Teile und herrsche
Wie Syrien für das Projekt eines "neuen Nahen Ostens" unter israelisch-US-amerikanischer Hegemonie zerschlagen wird
Foto: Kaufdex; Quelle: Pixabay; LizenzDer selbst ernannte syrische „Interimspräsident“, Abu Mohammad al-Dscholani, der sich seit dem Sturz der Regierung von Baschar al-Assad am 8. Dezember 2024 mit seinem bürgerlichen Namen Ahmad al-Scharaa ansprechen lässt, habe ihn über seine Bereitschaft informiert, die Beziehungen zu Israel zu „normalisieren“. Das sagte Ende April der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und des Ausschusses für die Streitkräfte des US-Repräsentantenhauses, Cory Mills, laut einem Bericht des Informations-, Dienstleistungs-, Nachrichten- und Medienunternehmens Bloomberg. 1
Mills hatte in der Woche zuvor Syrien besucht und dort Gespräche über eine Reihe von Themen geführt, darunter die Bedingungen für eine Aufhebung der unter der gestürzten Regierung als Teil des Regimechange-Kriegs massiv verschärften Sanktionen. Al-Dscholani habe gesagt, „unter den richtigen Bedingungen“ sei Syrien „daran interessiert“, den von Donald Trump in seiner ersten Amtszeit vermittelten Abraham-Abkommen beizutreten, denen inzwischen neben Israel die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain, Marokko und der Sudan angehören. Aus Sicht Washingtons wäre ein Beitritt ausgerechnet Syriens, das in den letzten Jahrzehnten einer der vehementesten Verweigerer eines Friedensschlusses mit Israel war, eine Anerkennung der völkerrechtswidrigen israelischen Annexion der syrischen Golan- höhen ausschloss, den palästinensischen Widerstand unterstützte und als Rückgrat der „Achse des Widerstands“ und insbesondere Israels härtestem militärischem Gegner, der libanesischen Hisbollah, galt, ein immenser Erfolg.
Die israelische Regierung hat seit Dezember hunderte Male Syrien bombardiert und dabei die Kapazitäten und Waffenarsenale der aufgelösten syrischen Armee nach eigenen Angaben zu 90 Prozent zerstört. Israel überschritt nur wenige Tage nach dem Sturz Assads unter Verletzung des Truppenabzugsabkommens von 1974 die Grenze zum bei Syrien verbliebenen Teil der Golanhöhen und besetzte den Berg Hermon. Die dort eingerichtete „Pufferzone“ will Tel Aviv auf unbestimmte Zeit unter seiner Kontrolle behalten und den Süden Syriens „demilitarisieren“. Nur noch 20 Kilometer stehen israelische Panzer von der syrischen Hauptstadt Damaskus entfernt, die israelische Armee hat inzwischen neun Militärstützpunkte auf syrischem Territorium errichtet und kontrolliert 30 Prozent von Syriens Wasserversorgung.
Anfang März forderte Israels Miniterpräsident Benjamin Netanjahu gar, die Armee solle sich darauf vorbereiten, die drusische Bevölkerung des Damaszener Vororts Dscharamana vor den Terroristen der Hayat Tahrir al-Scham (HTS) des IS- und al-Qaida-Extremisten al-Dscholani zu „schützen“. Allerdings wies die Bevölkerung Dscharamanas, die bereits zuvor gegen die israelische Besatzung in Südsyrien protestiert hatte, die Offerte Netanjahus zurück. Anfang Mai bombardierte die israelische Luftwaffe Damaskus, „um die Drusen zu schützen“. Darüber hinaus kursieren Gerüchte, Israel wolle einen sogenannten Davidskorridor einrichten, der sich von den besetzten Golanhöhen über den von kurdischen Kräften gemeinsam mit US-amerikanischen Besatzungssoldaten kontrollierten Nordosten Syriens bis ins irakische Kurdistan erstreckt. Er würde im Süden Syriens parallel zur jordanischen Grenze verlaufen, die Kontrolle einer weite- ren »Pufferzone« ermöglichen und könnte das Gebiet auch für eine zukünftige Annexion vorbereiten.
Wie bereits in Palästina und dem Libanon werden die israelischen Expansionsbestrebungen neben dem angeblichen Schutz von Minderheiten und eigenen „Sicherheitsinteressen“ auch mit religiösen „Ansprüchen“ begründet. Die Siedlerbewegung, die einen elementaren Pfeiler der Besatzung Palästinas darstellt, hat bereits den Anspruch artikuliert, nicht „nur“ den Gazastreifen, sondern auch Teile Libanons und Syriens zu besiedeln. Knesset-Abgeordnete bis hin zu Ministern des Kabinetts Netanjahu unterstützen diese Forderung. Die israelische Armee organisiert gemeinsam mit einschlägigen Siedler-Organisationen „Wandertouren“ und „religiöse Besuche“ in Syrien und im Libanon und sichert diese militärisch ab. In den Zedernstaat drangen bereits Ende Dezember Mitglieder der besonders extremistischen Siedlergruppe Uri Tzafon ein und versuchten, einen illegalen Siedlungs-Außenposten einzurichten.
In dem erst nach seinem Tod im Jahr 1960 veröffentlichten Tagebuch Theodor Herzls, einem der bedeutendsten Begründer des politischen Zionismus, träumte dieser von einem jüdischen Staat, der sich „vom Bach Ägyptens bis zum Euphrat“ erstrecken solle. 2 Ähnliche Pläne legten verschiedene zionistische Organisationen auch den Vereinten Nationen vor – bevor diese den Teilungsplan für das damalige Mandatsgebiet Palästina beschlossen. Bis heute weigert sich Israel, seine Grenzen festzulegen. Im vergangenen Oktober strahlte der europäische öffentlich-rechtliche TV-Sender Arte eine Dokumentation mit dem Titel „Israel: Extremists in Power“ aus. 3 Darin erklärte der rechtsextreme Siedler und israelische Finanzminister Bezalel Smotrich, Israel werde sich „Stück für Stück“ ausdehnen und sich – wie es „geschrieben“ stehe, „bis nach Damaskus ausdehnen“. Nicht nur die gesamten besetzten palästinensischen Gebiete, sondern auch Teile Jordaniens, Ägyptens, des Libanon, Syriens, des Irak und Saudi-Arabiens würden Teil des jüdischen Staates sein.
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WIEBKE DIEHL ist freie Journalistin und Autorin. Sie studierte Islam-, Politik- und Kommunikationswissenschaft in Berlin und Damaskus und hielt sich zu längeren Studienaufenthalten unter anderem im Jemen, im Libanon und in den besetzten palästinensischen Gebieten auf. Sie arbeitet schwerpunktmäßig zu Westasien (Naher und Mittlerer Osten).
1 https://www.bloomberg.com/news/articles/2025-04-23/trump-ally-holds-talks-with-syrian-leader-on-sanctions- israel; https://thecradle.co/articles/syrias-interim-president-interested-in-joining-abraham-accords
2 Theodor Herzl, The Complete Diaries, Bd. II, S. 712
3 https://www.arte.tv/en/videos/115065-000-A/israel-extremists-in-power/