"Trotz Verzweiflung muss die Hoffnung auf eine friedliche und gerechte Lösung aufrecht- erhalten werden."
In der gegenwärtigen hitzigen Debatte um den Nahost-Konflikt ist das Hintergrund-Magazin um größtmögliche Ausgewogenheit der Positionen bemüht. Unserer Autorin Wiebke Diehl war es möglich, ein Interview mit dem Präsidenten der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG), Nazih Musharbash, zu führen.
Foto: hosnysalah; Quelle: pixabay; LizenzHINTERGRUND Wie schätzen Sie als Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft die aktuelle Situation in Palästina und insbesondere im Gazastreifen ein? Was sind Ihres Erachtens die Konsequenzen aus dem israelischen Vernichtungsfeldzug und welches tatsächliche Ziel hat dieser?
NAZIH MUSHARBASH Die aktuelle Situation in Gaza ist unbeschreiblich katastrophal. Menschen werden vom israelischen Militär von Ort zu Ort vertrieben und dennoch bombardiert. Jegliche Lebensgrundlage und sämtliche Infrastrukturen sind völlig zerstört worden. Man lässt die Menschen gezielt verhungern und enthält ihnen überlebensnotwendige Medikamente vor. Die Bevölkerung fürchtet nicht „nur“ tagtäglich um ihr Leben – sie ist auch der ständigen Bedrohung ausgesetzt, israelischen und US-amerikanischen Plänen entsprechend in andere Länder deportiert zu werden. Mit dem Ziel, den gesamten Gazastreifen ethnisch zu säubern. Währenddessen nehmen die Angriffe der israelischen Militärbehörden und der aggressiven bewaffneten jüdischen Siedler gegen die palästinensische Bevölkerung und ihre Einrichtungen auch im Westjordanland und in Ostjerusalem zu, um die einheimische Bevölkerung zu einer „freiwilligen“ Ausreise zu veranlassen. Die einst von jüdisch-zionistischen terroristischen Untergrundorganisationen zur Vertreibung der Palästinenser durchgeführten Methoden werden heutzutage erneut zur Fortsetzung der NAKBA praktiziert. Völlig straffrei, obwohl all dies vor den Augen der Weltgemeinschaft geschieht.
Netanjahu hat bei seinem Rache- und Vernichtungsfeldzug drei Ziele formuliert: Befreiung der Geiseln, Vernichtung der Hamas und deren Vertreibung aus Gaza. Keines dieser Ziele hat er erreicht. Nun ist er dabei, mit Hilfe von US-Präsident Trump den Gazastreifen völkerrechtswidrig „palästinenserfrei“ zu organisieren. Um die einheimische Bevölkerung zu vertreiben, werden alle Mittel eingesetzt und schlimmste Kriegsverbrechen begangen.
HINTERGRUND Wie schätzen Sie die Rolle der Trump-Administration – auch im Vergleich zur Biden-Administration – für den Krieg in Nahost ein?
MUSHARBASH Nicht ohne Grund sieht Netanjahu in Donald Trump den besten Freund Israels unter allen US-Präsidenten. Fakt ist, dass Trump sämtliche Wünsche und Ansprüche der israelischen Regierung eins zu eins zu seiner eigenen Politik gemacht hat. Bereits während seiner ersten Amtszeit hat er zum Beispiel die US-amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen lassen und damit den israelischen Anspruch, die gesamte Stadt Jerusalem zur rein jüdisch-israelischen Stadt zu erklären, gestärkt – zur großen Freude von Netanjahu, der auch damals israelischer Ministerpräsident war. Er hat zudem der vollständigen israelischen Annexion von Ost-Jerusalem und den Golanhöhen zugestimmt und einen Blankoscheck zur Annexion auch des Westjordanlands ausgestellt. Das Völkerrecht und der verbriefte Anspruch der Palästinenser auf einen eigenen Staat spielten für ihn schon damals keine Rolle. Nur wenige Tage nach seiner erneuten Wahl zum US-Präsidenten hat Trump sämtliche Pläne zur Ausweitung der völkerrechtswidrigen jüdischen Besiedlung palästinensischen Landes begrüßt und die Finanzierung der UNRWA gestoppt. Dabei ging es auch darum, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge für ungültig zu erklären. Trump hat außerdem erklärt, die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens solle vertrieben werden und er wolle dort eine „Riviera“ des Nahen Ostens errichten.
Trump ist also ein besonders enthusiastischer Unterstützer der israelischen Völkerrechtsverstöße und Kriegsverbrechen. Letztlich aber haben alle US-amerikanischen Regierungen die Linie verfolgt, Israel bedingungslos zu unterstützen und dafür internationales Recht und die Rechte der Palästinenser mit Füßen zu treten. Für die Palästinenser ist im Prinzip belanglos, wer in den USA regiert, weil sie in Washington stets als Störer, die es zu bekämpfen gilt, anstatt als schutzlose, ihrer Rechte beraubte und entmenschlichte Bevölkerung betrachtet zu werden.
HINTERGRUND Sehen sie in der derzeitigen verzweifelten Situation noch irgendwelche Perspektiven für eine friedliche und gerechte Lösung und wie könnte und sollte eine solche aussehen?
MUSHARBASH Trotz der Verzweiflung und der Aussichtslosigkeit, die seit Jahrzehnten der Besatzung und Entrechtung andauern, die aber mit der aktuellen, deutlich intensivierten Vertreibungspolitik, den gezielten Tötungen und der Zerstörung von Infrastruktur eine noch viel größere Dimension angenommen haben, muss die Hoffnung auf eine friedliche und gerechte Lösung aufrechterhalten werden. Ich sage aber auch ganz offen, dass ich mit den aktuell auf beiden Seiten herrschenden Politikern kaum eine Chance sehe, zu einer Einigung zu kommen. Obwohl ich Pädagoge und pragmatischer Politiker bin, fehlt mir die Vorstellung, wie ein 18-Jähriger, der bereits fünf Kriege in Gaza erlebt hat, zu einer entsprechenden Bereitschaft, aber vor allem auch zu dem als Voraussetzung notwendigen Vertrauen, gelangen soll.
Ich glaube, Palästinenser und Israelis brauchen zunächst eine Phase eines relativen Friedens von mindestens einer Generation, um sich gegenseitig als Nachbarn mit unterschiedlichen Narrativen und unterschiedlichen Traumata kennenzulernen. Israelis müssen lernen, in den Palästinensern nicht nur Terroristen zu sehen, und die Palästinenser dürfen die Israelis nicht mehr ausschließlich als Soldaten wahrnehmen.
Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 7/8 2025 unseres Magazins, das im Bahnhofsbuchhandel, im gut sortierten Zeitungschriftenhandel und in ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich ist. Sie können das Heft auch auf dieser Website (Abo oder Einzelheft) bestellen.
NAZIH MUSHARBASH wurde 1946 in Amman geboren, wuchs in Bethlehem/Palästina auf, wo er an der Evangelisch-Lutherischen Schule Beit Jala das Abitur ablegte. 1965 nahm er das Pädagogikstudium in Oldenburg auf und arbeitete dann als Lehrer für Chemie und Biologie und später als Realschulrektor. Er engagiert sich seit über 30 Jahren als Ratsmitglied und Kreistagsabgeordneter und war Landtagsabgeordneter im Niedersächsischen Landtag. Nach Gründung der Regionalgruppe Osnabrück trat er mit 30 Mitgliedern in die DPG ein.