Kriege

Markenbotschafterinnen für Krieg und Tod*

Frauen sind gefragt. Aber nur bestimmte. Weiblich wirkende Expertise ist derzeit besonders populär, allerdings unter auffälliger Bevorzugung von Kriegsfortsetzungsbefürworterinnen.

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Foto: ErikaWittlieb; Quelle: Pixabay; Lizenz
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Eine Agnes Strack-Zimmermann stellt zwar einen gewissen Prototyp weiblicher Kriegsaffinität und Waffenlobbyismus dar, sie wird aber durch die Neuzeit abgelöst. Der Krieg verändert sein Image, denn die Kriegspropaganda ist jünger und hübscher geworden. Wenn es um die Abwehr diplomatischer Lösungen oder die Erklärung und Rechtfertigung von steigenden Wehr- und Rüstungsausgaben geht, ist die eingeholte Expertise bevorzugt weiblich.

Blick zurück nach vorn

Aber erst im Rückblick wird klar, mit welcher Entwicklung wir es hier zu tun haben. Und manchmal sagt eine Talkshow, die 15 Jahre alt ist, mehr als die aktuelle Berichterstattung oder Kommentierung. Als Peter Scholl-Latour in der TalkSHOW „3vor9“ im Januar 2009 dem Moderatorenduo Giovanni di Lorenzo und Anne Fried Rede und Antwort steht, kann er am Beginn der Sendung noch nicht ahnen, was auf ihn zukommt. Sonst hätte er vielleicht nicht mit der Selbstbezeichnung „Die Erinnerungen eines alten Mannes“ begonnen. Ihm gegenüber sitzt die junge schöne Münchnerin Melody Sucharewicz, die nach Israel ausgewandert ist und als Siegerin der israelischen Casting-Show „The Ambassador“ nun als Markenbotschafterin Israels durch deutsche Medien tourt. Dem fehlenden Argwohn zu Beginn der Sendung, in der man schnell auf den Krieg in Gaza zu sprechen kommt, weicht plötzlich ein Moment der Erkenntnis – noch nicht nach der ersten Unterbrechung von Sucharewicz, die im Gegensatz zu Scholl-Latour das militärische Vorgehen Israels in Gaza rechtfertigt – aber im Fortlauf, als er merkt, dass es sich entgegen seiner Erwartung nicht um eine sachklärende Debatte handeln soll, sondern um eine gefühlsagitierende PR-Kampagne für die israelische Regierungspolitik.

Nachdem sich Scholl-Latour auf die Diskussion eingelassen hatte, blitzt es bei Min 15 plötzlich in seinen Augen auf, als ihm klar wird, dass es hier um Framing geht: Neben Sucharewicz trägt auch der Transatlantiker Cem Özdemir dazu bei, Scholl-Latour als etwas senilen, nicht mehr auf der Höhe des Verstandes befindlichen Welterklärers, der die Hamas verharmlose und Israels Recht auf Selbstverteidigung in Frage stelle, erscheinen zu lassen. Soweit, so üblich geworden inzwischen und wieder aktuell.

Die Aufmerksamkeit hier gilt „Melody“, die von Moderationsseite sehr vertraulich mit ihrem Vornamen angesprochen wird. Nicht nur, dass es ihr mühelos gelingt, den inzwischen verfestigten Doppelstandard, wenn es um Israel in Bezug auf das Völkerrecht geht, in ruhigem Ton zu propagieren, sie steht auch stellvertretend für einen Trend von Öffentlichkeitsarbeit, der sein Zielpublikum über die großen Medien sucht. Mit blondem lockigem Haar, das Image eines Unschulds-Engels ausstrahlend, vertritt sie die Interessen der israelischen Regierung gemäß ihrem Auftrag – alles dafür zu tun, dass diese ihre Politik mitsamt der Menschen- und Völkerrechtsverstöße nicht ändern muss.

Sucharewicz gewinnt in der genannten Sendung die Charmeoffensive, ihre Behauptungen werden von den ModeratorInnen, die keine kritische Journalistenperspektive einnehmen, nicht hinterfragt. Aus Sicht der Public Relations sind Markenbotschafter à la Melody win-win, denn die Reichweite und (journalistische) Glaubwürdigkeit, die sie in den Medien erhält, ist quasi unbezahlbar: Und sollte es zu einem Skandal kommen, wofür Social Media eingeplant ist, dann gehen Figur und Aussage viral und man erhält noch mehr Aufmerksamkeit – Earned Media nennt sich das im Fachjargon; also unbezahlte, quasi gewonnene Werbung und Reichweite, die man auch durch Widerspruch erzielt. Das beschriebene Phänomen gehört zu den Strategien im populär gewordenen Nation Branding, das ein Hörspiel-Feature für Deutschlandfunk und DeutschlandfunkKultur 2020 vorstellt. Rauschgoldengel Sucharewicz gehört zu dem inzwischen verbreiteten Phänomen weiblicher Markenbotschafter.

Es lohnt, die Sendung noch einmal anzugucken, weil die Stehsätze Sucharewicz‘ heute immer noch die gleichen sind, die als Behauptungen über ein sich „nur verteidigendes Israel“ durchgehen, aber einer Faktenprüfung oftmals nicht standhalten. Ihr stark framender Beitrag, der alle Buzz-Words der Nicht-Konflikt-Lösung beinhaltet, beschränkt sich aber nicht nur auf eine positive Imagepflege Israels, sondern hilft Gewalt gegen Palästinenser zu rechtfertigen. Genaugenommen handelt es sich also um Reputationsmanagement für mehr Krieg und Landnahme unter der Prämisse bzw. dem Framing, dass es sich um Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen für „jüdisches Leben“ handele. Wer würde wagen, ihr zu widersprechen? Kann die Logik einer hübschen, engelsgleichen Frau knallhart und gnadenlos sein? Sie kann. Diese Erkenntnis wie auch die der Aussichtslosigkeit, dieses Unterfangen in der TalkSHOW-Konstellation aufzuklären, liegt im Blick Peter Scholl-Latours.

Markenbotschafter

… sind normalerweise Teil des Reputationsmanagements von Unternehmen oder Organisationen, die ihre Botschaft mit einer positiv assoziierten Person – gerne einem Star mit möglichst großer Fangemeinde – verknüpfen und somit positiv framen wollen. Ein Markenbotschafter muss dabei gut ausgesucht sein und auf ein gewisses Gefahrenpotential genau untersucht werden, denn mit seinem Aufstieg kommt auch gerne der Fall für den Geldgeber. Wenn etwa die Ikone der Zigarettenwerbung an Lungenkrebs erkrankt, ein herausragender Fahrradstar des Dopings überführt wird oder störende Fakten aus dem Privatleben eines Botschafters ans Tageslicht kommen, kann der Schuss nach hinten los gehen – im übertragenen Sinne. Um echte Schüsse mit scharfer Munition geht es beim Kriegsmarketing, das dieser Tage Hochkonjunktur hat. Und da lässt sich seit einiger Zeit das Phänomen weiblicher Markenbotschafter für mehr Krieg beobachten.

Namen wie Claudia Major, Jana Puglierin, Florence Gaub, Jessica Berlin und vielleicht auch Sylvia Sasse mögen einem da in den Sinn kommen – mindestens. Von der angeblichen „feministischen Außenpolitik“ zur ebenso vermeintlich „feministischen“ Kriegspolitik ließe sich dann schlussfolgern. Was historisch schon einmal völlig klar war – nämlich, dass Krieg ein Versagen und unvereinbar mit Feminismus und Fortschritt ist – ist heute angeblich ganz anders. Clara Zetkin, Rosa Luxemburg und Anita Augspurg oder Petra Kelly wussten, dass Emanzipation für Friedensarbeit steht und der Krieg immer zum Nachteil gerade für Frauen und Kinder ist. Inzwischen würde man hinzufügen: für die Umwelt und die Grundlagen des menschlichen Überlebens überhaupt. Nun kommt heutzutage die moderne Kriegspropaganda konterkarierend „feministisch“ daher.

Vielleicht deshalb sind Militärs seit der Zeitenwende 1999, als die Bundeswehr auf dem Balkan erstmals in den Krieg zog – übrigens völkerrechtswidrig – gut beraten, eine gleichstellende Emanzipation in Sachen Wehrdienst zu betonen, die 2001 auch formal umgesetzt wurde. Seither dürfen Frauen jede Form von Kriegsdienst leisten, auch an der Waffe. Alice Schwarzer, die diese Art von „Gleichberechtigung“ schon seit Jahrzehnten forderte, mag damit zufrieden gewesen sein – ihre eng an männliche Normen angelegte Emanzipationsvorstellung ist ja bekannt. Da drehte sich Petra Kelly nach ihrer Ermordung 1992 bereits im Grab.

Während die Diskussion um Wehrdienst auch für Mädchen aus Gründen der „Geschlechtergerechtigkeit“ gerade wieder Hochkonjunktur hat, wird die geschlechterspezifische Rollenverteilung von Männern und Frauen in ihren Biografien ignoriert. Oder, um es klar und kriegstüchtig auszudrücken: Woher sollen denn die Soldaten kommen, wenn sie nicht geboren werden?

In der Debatte hilft es, dass die weltweit aktiven Friedensfrauen in der Geschichte und aktuell nicht als Ikonen des emanzipativen Fortschritts gelten, etwa die Begründerinnen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF) 1915 in Den Haag, sondern lächerlich gemacht oder ganz ausgeblendet werden. So ist der Weg frei für eine vermeintlich „feministische“ Kriegspropaganda.

Emanzipiert für mehr Krieg

Mit sog. Soft Power Strategien, die jenseits von Zwang und Gewalt werbenden Charakter haben, wird Krieg nun als emanzipatorisches Fortschrittsprojekt verkauft. In die frühere Männerdomäne dringen vergleichsweise junge Frauen, die in den 1970er bis 1990er Jahren geboren wurden und mit knallharten Kriegslösungen aufwarten. Natürlich sind weiterhin männliche Befürworter von Kriegsstrategien aktiv, die mit medialer Unterstützung ihr Publikum erreichen: Carlo Masala, Christian Mölling oder Nico Lange beispielsweise. Egal wie sehr sie mit ihren Einschätzungen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine daneben lagen, sie bleiben „Experten“ im medial-politischen Sinne. Dabei erhalten sie aber heutzutage erst Glaubwürdigkeit durch die Bestätigung der Trendwende hin zum Krieg als Non-plus-Ultra qua Geschlecht. Denn nur durch die weiblichen Kriegsbotschafterinnen wird glaubhaft vermittelt, dass Krieg in und nicht out sei.

Dazu gehört die Deutsch-Französin Florence Gaub, die sich in Markus Lanz’ TalkSHOW am 12.04.2022 mit folgender Aussage bekannt machte: Russen sähen zwar europäisch aus, jedoch seien sie „keine Europäer im kulturellen Sinne“ und hätten einen anderen Zugang zum Leben und damit auch zum Tod. Als „Expertin“ des NATO-eigenen „Defence College“ in Rom, für das auch Masala tätig war, wird sie bei Watson als „Wissenschaftlerin“, bei der ZEIT als „Militärstrategin“ geführt, sowie als „Zukunftsforscherin“ vor allem im Kulturbereich. So fiel sie besonders bei der Deutschen Filmpreis-Verleihung (LOLA) 2025 auf, wo sie als einzige nicht-Künstlerin eine Rede hielt. Auch wenn Gaub bei der Veranstaltung der gesamten deutschen Medienfamilie nicht direkt für Militär und Krieg warb, so wird ihre Rolle als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens immer wichtiger, wofür weitere Auftritte im Kulturkontext stehen.

Dies ist im Kunst- und Kulturbereich, der nur vermeintlich weit weg scheint, nicht zu unterschätzen. Bereits aus der Zeit der Kraina-Offensive Kroatiens gegen Serbien in den 1990er Jahren ist bekannt, wie man mit Kultur für die Reputation des Landes mitsamt seines Krieges warb – orchestriert von den Zaghreber Symphonikern, die auf Geheiß einer US-amerikanischen PR-Agentur just zu dem Zeitpunkt auf Tournee ging. Medienforscher Jörg Becker hat diese Art des Kulturmarketing als Teil von Kriegspropaganda identifiziert.

Die Reihe setzt sich fort mit der etwas unvermittelt aufgetauchten Deutsch-Amerikanerin Jessica Berlin. Ihre Einlassungen über bzw. gegen Russland erscheinen oft so, als kenne sie Wladimir Putin persönlich (eine „Putin-Versteherin“ im eigentlichen Sinne also). Das liest sich auf X dann so: „Putin interessiert sich nicht für Pressemitteilungen aus Brüssel, sondern nur für Stärke. Jedes Zeichen von Schwäche lädt nur mehr russische Aggression ein. Wir schießen nicht mal ihre Drohnen ab, die über Bundeswehreinrichtungen in Deutschland fliegen.“ Im eingegliederten Video des Internationalen Frühschoppens der ARD wirbt sie für den Abschuss russischer Flugobjekte und meint, dass alle zu feige seien und längst gehandelt werden müsse. In einem anderen Video auf einem anderen X-Account warnt sie in perfektem US-amerikanischem Englisch vor der falschen Blaupause für China und andere Diktaturen, wenn Russland in der Ukraine nicht vernichtend geschlagen würde. Dabei lässt die GMF-Alumna die US-amerikanischen Blaupausen für völkerrechtswidrige Angriffskriege, die Putin gedient haben könnten, geflissentlich aus. Das bezeugt den strategischen Charakter ihrer eskalationstreibenden Argumentation. Zu den neuen Wehrdienstplänen im Bericht aus Berlin postet sie auf X: „Der schnellste und kostengünstigste Weg, um zu verhindern, dass junge Menschen für die Verteidigung unseres Landes kämpfen müssen, besteht darin, der Ukraine jetzt mit allen möglichen Mitteln und Maßnahmen zu helfen, die russische Invasion abzuwehren.“ Es wird also nicht nur jede Gelegenheit genutzt, für eine Kriegsfortsetzung bzw. -ausweitung in der Ukraine zu plädieren; sondern deren instrumentelle Betrachtung als Bollwerk wird ebenso deutlich.

Berlin sprach auf dem NAFO-Fella Funding-Summit in Vilnius, einem mehrstündigen Side-Event des NATO-Gipfels in der Stadt 2023. Dort wurde die sog. Vatnik-Soup-Strategie entwickelt, die uns seither NAFO-Fella Hunde-Avatare in Social Media beschert, die teils als Bots alles angreifen, was sich nicht im Sinne der NATO äußert.

Bei den uniformierten Hündchen-Memes, die auf Social Media differenzierte Stimmen angreifen und sie mit einstudierten Unterstellungen zu diffamieren suchen, handelt es sich laut Deutschlandfunk – der diese Gründungskonferenz anscheinend übersehen hat – um eine Graswurzel-Bewegung mit engagierten Leuten, die undefinierter „russischer Propaganda“ etwas entgegensetzen wollen. Das ZDF räumt nach zunächst fast euphorischer Berichterstattung über das Phänomen ein, dass diese Memes v.a. mehr Waffen-Finanzierung für die Ukraine erreichen wollen.

Beim besagten NAFO-Summit wurden die Agitationsstrategien teilweise explizit genannt: Targeting unliebsamer Personen, Lächerlichmachung statt Auseinandersetzung mit deren Argumenten als Silencing-Strategie. Es geht also nicht um Aufklärung, sondern ums Niederbrüllen. Im Grunde gehört der umstrittene Twitter-X Account von „Lena Berger“ auch in diese Kategorie, sowohl in die der Pressure-Accounts pro Kriegsverstärkung als auch in die der jungen Frauen für ausschließlich militärische Lösungen. Während die echte Identität bisher ungeklärt bleibt, agiert der Account exakt so, wie es auf dem besagten NAFO-Summit empfohlen wurde. Eine Begrüßungsnote für den NAFO-Fundraising-Summit hält via Video übrigens die heutige EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, wo sie sich für ihren eigenen Fella-Avatar bedankt.

Als „NAFO-Fella“ explizit geoutet hat sich auch Claudia Major, die in unseren Medien besonders viel gefragte „Expertin“ der regierungsnahen Stiftung SWP. Sie tritt immer dann an, wenn es gilt, jedes russische Versöhnungszeichen – so etwa die Rede Putins im Bundestag in der ARD-Serie zur Kanzlerschaft Angela Merkels – als hinterhältigen Trick zu deuten oder Sahra Wagenknecht bewusste Desinformation zu bescheinigen. Major wurde 2025 mit einer Mercator-Professur ausgestattet.

Die ZEIT widmete ihr den Titel eines ganzen Magazins mit einer aufrüttelnden Frage: „Braucht Deutschland die Atombombe?“ Wer will, dass Deutschland als Pufferzone zwischen West- und Osteuropa Angriffsziel und unbewohnbar wird, kann mit solchem Feuer spielen. Frau Major ist ebenfalls GMF-Alumna bzw. Fellow, wie es im transatlantischen Jargon heißt, und beschwört ein „Sicherheits“-Konzept, das allein auf militärische Stärke setzt. Wenn kluge Frauen so argumentieren, muss dann da nicht was dran sein?

Im Handelsblatt vom 11.10.2024 beklagen Major und Jana Puglierin in einem gemeinsamen Gastbeitrag unter dem Titel „Keine Zeitenwende – nirgendwo!“, dass die sog. „Zeitenwende“ nicht richtig vorankomme, sprich zu wenig konsequent in Rüstung investiert werde.

Jana Puglierin leitet das European Council on Foreign Relations, das an der Spitze transatlantischer Netzwerke agiert. Die Körber-Stiftung lud sie zum Forum-Thema „Ukraine & Beyond: Werte oder Interessen? Deutsche Außenpolitik im Zwiespalt“ zu einem Schlagabtausch mit Klaus von Dohnanyi ein, der auf Video festgehalten wurde. Der kluge und welterfahrene von Dohnanyi gab – wie sein hier besprochenes Buch als Debatten-Auftakt – eine klar Diplomatie-bevorzugende Richtung vor, indem er eine Vogelperspektive einnahm und mehr völkerrechtswidrige Konflikte und die politischen Reaktionen darauf in den Blick nimmt, während Frau Puglierin sehr freundlich versuchte diesen erweiterten Rahmen wieder einzufangen, wobei sie die Ebene Russland-USA klar ablehnt. Ihr Versuch Putin zu psychologisieren, scheitert an von Dohnanyis historischem Wissen, auch das Verweisen auf Russland als einziger Ort problematischer Entwicklungen lehnt von Donhanyi als zu einseitig ab. Die gesamte Debatte ist nachhörenswert, auch weil Europa als Spielfeld der in sicherer Entfernung weilenden USA von Dohnanyi klar benannt wird, während Frau Puglierins Kommunikationsschulung an den Stellen deutlich wird, wo es ihr gelingt – wie bereits im Handelsblatt-Gastbeitrag mit Frau Major – vor allem Waffenlieferungen zu Verteidigungs- und Abschreckungszwecken zu propagieren. Puglierin erweitert schließlich auf Phoenix ganz regierungskonform auf einen deutschen Führungsanspruch in der Welt – spätestens hier verrät sich das Verteidigungs-Framing als Mythos.

Ganz anders verhält es sich mit der deutschen Wissenschaftlerin Sylvia Sasse¸ die als Professorin in der Schweiz lehrt und eher am Rande der schillernden, sehr häufig in deutschen Medien auftretenden Genannten steht. Als Slavistin ist sie des Russischen mächtig und analysiert Propaganda in russischem Medien. In der Schweizer Republik, aber auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt sie, wie russische Desinformation mittels Verkehrungen von Anschuldigungen funktioniert – so wie es aus der Propagandaforschung allgemein bekannt ist. Die Umkehrungsthese lässt sich allerdings gemäß den Erkenntnissen Arthur Ponsonbys ebenso auf andere Akteure anwenden. Sasse tut dies auch, jedoch nur auf Akteure wie Donald Trump bezogen – nicht aber auf alle anderen Diskursbeteiligten und schon garnicht auf hiesige Medien, die sie offensichtlich durchwegs für glaubwürdig hält. So bleiben im Grunde klar antirussische Positionen, die sowohl in der politischen Bildung als auch in schweizer Medien gerne aufgegriffen werden. Auch der sie interviewende Journalist des Schweizer Radios scheint von Einflussnahme auf Politik und Medien (außer aus Russland) nie gehört zu haben und verortet damit ubiquitäre Probleme von PR und Lobbyismus – der sogenannten Fünften Gewalt – gemeinsam mit Sasse nur bei Social Media. Es bleibt, wie sie bei der BpB selbst sagt: „Verkehrungen ins Gegenteil versuchen immer dem Anderen zu unterstellen, was man selbst tut.“ Vielleicht unbemerkt hat sie mit ihrer wissenschaftlichen Propagandanalyse und deren einseitiger Zuweisung aufgedeckt, was am Gebaren der genannten Aktivistinnen wie auch der sog. NAFO-Fellas auszumachen ist: es handelt sich um Spiegelungen dessen, was man auf der anderen Seite zurecht als „Propaganda“ oder gar „hybride Kriegsführung“ bezeichnen würde.

Sirenen für Eskalation und Krieg – zur Verschleierung des Rückschritts

Aus den Kriegen und der Friedensforschung ist bekannt, dass Krieg und Lüge sich stets gegenseitig bedingen; und, dass Kriege langfristig vorbereitet werden. Aus der Propaganda-Forschung ist bekannt, wie das funktioniert – zumeist durch sich spiegelnde Kommunikation, indem man dem Gegenüber für das verurteilt, was man selbst tut; bei Anne Morelli, die die Schrift von Lord Arthur Ponsonby ausgewertet hat, detailliert nachzulesen – auch auf der Website des Deutschlandfunks. Aus der PR-Forschung ist bekannt, dass das Erfolgsrezept für erfolgreiche Kommunikation die Wiederholung ist: wenn viele (verschiedene) Stimmen das gleiche sagen, dann müsse es doch stimmen… Nicht wahr?

Frei vom Verdacht der Rückwärtsgewandtheit, mit jugendlicher Ausstrahlung und vor allem feministisch wirkender Attitüde kann gegen die fortschrittlichen Ansprüche und vergleichsweise wenigen Errungenschaften der Frauenbewegung polemisiert werden. Die Markenbotschafterinnen und ihre Kronzeuginnen sind alle gut gewählt und sei es von den Redaktionen der Medien, die ihnen eine Plattform bieten – anderen nicht –, oder vonseiten der sie bevorzugenden Politik. Denn, während Frauen als sozialer, empathischer und friedensfähiger statt „knallharte“ Männer galten, fällt es umso mehr ins Gewicht, wenn sie nun nicht einem Pazifismus huldigen, sondern einem neuen Frauenbild Tribut zollen: als Hardlinerinnen, eiskalt kalkulierend, Feindbilder zu bedienen und mit geostrategischen Wunschvorstellungen der Politik kongruierend die eigene Karriere voranzubringen.

Jörg Lau von Die ZEIT begrüßt das Phänomen in seinem Artikel: „Wenn Frauen den Krieg erklären.“ Und stellt fest: „In der Debatte über Putins Angriffskrieg sind wichtige Stimmen weiblich“ Und kritisiert zurecht: „Die Expertinnen müssen mit viel Hass umgehen.“ Ein Phänomen, das alle Frauen kennen, die sich öffentlich äußern; wobei Medien nicht immer gleichermaßen beispringen.

Die langjährig erprobte und bewährte israelisch-deutsche Markenbotschafterin Melody Sucharewicz kehrte kürzlich als Beauftragte der Opferfamilien des Terror-Anschlags vom 7. Oktober 2023 nach Deutschland zurück. Ihre einseitige Empathie gehört zu ihrem Berufsbild und diese scheint in Deutschland anschlussfähig, aber nach einer Sendung von Markus Lanz flog eine Falschübersetzung auf, mit der sie versucht hatte die öffentliche Meinung zu manipulieren. Dies veröffentlichte der Nahost-Kenner Daniel Gerlach auf seinem Twitter-X Account und forderte vom ZDF erfolgreich eine Richtigstellung. Das ist für einen Markenbotschafter oft das Aus. Ob dies im konkreten Fall zur endgültigen Entmystifizierung des engelhaften Wesens führt, darf beobachtet werden. Hier käme es auf Qualitätssicherung unserer Medien an. Dies ist zumindest aus dem Hause Springer nicht zu erwarten, das ja offen den Auftraggeber Sucharewicz‘ unterstützt. Darüber hinaus ist sie sehr gut vernetzt und passt einfach zu perfekt in die Pinkwashing-Strategie israelischer Regierungs- und Militär-PR, wie sie der deutschsprachige Armeesprecher der IDF, Arye Shalicar, ebenfalls verbreitet. Zum Abschluss der Gedanken zwei Kostproben seiner Visualisierungsangebote und die Videoempfehlung: „Sex sells vor Israel“. Vielleicht eine Vorschau auf mögliche weitere Entwicklungen im grassierenden Kriegsmarketing.

Prof. Dr. Sabine Schiffer leitet das Institut für Medienverantwortung in Berlin, sie lehrt Journalismus und Kommunikation in Frankfurt/Main. Schiffer forscht an der Schnittstelle zwischen Vierter und Fünfter Gewalt. Ihr Lehrbuch Medienanalyse enthält einen Methodenkanon zur Vermittlung von Media Literacy. www.medienverantwortung.de

*Vgl. Becker/Beham (2008): Operation Balkan. Werbung für Krieg und Tod. Nomos.

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