Brüssel

„Wir sind im Krieg“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Bei Terroranschlägen in Brüssel wurden über dreißig Menschen getötet

Brüssel wurde am heutigen Dienstag von mehreren Anschlägen erschüttert. Gegen acht Uhr morgens gab es in kurzer Folge zwei Explosionen in der Abflughalle des Brüsseler Flughafens. Dabei sollen vierzehn Menschen getötet, über einhundert verletzt worden sein. Kurz darauf gab es in der Metro-Station Maelbeek im EU-Viertel eine weitere Explosion, bei der zwanzig Menschen  ums Leben gekommen sein sollen. Von über fünfzig Verletzten ist die Rede. Mehrmals mussten die Angaben über Tote und Verletzte im Verlauf des Tages nach oben korrigiert werden. Die Lage sei immer noch „extrem chaotisch“, äußerte sich Brüssels Bürgermeister Yvan Mayeur.

Inzwischen soll sich der „Islamische Staat“ (IS) zu der Terrorserie bekannt haben. In einer Erklärung der dem IS nahestehenden Nachrichtenagentur AMAQ heißt es: „Kämpfer des Islamischen Staates haben am Dienstag eine Reihe von Anschlägen mit Bombengürteln und Sprengvorrichtungen verübt, die auf den Flughafen und eine zentrale Metro-Station der belgischen Hauptstadt Brüssel zielten.“ (1)

Ermittler gingen bereits zuvor von einem islamistischen Hintergrund aus. Erst am Freitag war in Brüssel einer der mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom November in Paris festgenommen worden, der 26 Jahre alte Salah Abdeslam.

Bei den Brüsseler Anschlägen hätte es sich demnach um eine Racheaktion für die Festnahme gehandelt, so die Vermutung. Ein Selbstmordattentäter soll den  Anschlag auf den Flughafen verübt haben. Nach Angaben belgischer Medien habe die Polizei ein Kalaschnikow-Sturmgewehr gefunden, das neben dem toten Attentäter gelegen haben soll.

Außerdem sollen die Sicherheitskräfte nach Informationen des flämischen Privatsenders VTM am Flughafen einen Sprengstoffgürtel sichergestellt haben, der nicht gezündet wurde.

In Belgien wurde die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen – zum ersten Mal seit den Pariser Anschlägen. Der Flughafen wurde von Polizisten und Soldaten sofort geräumt und dann geschlossen. In der Hauptstadt standen alle U-Bahnen, alle Straßenbahnen, alle Busse still. Die Hochgeschwindigkeitszüge in Richtung Köln, Paris und London fuhren ebenfalls nicht mehr. Auch die Sicherheitsmaßnahmen für Belgiens beide Atomkraftwerke wurden verstärkt. Die belgische Regierung verhängte eine dreitägige Staatstrauer.

Einhellig verurteilten nicht nur europäische Regierungsvertreter die Anschläge im Machtzentrum der EU. „Die Gedanken und Gebete der amerikanischen Bevölkerung sind mit den Menschen in Belgien“, sagte US-Präsident Barack Obama, der sich  gegenwärtig noch in Kuba befindet. „Es ist eine Erinnerung daran, dass die Welt zusammenstehen muss.“

Sein russischer Amtskollege Wladimir Putin verurteilte den Terrorakt als „barbarisches Verbrechen“. Der Terrorismus kenne keine Grenzen und müsse daher in aktiver internationaler Zusammenarbeit bekämpft werden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau.

„Der Terrorismus wird es nicht schaffen, uns zu besiegen“, äußerte Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy seine Zuversicht, dass die „Einheit der Demokraten in der EU“ der „Barbarei und dem Unrecht immer überlegen“ sein werde. Nicht nur die Freiheit stünde auf dem Spiel, „sondern die Zukunft des menschlichen Zusammenlebens“, erklärte Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella.

Auch deutsche Politiker bekundeten ihre Trauer gegenüber den Opfern der Anschläge und betonten dabei die europäischen Werte, die es zu verteidigen gelte. Der Terror werde Europa „nicht dazu bringen, von den Werten der Humanität, der Offenheit und Freiheit abzurücken“, so Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel. „Gemeinsam werden wir unsere europäischen Werte, Freiheit und Demokratie, verteidigen“, sagte auch Bundespräsident Joachim Gauck.

Indes warnte die Vorsitzende der Grünen, Simone Peter, vor übereilten politischen Reaktionen. „Da hilft kein Aktionismus“, sagte Peter in einem ARD-Interview. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden müsse sicherlich verstärkt werden. Es dürfe aber nicht sein, „dass wir Grenzen abriegeln, unsere Freiheit und die offene Gesellschaft infrage stellen“, mahnte die Parteichefin, die sich zum Zeitpunkt der Anschläge in Brüssel aufhielt.

Ruf nach einer „globalen Antwort“

Mit martialischen Tönen gingen hingegen die Beileidskundgebungen französischer Regierungsvertreter einher. „Wir sind im Krieg“, erklärte Frankreichs Premierminister Manuel Valls, der zugleich den Opfern sein Mitgefühl ausdrückte und seine Solidarität gegenüber der belgischen Regierung bekundete. „Wir erleiden in Europa seit mehreren Monaten Kriegsakte“, so Valls.

„Der Krieg gegen den Terrorismus muss in ganz Europa geführt werden und mit den notwendigen Mitteln, insbesondere im Bereich der Nachrichtendienste“, forderte Frankreichs Präsident François Hollande. „Wir stehen vor einer globalen Bedrohung, die es erfordert, dass wir global darauf antworten.“

Unmittelbar nach den Anschlägen wurden erste Rufe nach einem Ausbau des Sicherheitsapparates auf europäischer Ebene laut. „Die europäischen Mitgliedsländer müssen beginnen zu begreifen, dass nur eine gemeinsame Innen-, Justiz- und Sicherheitspolitik, ein uneingeschränkter gemeinsamer Datenaustausch und eine barrierefreie polizeiliche Zusammenarbeit die Menschen in Europa vor dem islamistischen Terror besser schützen kann“, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow. Es spreche viel dafür, das Beispiel des deutschen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums auch auf die europäische Ebene zu bringen.

Auch der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, forderte eine neue europäische Sicherheitsarchitektur: „Wir müssen im Kampf gegen Kriminalität und Terrorgefahr effektiver werden. Dazu gehört konkret, die europäische Polizeibehörde Europol finanziell, personell und inhaltlich zu stärken.“ Europa benötige „mehr Hintergrundwissen über terroristische Netzwerke und über kriminelle, grenzüberschreitende Strukturen“.

Die Gunst der Stunde: Anti-muslimische Stimmungsmache

Während noch nicht einmal die genaue Zahl der Opfer bekannt ist, schicken sich bereits die Ersten an, aus der Bluttat politisches Kapital zu schlagen.

Mit „Viele Grüße aus Brüssel“ leitete die AfD-Politikerin Beatrix von Storch, die ihrer Partei empfiehlt, sich stärker anti-islamisch zu positionieren, da „Asyl und Euro verbraucht“ seien (2), einen zwei Stunden nach den Anschlägen abgesetzten Tweet ein. Weiter heißt es dann: „Wir haben soeben das Parlament verlassen. Hubschrauber kreisen. Militär rückt an. Sirenen überall. Offenbar viele Tote am Flughafen und am Zentralbahnhof. Hat aber alles nix mit nix zu tun.“ (3)

Eine Stunde später folgte die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld, die sich in der Vergangenheit mehrfach kritisch gegenüber der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel geäußert hatte.

„Gelobt sei Angela Merkel, die Warmherzige, die Vorausschauende“, heißt es in einem Facebook-Eintrag der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin, der inzwischen offenbar wieder gelöscht wurde. Merkel habe „alles dafür getan, dass der Terror in Europa Fuß fassen kann und seine Söhne hier die eigene Zukunft von einer  gestörten Welt verwirklichen können.“ Lengsfeld schloss den Beitrag mit den Worten: „Lasst uns Angela Merkel feiern, sie hat es geschafft!“ (4)

„Es ist Zeit zu handeln“, forderte der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders. „Schuld an dem Blutvergießen ist der Islam. Wir müssen den Westen entislamisieren“, zitiert n-tv den Vorsitzenden der Partei für die Freiheit.

Wie die Nachrichtenagentur AFP vermeldete, hat unterdessen die islamische Al-Ashar-Universität in Kairo, die vielen sunnitischen Muslimen als höchste religiöse Instanz gilt, die tödlichen Anschläge scharf verurteilt. Diese „gehässigen Verbrechen“ verletzten die „toleranten Lehren des Islams“. „Wenn die internationale Gemeinschaft dieser Epidemie nicht vereint entgegentritt, werden die Korrupten niemals aufhören, ihre abscheulichen Verbrechen gegen Unschuldige zu verüben.“ (5)

Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland verurteilt die Attentate scharf: „Wie bereits bei den Terrorattentaten in Istanbul und Ankara wollen die Verbrecher und Massenmörder Angst und Schrecken verbreiten und die Gesellschaft spalten“, sagt der Vorsitzende, Aiman Mazyek. Allen Terroristen, „egal welcher Couleur“, müsse entgegnet werden: „Euch wird der Zorn Gottes und der gesamten Menschheit treffen. Diese Schandtaten werden niemals Erfolg haben.“ (6)

(mit dpa)


 

Anmerkungen

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(1) https://amaqagency.wordpress.com/2016/03/22/bombings-carried-out-by-islamic-state-fighters-hit-belgiums-capital-brussels/
(2) https://correctiv.org/blog/2016/03/11/afd-hat-neues-knall-thema/
(3) https://www.facebook.com/BeatrixVonStorch/posts/1081471498560961
(4) http://www.n-tv.de/politik/CDU-Politikerin-gibt-Merkel-Schuld-article17289111.html
(5) http://www.zeit.de/news/2016-03/22/aegypten-al-ashar-anschlaege-in-bruessel-verletzen-lehren-des-islams-22132005
(6) http://www.zentralrat.de/27301.php

 

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