Kriegsspiele

Sowjetunion im Visier: Planspiele nach dem Zweiten Weltkrieg

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges wurden und werden bis heute von Militärs der NATO, der USA sowie von Großbritannien und Russland Kriegsspiele geplant und geprobt. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Frage, welches Schicksal Europa in diesen Übungen zuteil wird. Ein Auszug aus dem Buch Kriegsspiele. Wie NATO und Pentagon die Zerstörung Europas simulieren Ein Auszug aus dem Buch Kriegsspiele. Wie NATO und Pentagon die Zerstörung Europas simulieren

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„Operation Undenkbar“ (1945)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fiel es den Siegermächten – allen voran den USA, Großbritannien sowie der Sowjetunion – schwer, einen dauerhaften Frieden sicherzustellen. Zwar hatte man gemeinsam Nazideutschland besiegt, doch nun forderte der Aufstieg der Sowjetunion zur Großmacht die westlichen Mächte heraus. 1 „Die Sieger schienen unfähig, sich auf einen Frieden zu einigen – und gerieten daher in Gefahr, ihn zu verlieren“, analysierte der britische Journalist und Historiker Anthony Cave Brown die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. 2

In dieser instabilen Weltlage, kurz nach dem Ende eines großen Krieges, der circa 75 Millionen Opfer gefordert hatte, planten die nervösen Militärs bereits die Fortsetzung des Zweiten beziehungsweise den Beginn eines Dritten Weltkrieges. Die Planungen wurden nur „wenige Wochen“ nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Angriff genommen. 3

Der britische Premierminister Winston Churchill soll geklagt haben, man habe mit Adolf Hitler „das falsche Schwein geschlachtet“. 4 Stattdessen hätte man gegen den sowjetischen Führer Josef Stalin vorgehen sollen. Churchill fühlte sich vom amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt alleingelassen in seinen großen Ängsten vor einer „totalen sowjetischen Dominanz“ in (Ost-)Europa. 5 „Was soll mit Russland passieren?“, fragte er im Mai 1945 Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman.

Ich spüre wie Sie eine tiefe Angst wegen […] [der russischen] Haltung gegenüber Polen, seinem überwältigen Einfluss auf dem Balkan, […] den Schwierigkeiten, die sie wegen Wien verursachen, der Kombination von russischer Macht und den Territorien unter ihrer Kontrolle oder Besetzung […]. Ein Eiserner Vorhang wurde vor ihre Frontlinie gezogen. Wir wissen nicht, was dahinter vor sich geht. 6

Klagte Churchill, der sich große Sorgen vor einer möglichen russischen Kontrolle des „Herzlandes“ machte. Er befürchtete sogar, dass die Sowjetunion bis zur Nordsee und zum Atlantik vorrücken und somit Großbritannien direkt bedrohen könnte. 7 Vor allem zeigte sich Churchill besorgt darüber, dass Stalin nach der Konferenz der Großen Drei (USA, Großbritannien, Sowjetunion) von Jalta entschlossen schien, Polen weiterhin zu kontrollieren und keine demokratischen Wahlen für das Land zuzusichern. 8

Es war diese Angst Churchills vor den Plänen des sowjetischen Anführers Josef Stalin, die ihn dazu bewog, einen Plan entwerfen zu lassen, um – zugespitzt formuliert – das „richtige Schwein schlachten“ zu lassen: Die Rede ist von der sogenannten „Operation Undenkbar“ (Operation Unthinkable), von der die Öffentlichkeit erst 1998, mehr als fünf Jahrzehnte nach ihrem Entwurf, erfahren sollte. 9

Da die Diplomatie dabei versagt hat, den sowjetischen Moloch davon abzuhalten, zu tun, wie ihm beliebt, liegt der einzige Weg, um die sowjetische Armee zu ihren eigenen Grenzen zurückzudrängen, in der Anwendung militärischer Gewalt. 10

Der auf den 22. Mai 1945 datierte Plan sah vor, bereits am 1. Juli 1945, keine zwei Monate nach der Kapitulation Deutschlands, die in Europa stationierten sowjetischen Kräfte mit einem massiven konventionellen Überraschungsangriff zurückzudrängen. 11 Der britische Lord Hastings Ismay, der später der erste Generalsekretär der NATO werden sollte, war maßgeblich an diesen Planungen beteiligt, 12 die in Anlehnung an den deutschen Überfall auf Russland auch als eine Art „Barbarossa Mark II“ 13 bezeichnet werden.

Churchills Vorhaben war so ambitioniert, dass selbst die britischen Befehlshaber, die den Plan ausgearbeitet hatten, lieber von einer „unmöglichen“ als von einer „undenkbaren“ Operation sprachen und diese daher auch als „Mission Impossible“ bezeichneten. 14 Sie waren sich ebenfalls im Klaren darüber, dass ein solch radikaler und kriegerischer Plan nur umsetzbar wäre, wenn er „die volle Unterstützung der öffentlichen Meinung sowohl im Britischen Imperium als auch in den Vereinigten Staaten“ besitze. 15 Die große Bedeutung, welche der öffentlichen Meinung bei der Planung und Durchführung von Kriegen zukommt, kann daher nicht genug betont werden – und sie ist auch nicht erst seit der „Kognitiven Kriegsführung“ ab 2020/2021 ins Zentrum militärischer Überlegungen gerückt. Schon immer war den Militärs und Politikern bewusst, dass ein Krieg ohne die Unterstützung der Öffentlichkeit keine Aussicht auf Erfolg hat. Und auch während des Kalten Krieges waren es friedliebende Menschen in großer Zahl, die dafür gesorgt haben, dass Pläne wie die „Operation Undenkbar“ oder spätere, teils nukleare Eskalationsbestrebungen nicht durchgeführt wurden.

Aus heutiger Sicht ist es besonders überraschend, dass auch deutsche Soldaten dazu vorgesehen waren, um im Kampf gegen Russland zu helfen – auch dieser Teil des Planes wäre der Bevölkerung nur schwer zu vermitteln gewesen. Winston Churchill gab bereits am 14. Mai 1945 den Befehl, dass man die Waffen von zwei Millionen Deutschen, die sich am 4. Mai ergeben hatten, nicht zerstören sollte, da „wir eventuell mit Hilfe der Deutschen gegen die Russen kämpfen müssen“. 16 In den Originaldokumenten der Operation Unthinkable ist hierzu vermerkt:

Großbritannien und die Vereinigten Staaten haben die volle Unterstützung der polnischen Streitkräfte und können auf die Nutzung deutscher Streitkräfte sowie der verbliebenen deutschen Industriekapazitäten zählen. 17

Um ein solches Unterfangen zu bewerkstelligen, hätte die Mobilmachung deutscher Soldaten erst „im letzten Moment“, also kurz vor dem Angriff auf die sowjetischen Truppen, erfolgen können. Dazu wären die deutschen Soldaten „massenhaft aus den Kriegsgefangenenlagern“ geholt worden, um sofort wieder zu kämpfen. 18 Das Militär der Westalliierten hätte laut diesen Planungen den Angriff mit Hilfe „deutscher Divisionen“ geführt, die man „zurück in den Dienst gezwungen“ hätte.19

Den vollständigen Text lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 5/6 2025 unseres Magazins, das im Bahnhofsbuchhandel, im gut sortierten Zeitungschriftenhandel und in ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich ist. Sie können das Heft auch auf dieser Website (Abo oder Einzelheft) bestellen.

JONAS TÖGEL ist Amerikanist, Propagandaforscher und Bestsellerautor. Er hat zum Thema Soft Power und Motivation promoviert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Universität Regensburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Motivation, der Einsatz von Soft-Power-Techniken, Nudging, Propaganda sowie Epochale Herausforderungen des 20. und 21. Jahrhunderts. Von ihm erschien 2023 das Buch „Kognitive Kriegsführung“ (Westend Verlag). Siehe auch das Interview in „Hintergrund“-Ausgabe 1/2-24 mit ihm. Die Website des Autors ist www.jonastoegel.de.

 

Jonas Tögel

Kriegsspiele –
Wie NATO und Pentagon die Zerstörung Europas simulieren

Westend Verlag

 

1 McCauley, Martin (1983/2021). Origins of the Cold War 1941–1949. Routledge
2 Brown, Anthony Cave (1978). Operation Dropshot. The United States Plan for War with the Soviet Union in 1957. Dial, S. 3
3 International currency review (1979). ‚Operation dropshot‘: nuclear war plans of the 1950s and the Middle East, 11(5), (S. 42–45), S. 45
4 Honsell, Johannes (17. Mai 2010). Churchills letzte Sau. Süddeutsche Zeitung
5 Walker, Jonathan (2013). Operation Unthinkable. The Thirld World War. British Plans to Attack the Soviet Empire 1945. The History Press, S. 12
6 Ebd., S. 13
7 McCauley, Martin (1983/2021). Origins of the Cold
War 1941–1949. Routledge, S. 52; Walker, Jonathan (2013). Operation Unthinkable. The Thirld World War. British Plans to Attack the Soviet Empire 1945. The History Press, S. 14
8 Walker, Jonathan (2013). Operation Unthinkable. The Thirld World War. British Plans to Attack the Soviet Empire 1945. The History Press, Seite 20ff; Kielinger, Thomas (24. März 2023). Als Churchill den „russischen Bären“ angreifen lassen wollte. WELT
9 Ebd.
10 McCauley, Martin (1983/2021). Origins of the Cold War 1941–1949. Routledge, S. 52
11 ‚Operation Unthinkable‘. The National Archives
12 Fenton, Bob (1. Oktober 1988). The secret strategy to launch attack on Red Army. The Daily Telegraph 13 McCauley, Martin (1983/2021). Origins of the Cold War 1941–1949. Routledge, S. 53
14 Kielinger, Thomas (24. März 2023). Als Churchill den „russischen Bären“ angreifen lassen wollte. WELT 15 ‚Operation Unthinkable‘. The National Archives
16 McCauley, Martin (1983/2021). Origins of the Cold War 1941–1949. Routledge, S. 55
17 ‚Operation Unthinkable‘. The National Archives; Im Original wird von „manpower“ gesprochen. Es kann auch als „Arbeitskräfte“ übersetzt werden, jedoch wird an anderer Stelle von der „Wieder-Ausrüstung und Neuorganisation der deutschen Streitkräfte und aller westlichen Alliierten“ gesprochen und dabei ebenfalls das Wort „manpower“ verwendet, was stark auf die Bedeutung „Streitkräfte“ und weniger auf „Arbeitskräfte“ hindeutet.
18 McCauley, Martin (1983/2021). Origins of the Cold War 1941–1949. Routledge, S. 63
19 Todman, Daniel (2020/2021). Britain’s War. A New World 1942–1947. Penguin Books, S. 744

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