Kriege

Schützenhilfe für Al-Qaidas Siegeszug

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Mit der Unterstützung der Türkei sowie der Golfdiktaturen und mithilfe von US-Waffen ist es islamistischen Aufständischen unter Führung al-Qaidas in den vergangenen sechs Wochen gelungen, der syrischen Armee an verschiedenen Frontabschnitten empfindliche Niederlagen beizubringen –

Von SEBASTIAN RANGE, 8. Mai 2015 –

Mancherorts in Syrien sind die Dschihadisten im Vormarsch. Im Süden konnte die sich zu al-Qaida bekennende al-Nusra-Front Anfang April den jordanischen Grenzübergang Nasib erobern, und in der Folge weitere Ortschaften. Auch in Ost-Ghouta im Umland von Damaskus konnten die Aufständischen nach langer Zeit wieder Erfolge für sich verbuchen. Der von Saudi-Arabien unterstützten Jaysh Al-Islam (Armee des Islam) soll es am Donnerstag gelungen sein, die völlig zerstörte und nicht mehr bewohnte, jedoch für den Nachschub wichtige Stadt Mayda’a zu erobern. Schwerwiegender sind jedoch die Siege, die die Aufständischen im Nordwesten Syriens in jüngster Zeit errungen haben. Ende März gelang es ihnen, die Provinzhauptstadt Idlib zu erobern. Einen Monat später folgten ein wichtiger Armeestützpunkt in al-Karmid und die Kleinstadt Dschisr al-Schogur, die mit ihren fünfzigtausend Einwohnern von besonderer strategischer Bedeutung ist, da sie die sich fest in Regierungshand befindliche Küstenstadt Latakia mit Syriens zweitgrößter Stadt Aleppo verbindet.

War von einem bevorstehenden Zusammenbruch der syrischen Armee auch des öfteren in den letzten Jahren voreilig die Rede, so scheint sich nun ihre Niederlage und der damit verbundene Sturz von Präsident Assad in den Augen vieler Experten und Kommentatoren abzuzeichnen. Dem Siegeszug im Nordwesten ging die Gründung eines gemeinsamen Militärbündnisses der dort  aktiven Anti-Assad-Kämpfer voraus. Mitte März hatten sich verschiedene islamistische und „moderate“ Terrorgruppen zum Bündnis „Jaysh al Fateh“ („Armee der Eroberer“) vereint. Dem Bündnis sollen Schätzungen zufolge fünf- bis zehntausend Kämpfer angehören. Stärkste Fraktion ist die al-Nusra-Front, gefolgt von der nicht minder sunnitisch-extremistischen Ahrar al-Scham. Letztere habe eine Schlüsselrolle dabei gespielt, „die Anti-Assad-Revolte in einen islamistischen Aufstand“ zu verwandeln, schrieb der Telegraph vergangenen September. (1) An der Eroberung der östlich gelegenen Provinzhauptstadt ar-Raqqa, der heutigen „Hauptstadt“ des vom Islamischen Staat (IS) ausgerufenen „Kailfats“, war sie vor zwei Jahren führend beteiligt.

Wenn das Stichwort „al-Qaida“ in Bezug auf Syrien fällt, dann ist selten von Ahrar al-Sham die Rede. Dabei rekrutiert sich das Führungspersonal der Organisation, die zehn- bis zwanzigtausend  Kämpfer umfassen soll, aus al-Qaida-Mitgliedern – die jedoch laut US-Geheimdienstkreisen nach außen hin „ihren Einfluss in der Gruppe verbergen“ (2). Dazu zählte auch der vor einem Jahr getötete Kommandeur Abu Khalid al Suri, den US-Behörden als „al-Qaidas Repräsentanten in Syrien“ bezeichneten. (3) Al-Qaida sei es gelungen, die Ausrichtung der Terrorgruppe und des von ihr dominierten Bündnisses „Islamische Front“ maßgeblich zu beeinflussen, so US-Geheimdienstler gegenüber The Long War Journal vor einem Jahr. (4) Der einzige Unterschied zwischen al-Nusra und Ahrar al-Scham ergebe sich aus ihrer Definition des Dschihad, schreibt Welt-Korrespondent Alfred Hackensberger. Für Ahrar al-Scham sei der Heilige Krieg „angeblich eine nationale Angelegenheit“, während die al-Nusra-Kämpfer den Dschihad weltweit führen wollen. „Syrien ist nur Zwischenstation. Bald werden wir in Mekka, Istanbul und Rom sein,“ zitiert die Zeitung al-Nusra-Mitglieder.

Angesichts des aktuellen Vormarschs der radikalen Islamisten könnte es „bald nur noch die Alternative zwischen al-Qaida und den Kämpfern des Islamischen Staats geben“, befürchtet Hackensberger. (5) Mit al-Nusra und Ahrar al-Scham hat es al-Qaida geschafft, die kampfstärksten Formationen in Syrien zu stellen – abgesehen von ihrem Abkömmling, dem Islamischen Staat. Mit dem beidseitigen ideologischen Angebot – national wie global – gelang es dem Terrornetzwerk, Dschihadisten unterschiedlicher Ausrichtung hinter sich zu bringen.

Unterstützung aus Katar, der Türkei und Saudi-Arabien

Ahrar al-Sham zeige, dass al-Qaida „verschiedene Wetten innerhalb des Aufstands in Syrien platziert“ habe, schreibt The Long War Journal. (6) Die „Wette“ auf Ahrar al-Sham wurde frühzeitig platziert. Im Sommer 2012 berichtete das US-Magazin Time unter Berufung auf Mitglieder der Organisation, diese habe „schon lange vor dem 15. März 2011“, als Proteste in der Stadt Dara’a den „Arabischen Frühling“ nach Syrien brachten, damit begonnen, „Brigaden aufzustellen“. (7) Für diesen Zweck sollen laut Reuters zweistellige Millionenbeträge aus Katar und Saudi-Arabien geflossen. (8)

Im vergangenen Jahr erlitten die beiden Stellvertreter al-Qaidas jedoch schwere Rückschläge. Neben der Liquidierung von Führungskräften durch die syrische Armee machte al-Nusra und Ahrar al-Sham vor allem die Auseinandersetzung mit dem Islamischen Staat zu schaffen, der al-Qaida-Chef Aiman az-Zawahiri die Gefolgschaft aufgekündigt hatte. Mit der Ausrufung eines Kalifats bekundete der Islamische Staat seinen Machtanspruch, wirkte sodann auf viele Dschihadisten attraktiver und veranlasste diese zum Überlaufen. Die „Wiederbelebung“ von al-Nusra und Ahrar al-Sham sei ausschlaggebend für die jüngsten militärischen Erfolge der Opposition gewesen, schreibt Foreign Policy, das Organ des einflussreichen außenpolitischen US-Think-Tank Council of Forein Relations. Diese sei einer Wiederannäherung der „alten Rivalen“ Saudi-Arabien einerseits und Katar und Türkei andererseits geschuldet. Bei einem Treffen zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und dem frisch gekürten saudischen König Salman ibn Abd al-Aziz im März dieses Jahres sei vereinbart worden, verstärkt islamistische Gruppen, auch jene „mit Verbindungen zu al-Qaida“, zu unterstützen. (9)

Die im Nordwesten des Landes aktive und von al-Qaida geführte „Armee der Eroberer“ wird vor allem von Katar und der Türkei unterstützt, wobei letzterer aufgrund der geografischen Lage die Schlüsselrolle zufällt. „Das Vorrücken von Tausenden islamistischen Kämpfern im Norden Syriens erinnert an den Überfall auf die Grenzstadt Kassab in der Provinz Lattakia im März 2014“, schreibt die Syrien-Kennerin Karin Leukefeld in der jungen Welt. Bei dem Überfall auf die von armenischen Christen bewohnte Ortschaft „waren die Kampfgruppen ungehindert über den offiziellen Grenzübergang aus der Türkei einmarschiert“. (10) Für die „Armee der Eroberer“ dient die Türkei als Nachschubroute für Waffen und Kämpfer sowie als Rückzugsgebiet. In Krankenhäusern grenznaher türkischer Städte werden verwundete Dschihadisten gesund gepflegt. In einem Brief an den UN-Sicherheitsrat beschwerte sich die syrische Regierung über die Hilfsdienste der türkischen Armee für die islamistischen Kämpfer, und spricht darin von einer „direkten türkischen Aggression gegen Syrien“. (11) Gegen die offenkundige Kollaboration ihrer Regierung mit den al-Qaida-Terroristen kam es in der Türkei in den vergangenen Tagen und Wochen wiederholt in verschiedenen Städten zu Protestdemonstrationen, gegen die die Polizei teils mit Wasserwerfern und Tränengas vorging.

Ausschlaggebend: US-Waffen in den Händen al-Qaidas

Bei der Eroberung von Idlib und Dschisr al-Schogur spielten US-Waffen eine entscheidende Rolle. Mithilfe moderner TOW-Panzerabwehrraketen war es den Aufständischen gelungen, dutzende Panzer, Militärfahrzeuge und Stützpunkte der syrischen Armee auszuschalten. Der Einsatz dieses Waffentyps habe das militärische Gleichgewicht zugunsten der Dschihadisten verschoben, so das Wall Street Journal. (12) Die al-Nusra hatte diese und andere Waffen vor Monaten von der „moderaten“ Hazm-Bewegung erbeutet – der US-Verbündete löste sich daraufhin auf. Doch nicht bei allen von der „Armee der Eroberer“ eingesetzten US-Waffen handelt es sich um Beutestücke. Wie die US-Zeitung McClatchy berichtet, werden zwei an der Seite al-Nusras kämpfende Verbände weiterhin von Washington ausgerüstet. Die der „Armee der Eroberer“ angehörende „Division 13“ und die „Sukur al-Ghab Brigaden“ setzten bei den Kämpfen auch die ihnen von Washington zur Verfügung gestellten TOW-Panzerabwehrraketen ein, die „eine entscheidende Rolle“ spielten, so die US-Zeitung. (13)

Es sei „bis zu einem gewissen Ausmaß unvermeidlich“, dass US-Waffen in die Hände der islamistischen Extremisten gelangen, zitiert die Washington Post ein namentlich nicht genannten hochrangigen Vertreter der US-Regierung. Angesichts der „Realitäten auf dem Schlachtfeld“ sähen sich die eher moderaten Gruppen gezwungen, mit den Terroristen „zu koexistieren“, begründet er die Kooperation der US-Verbündeten mit al-Qaida. (14) Schon in der Vergangenheit konnten al-Qaidas Kämpfer in Syrien ihre Arsenale dank westlicher Unterstützung auffüllen. Anfang 2013 koordinierte die CIA die Lieferung von insgesamt dreitausend Tonnen Kriegsgerät aus kroatischen Beständen über die Türkei und Jordanien nach Syrien, finanziert durch Saudi-Arabien. Über den Umweg „moderater“ Gruppen landeten daraus stammende Waffen, darunter Panzerabwehrkanonen und Granatwerfer, schließlich in den Händen von al-Nusra und Ahrar al-Sham. (15)

Der Terrorstaat: Saudi-Arabien fördert seit langem dschihadistische Milizen in der Region. An sunnitische Extremisten flossen mehrstellige Millionenbeträge (Militärparade in Mekka)

Vergangenen Sommer gestand US-Präsident Obama öffentlich ein, dass es „schwer“ sei, in Syrien genug „säkulare Rebellen“ zu finden, um diese auszubilden und mit Waffen zu versorgen. (16) Washington weiß, dass angesichts der völligen Marginalisierung der „moderaten“ Kräfte auch deren verstärkte Aufrüstung keinen wirklichen Unterschied auf dem Schlachtfeld mehr zu bewirken vermag. Dennoch hat sich die US-Regierung dafür entschieden, in der Türkei in Kooperation mit Ankara Rebellengruppen auszubilden und zu bewaffnen. Das immer wieder verzögerte Ausbildungsprogramm soll dieses Wochenende beginnen. Insgesamt soll es schließlich fünfzehntausend Kämpfer umfassen, zweitausend von ihnen sollen bis Jahresende „ausgebildet und ausgerüstet“ werden. (17)

Den Strategen im Weißen Haus wird bewusst sein, dass diese Anzahl nicht ausreichen wird, die Kräfteverhältnisse entscheidend zugunsten der „moderaten“ Kräfte zu verschieben. Deren Aufrüstung erscheint vielmehr als ein Deckmantel, um die mit ihnen verbündeten Dschihadisten ebenfalls hochrüsten zu können, die als einzige Kraft in der Lage erscheinen, das militärische Kräfteverhältnis zugunsten des anvisierten „Regime Change“ verändern zu können.

Neu sortiert: Gute und böse Dschihadisten

Die direkte Unterstützung überlässt Washington den Partnern in der Region – eine Kooperation mit der offiziell als Terrorgruppe gelisteten al-Nusra wäre der Öffentlichkeit auch nur schwer zu vermitteln. Jedoch werden die Stimmen lauter, die zwischen „guten“ und „bösen“ Dschihadisten unterscheiden wollen. Der Westen sehe gegenwärtig in al-Nusra eine Bedrohung, doch die al-Qaida-Terroristen könnten dank ihres „Pragmatismus“ zu einem „Verbündeten im Kampf gegen den Islamischen Staat“ werden, meint Lina Khatib, Direktorin des auf den Nahen Osten spezialisierten Carnegie Middle East Center.

Der Artikel kommt einem Hohelied auf al-Nusra gleich, die ein verlässlicher Kämpfer gegen Assad, als auch gegen Korruption sei, und die für den Schutz der Bevölkerung sorge. Auch wenn sie die Ideologie des IS im wesentlichen teile, habe sich die al-Nusra-Front bei deren Anwendung „flexibel“ gezeigt, und gehe pragmatische Kooperationen mit anderen Gruppen ein. Die Allianz mit Ahrar al-Sham würde einen „mäßigenden Effekt auf die Entwicklung der al-Qaida-Ideologie und auf deren Umsetzung“ ausüben, so die Direktorin der Denkfabrik, die dem Westen empfiehlt, über die ideologischen Zugehörigkeit al-Nusras hinweg zu sehen, sie nicht in eine Schublade mit dem IS zu stecken und sie „in ihrem Pragmatismus zu ermutigen“, „um dem syrischen Konflikt ein Ende zu bereiten“. (18)

In dem unverhohlenen Aufruf, mit den al-Qaida-Terroristen zu kooperieren, unterschlägt die Autorin natürlich, dass auch Ahrar al-Sham zum al-Qaida-Netzwerk zu zählen ist, und irgendein „mäßigender Effekt“ damit ausgeschlossen werden kann. Vor allem unterschlägt sie jedoch, dass die Affinität al-Nusras zum Islamischen Staat nicht nur theoretischer Natur ist. „Die Nusra-Front stellt die gleichen repressiven religiösen Regeln in ihren Gebieten auf, wie das die IS-Miliz tut“, so Syrien-Experte Alfred Hackensberger. (19) Ebenso wie der IS enthauptet sie gefangenen genommene Soldaten oder vermeintliche Spione. Und wie im Gebiet des IS müssen Angehörige religiöser Minderheiten – Alawiten, Schiiten und Christen – um ihr Leben fürchten, wenn sie in die Hände al-Nusras fallen

„Im Gegensatz zur IS-Miliz glorifiziert die Nusra-Front jedoch nicht ihre blutigen Taten im Internet mit einer ausgeklügelten Medienkampagne“, sondern ziehe es vor, „die internationale Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen“. (20) Obwohl sie praktisch ein Zwilling des Islamischen Staates ist, den sie allein aus macht-strategischen Gründen zum Feind hat, öffnet die dem Islamischen Staat vorbehaltene mediale Dämonisierung der al-Nusra-Front als IS-Gegner – und damit „guten“ Dschihadisten – gewisse politische Spielräume.

Dabei sollte nicht unterschlagen werden, dass die Quellen der Unterstützung sowohl der „bösen“ als auch der „guten“ Dschihadisten teils identisch sind. Die Türkei unterstützt nicht nur al-Nusra und Ahrar al-Sham, sondern auch den Islamischen Staat, und stelle in diesem Zusammenhang „tatsächlich“ das „größte Problem“ dar, so Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Das Interesse der Türkei, den IS „zumindest einzudämmen“, stehe „weit hinter“ dem Motiv zurück, Assad zu stürzen. „Darum kann man auf türkischer Seite immer wieder feststellen, dass der Zustrom von ausländischen Kämpfern geduldet wird, dass auch Material über die türkisch-syrische Grenze geschmuggelt werden kann.“ (21)

Wie ein UN-Bericht vor einem halben Jahr feststellte, besteht die Haupteinnahmequelle des IS im Verkauf des Öls aus den von ihm eroberten Feldern in Syrien und Irak. Der Großteil des Öls geht an Händler in der Türkei. Der Warenverkehr funktioniert auch andersherum. So erhält der IS aus der türkischen Grenzstadt Akcakale tonnenschwere Lieferungen von Sprengstoff in Form des auch als Düngemittel verwendbaren Ammoniumnitrats, ohne das die Behörden einschreiten, berichtete die New York Times diese Woche. (22) Laut dem UN-Bericht dient die Türkei als Hauptschmuggelroute für Nachschub an den IS. (23)

Weitere Massaker drohen

Erscheint die Rolle des NATO-Landes in Bezug auf den Islamischen Staat äußerst zweifelhaft, kann kein Zweifel an seiner Unterstützung der „guten“ Dschihadisten bestehen. Mit den jüngsten Erfolgen der „Armee der Eroberer“ sei ein „neues Kapitel“ im syrischen Konflikt aufgeschlagen worden, bewertet Foreign Policy die Lage. (24) Dank der Eroberung Dschisr al-Schogurs sei nun erstmals „Assads Hochburg“ bedroht, die mehrheitlich von Alawiten besiedelte Küstenregion der Provinz Latakia.

Welches Schicksal die Angehörigen der religiösen Minderheit bei einem weiteren Vormarsch der Dschihadisten zu ereilen droht, wurde im August 2013 deutlich. Damals überfielen al-Nusra und Ahrar al-Sham in Kooperation mit dem Islamischen Staat und der „moderaten“ Freien Syrischen Armee mehrere von Alawiten bewohnte Dörfer in der Provinz Latakia, massakrierten dabei laut Angaben von Human Rights Watch mindestens 190 Zivilisten und nahmen über zweihundert weitere als Geiseln. (25)

Nach der Einnahme Dschisr al-Schogurs vergangene Woche soll es laut Angaben der syrischen Regierung zu einem Massaker ähnlichen Ausmaßes im nahe gelegenen Grenzort Eshtabraq gekommen sein. In einem Schreiben an die UN bezichtigt sie al-Nusra des Verbrechens, das nicht nur die „Barbarei“ der Terrorgruppe unter Beweis stelle, sondern auch die „Barbarei derer, die sie unterstützen, einschließlich türkischer, saudi-arabischer und katarischer Regierungsvertreter“. (26)

Solche Massaker sind offenbar nicht allein dem sektiererischen Hass ihrer Urheber geschuldet, oder allein dem Anliegen, Angst und Schrecken unter ihren Gegnern zu verbreiten. Laut Foreign Policy  verfolgen sie auch einen militärischen Zweck. Demnach hätten die Aufständischen in den letzten Monaten eine „Auge-um-Auge“-Abschreckungsstrategie entwickelt, mit der sie die syrische Armee von Luftangriffen abhalten wollen. (27) „Die Rebellen warnen dann die Regimekräfte, wenn diese bestimmte – zumeist neu eroberte – Gebiete bombardieren würden, würden die Rebellen Vergeltung an den Regime-Hochburgen üben“ – womit die mehrheitlich von Nicht-Sunniten bewohnten Orte gemeint sind.

Ganz gleich, „welcher Horror auch immer Syrien durch die rachsüchtige, radikalisierte Opposition“ bei deren Sieg drohe, alles was den Iran schwäche und dabei helfe, ein „angemessenes Gleichgewicht zwischen Sunniten und Schiiten“ in der Region wieder herzustellen, sei von Vorteil, schreibt The American Interest. Der Sturz Assads sei „das Beste, was dem Nahen Osten passieren kann“, heißt es in dem US-Magazin, in dessen vierköpfigen Vorstand neben dem ehemaligen US-Präsidentenberater  Zbigniew Brzezinski und dem Neocon-Urgestein Eliot Cohen auch der Zeit-Mitherausgeber Josef Joffe mitwirkt. (28)

Egal, wo im unentwirrbaren Geflecht der Rebellengruppen – hier ein Kämpfer in Aleppo – die Waffen ankommen, die Maxime der Unterstützung aus USA, Türkei und Co. scheint zu sein: Was immer Assad schadet, ist willkommen

Die Absicht, mit dem Sturz Assads vor allem den Iran zu treffen, und damit die „Achse des Widerstands“ beziehungsweise den „schiitischen Halbmond“ zu schwächen (29), eint die Falken in Washington, die sunnitischen Golfdiktaturen – die gegenwärtig al-Qaida im Jemen den Weg freibomben (30) – und auch Israel, das entlang der syrischen Grenze mit den Dschihadisten kooperiert. (31)  

Die jüngsten militärischen Erfolge von al-Nusra und Ahrar al-Sham und der von ihnen geführten „Armee der Eroberer“ wären ohne die massive Unterstützung durch das NATO-Land Türkei und anderer Partnerländer des Westens, und ohne schlagkräftige US-Waffen nicht denkbar gewesen. Die Bereitschaft, Al-Qaida-Terroristen in Syrien den mit Massakern gepflasterten Weg zur Macht zu ebnen, um ein säkulares Regime zu stürzen, weil es außenpolitisch die falschen Freunde hat, entlarvt die von westlichen Regierungsvertretern gern geschwungenen Reden von Demokratie und Menschenrechten und die zum Ausdruck gebrachte Sorge um das Wohlergehen des syrischen Volkes als hohle Phrasen.


 

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Anmerkungen

(1) http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/middleeast/qatar/11110931/How-Qatar-is-funding-the-rise-of-Islamist-extremists.html
(2) http://www.longwarjournal.org/archives/2014/01/statement_from_zawah.php
(3) http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/middleeast/syria/10656974/Al-Qaedas-top-envoy-in-Syria-is-killed-by-suicide-bomb.html
(4) http://www.longwarjournal.org/archives/2014/01/statement_from_zawah.php
(5) http://www.welt.de/politik/ausland/article138940193/Armee-der-Eroberer-nimmt-auch-Europa-ins-Visier.html
(6) http://www.longwarjournal.org/archives/2014/01/statement_from_zawah.php
(7) http://world.time.com/2012/07/26/time-exclusive-meet-the-islamist-militants-fighting-alongside-syrias-rebels/
(8) http://www.reuters.com/article/2012/08/08/us-syria-crisis-insight-idUSBRE8770BK20120808
(9) http://foreignpolicy.com/2015/04/28/syrias-revitalized-rebels-make-big-gains-in-assads-heartland/?wp_login_redirect=0
(10) https://www.jungewelt.de/2015/05-04/040.php
(11) http://www.sana.sy/en/?p=38216
(12) http://www.wsj.com/articles/syrian-opposition-forces-seize-military-base-1430153666
(13) http://www.mcclatchydc.com/2015/04/25/264444/us-backed-rebels-team-with-islamists.html
(14) http://www.washingtonpost.com/world/national-security/us-allies-in-middle-east-ramping-up-support-for-rebel-forces-in-syria/2015/04/29/07b1d82c-edc8-11e4-8666-a1d756d0218e_story.html
(15) http://www.welt.de/politik/ausland/article114557771/Westliche-Waffen-fuer-Islamisten-in-Syrien.html
(16) http://www.nytimes.com/2014/08/09/opinion/president-obama-thomas-l-friedman-iraq-and-world-affairs.html?_r=0
(17) http://uk.reuters.com/article/2015/05/02/uk-syria-crisis-training-idUKKBN0NN0EV20150502
(18) http://carnegie-mec.org/2015/03/24/nusra-front-s-game-changing-rise-in-syria
(19) http://www.welt.de/politik/ausland/article138940193/Armee-der-Eroberer-nimmt-auch-Europa-ins-Visier.html
(20) ebd.
(21) http://www.dw.de/der-dschihadismus-ein-deutsches-ph%C3%A4nomen/a-17970824
(22) http://mobile.nytimes.com/2015/05/05/world/europe/fertilizer-also-suited-for-bombs-flows-to-isis-territory-from-turkey.html?_r=0&referrer
(23) http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/s_2014_815.pdf
(24) http://foreignpolicy.com/2015/04/28/syrias-revitalized-rebels-make-big-gains-in-assads-heartland/?wp_login_redirect=0
(25) http://www.hrw.org/node/119675/
(26) http://www.sana.sy/en/?p=38216
(27) http://foreignpolicy.com/2015/04/28/syrias-revitalized-rebels-make-big-gains-in-assads-heartland/?wp_login_redirect=0
(28) http://www.the-american-interest.com/2015/04/26/is-assad-on-his-way-out/
(29) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201307042664/politik/welt/gewollte-spaltung.html
(30) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201504143502/globales/kriege/sturm-der-entschlossenheit.html
(31) https://www.middleeastmonitor.com/articles/inquiry/16695-israel-may-be-arming-al-qaeda-in-syria
http://www.jpost.com/Middle-East/Report-Israel-treating-al-Qaida-fighters-wounded-in-Syria-civil-war-393862

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