoher Motivation müsse her: „Wir brauchen de facto Krieger.“
Am 1. Juni 2025 erlebten Football-Fans beim Spiel Frankfurt Galaxy gegen die Paris Musketeers einen außergewöhnlichen Einlauf der Teams: Einer Abordnung von Bundeswehrsoldaten in Dienstuniform, die die Deutschlandfahne ins Offenbacher Stadion „Am Bieberer Berg“ trugen, folgte eine Gruppe von Kämpfern des Jägerbataillons 1 aus Schwarzenborn in voller Montur, um auf dem Rasen zu knien und Gefechtshaltung mit ihrem Sturmgewehr im Anschlag einzunehmen. Dabei schritt eine Soldatin auf den Schiedsrichter zu und überreichte ihm feierlich den Ball für das folgende Match. Die Mannschaft von Frankfurt Galaxy spielte in Tarnpolygon- Trikots. Das martialische Spektakel, das in Anlehnung an den US-amerikanischen Veteranenkult „Salute the Troops“ hieß, wurde von einem Militärjahrmarkt begleitet mit „Karriere-Truck“ und Waffenschauen. Ausreichend Applausmasse wurde durch freien Eintritt für gegenwärtige und ehemalige Armeeangehörige aufgebaut, die in großer Zahl erschienen. Bei anderen Begegnungen präsentiert das Wachbataillon der Bundeswehr (noch sehr unbeholfen) Drillshows. 3 Solche Auftritte häufen sich. Bei Fußball- und Eishockeyspielen taucht vermehrt auf Banden und Anzeigentafeln Bundeswehrwerbung auf – etwa mit der Parole „Grenzen überwinden“ 4, deren doppeldeutige Aussage nicht zuletzt als Ausdruck des wiedererwachten „Drang nach Osten“ zu verstehen ist.
„Ehre, Respekt, Anerkennung“ und „diszipliniert, ruhig und voller Stolz“ – mit solchem Pathos kommentierte NXTGEN Athlete die Ereignisse des „Salute the Troops“-Tages und huldigte der eingeschworenen „Gemeinschaft“, in der man „Teil des Ganzen“ sein kann. 5 Das 2022 während eines Einsatzes im Niger gegründete Start-up mit einem Expertenteam, in dem einige Mitglieder bereits an Armee- Kommandounternehmen teilgenommen haben, bietet Programme zur Vorbereitung auf Auswahlverfahren für Spezialeinheiten zur Stählung von Geist und Körper eines neuen Typs von Kämpfer an. „Mit persönlichem Messenger-Support, interaktiver Trainings-App und regelmäßigen Live-Calls mit erfahrenen Spezialkräften begleiten wir dich rund um die Uhr auf deinem Weg zur Elite“, verspricht NXTGEN Athlete auf seiner Website und betont: »Wir sind mehr als nur ein Coaching. Wir verstehen uns als Wegbereiter für eine leistungsfähige, widerstandsfähige und mental starke Gesellschaft.“ 6
Der Krieger, der von der gesamten Bevölkerung „mitgetragen werden“ soll, wie Thiele es für notwendig hält, braucht diese auch als Werbeträger. Im Deutschen Panzermuseum in Munster beispielsweise werden neue Maßstäbe für Kampagnen gesetzt, mit denen man modebewusste junge Leute mit „Political-Correctness“- Anspruch erreichen kann, die für Waffenfetischismus und Macho-Helden mit dicken Muskelpaketen eher nicht zugänglich sind: Dort baut man nicht nur semantisch eine Brücke zur Subkultur des beliebtesten Volksports mit einem T-Shirt für die „Ultras“ der „FDGO“ (freiheitlich-demokratische Grundordnung) – es werden auch Hoodies mit dem Aufdruck „Woke & Wehrhaft“ und „Panzer:innen“ vertrieben. 7
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SUSANN WITT-STAHL geboren 1961, lebt und arbeitet als freie Journalistin und Autorin in Hamburg. Seit 2014 ist sie Chefredakteurin des Kulturmagazins Melodie & Rhythmus und schreibt u. a. für die Tageszeitung junge Welt. Arbeitsschwerpunkte: Prowestlicher Faschismus, Ideologiekritik der modernen Kriege, der Kulturindustrie und der imperialen Linken. Veröffentlichungen (Auswahl): „Antifa heißt Luftangriff!“ Regression einer revolutionären Bewegung (Hg. mit Michael Sommer 2014); Gegen Entfremdung. Lyriker der Emanzipation und streitbarer Intellektueller. Gespräche über Erich Fried (mit Moshe Zuckermann 2021); Der Bandera-Komplex. Der ukrainische Faschismus – Geschichte, Funktion, Netzwerke (Hg. 2024).
1 degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2024-1003/html?lang=de&srsltid= AfmBOoo29Eb1nNqyuF_swG6g9vn2n0ighci9FkAnQk08Zhu0NEdQoiY0
2 youtube.com/watch?v=oR4bJ4rwof0
3 youtube.com/watch?v=_61cdYMQfA0
4 dfg-vk.de/kritik-an-bundeswehr-rekrutierung-beim-finaltag-der-amateure/#
5 instagram.com/reel/DKZ4JaMs_FH
6 nxtgen-athlete.com
7 merchandise.daspanzermuseum.de/alles