Umwelt

Der geschundene Strom

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von SUSANN WITT-STAHL, 5. November 2012 –

Die Ausbaggerung der Elbe ist zunächst untersagt – ihr Ökozid aufgeschoben. Ob er noch aufgehoben werden kann, ist ungewiss. Es tobt ein heftiger Kampf zwischen den Menschen am Fluss – Naturschützern auf der einen und der Hafenwirtschaft, den etablierten Parteien und opportunistischen Gewerkschaftern auf der anderen Seite. Dabei agieren die Unternehmer unter dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ alles andere als rechtstaatlich.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die geplante Elbvertiefung am 17. Oktober vorerst gestoppt. Mit seiner Entscheidung gab das Gericht einem Eilantrag der Naturschutzorganisationen NABU und BUND gegen den im April gefassten Planfeststellungsbeschluss der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord statt. Der Beschluss sei aber kein Präjudiz für die endgültige Entscheidung, die im Hauptsacheverfahren fallen wird, für das es noch keinen Termin gibt. Der Beginn des Verfahrens kann sich noch gut eineinhalb Jahre hinziehen, und für die Dauer dieses Rechtsstreits veranschlagen Experten nach dessen Eröffnung ein weiteres Jahr.

Das Urteil ist vor allem für die Hamburger Hafenwirtschaft und die Reeder eine bittere Pille. Die Wirtschaftslobby hatte mit massiver Unterstützung der Hamburg allein regierenden SPD alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Elbvertiefung so schnell wie möglich durchzudrücken: Die „gesamte norddeutsche Region wird davon profitieren“, versprach Bürgermeister Olaf Scholz vor einigen Monaten. Das alles schlagende Argument Jobmoter Hafen (155.000 Arbeitsplätze sind direkt und indirekt an ihn gebunden) hat offenbar gewirkt. Im März hatte Schleswig-Holstein die Elbvertiefung trotz starkem Widerstand aus der Bevölkerung abgenickt. Im April folgte dann Niedersachsen.

Das sind Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg, die viele Menschen am Fluss nicht hinnehmen wollen. 2006 haben an der Unterelbe lebende Bürger das Regionale Bündnis gegen Elbvertiefung gegründet. Viele seiner Mitglieder sind Fachleute im Obstbau, der Fischerei oder in den Umweltschutzverbänden BUND und NABU aktiv.
Sie fühlen sich von der niedersächsischen CDU-FDP-Regierung „verraten und verkauft“, wie Bündnissprecher Walter Rademacher sagt.  Sein „Verdacht, dass seit Jahren nicht ergebnisoffen sondern gezielt auf die Erteilung des Einvernehmens hingearbeitet worden ist“, habe Ministerpräsident McAllister (CDU) ebenso durch seine opportunistische Politik wie durch eigene Aussagen in einem Interview bestätigt. Das Regionale Bündnis organisiert Demonstrationen zu Wasser und zu Land, Bürgerversammlungen und Protestaktionen. Vor allem klärt es die Bevölkerung auf: „Wie üblich im politischen Geschäft der heutigen Zeit, werden auch beim Thema Elbvertiefung hemmungslos Fakten unterschlagen, ignoriert, umgedeutet oder beschönigt“, ist auf der Homepage zu lesen. „Uns sträuben sich häufig die Nackenhaare. Man will diese größte geplante neunte Vertiefung der Fahrrinne in der Unterelbe mit aller Macht und um jeden Preis durchsetzen.“

Die Unterelbe stirbt einen langsamen Tod

Die Geschichte der Zurichtung des Lebensraums Elbe für wirtschaftliche Interessen begann bereits im Jahr 1818. Bis 1825 wurde der Fluss um 5,4 Meter vertieft. Die letzte Maßnahme fand erst 1999 statt. Kaum waren die Arbeiten für das 130 Millionen Euro teure Projekt abgeschlossen, wurde schon ein neuer Eingriff in das hochempfindliche Ökosystem geplant: 2001 beantragte Hamburg eine weitere „Anpassung“ der Elbe an die nächste Generation der Container-Riesen. Derzeit können Schiffe mit einem Tiefgang von 13,50 Metern in den Hamburger Hafen einfahren, allerdings nur bei Flut. Das reicht der Wirtschaft nicht. Der Fluss soll auf einer Strecke von 130 Kilometern noch einen Meter tiefer gelegt werden.

An dem erneuten Vorpreschen der Hansestadt hagelte es Kritik von Umweltschutzverbänden. Der „stolze prächt‘ge Strom“, mit einem „mannigfalt‘gem frischen Wasserleben“, wie der Dichter Johann Peter Eckermann im 19. Jahrhundert die Elbe als Lebensader für Mensch, Flora und Fauna gepriesen hatte, sei in höchster Gefahr, meinen die Naturschützer und werfen den Verantwortlichen für weitere Vertiefungsmaßnahmen vor, gegen Vorschriften des Gewässer-, Gebiets- und Artenschutzrechts zu verstoßen. Der geplante Eingriff könnte ein großes Sterben von Tier- und Pflanzenarten zur Folge haben und „das gesamte Flussökosystem zum Kippen bringen“, warnt der stellvertretende NABU-Bundesgeschäftsführer Jörg-Andreas Krüger. Der Tidenhub werde erheblich ansteigen, die Elbe zunehmend versalzen und Flachwasserzonen verschwinden, zählen die Umweltschützer einige von vielen verheerenden Ökoschäden auf, die laut ihren Expertisen entstehen werden. Das sei ein klarer Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot der EU-Wasserrahmenrichtlinie, meinen sie.

Hinzu kommen noch Gefahren für die Bevölkerung: „Die verstärkte Strömung hat schon bei der letzten Vertiefung zu großen Deichsicherheitsproblemen in Niedersachsen geführt“, warnt Norbert Hackbusch, hafenpolitischer Sprecher der Bürgerschaftsfraktion der Hamburger Linken – der einzigen Partei, die bislang einen konsequenten Kurs gegen die Elbvertiefung gefahren ist. Es dürfe keinen weiteren „massiven Eingriff in den Elberaum“ geben, bevor nicht einmal die Auswirkungen der ersten Maßnahme abschließend dokumentiert worden seien, fordert der Landesvorsitzende vom Naturschutzbund Niedersachsen Hans-Jörg Helm. Der Umgang mit den damals erteilten Auflagen ist jedenfalls desaströs: Die vereinbarten Ausgleichsflächen sind noch immer nicht vollständig hergestellt. „Einige der bereitgestellten Gebiete sind reine Mogelpackungen“, kritisiert die Linkspartei-Fraktionschefin Dora Heyenn.

2011 hat der WWF die vorhergesagten und tatsächlichen Auswirkungen der Elbvertiefung von 1999 in einer umfangreichen Studie dokumentiert. Darin ist eine Reihe von negativen Folgen belegt, die weit über die Prognosen der Umweltverträglichkeitsstudie der Wasser- und Schifffahrtsbehörden von Bund und Land hinausgehen: So wurde eine dauerhafte Verschlechterung der Gewässergüte und eine Vertiefung und Verbreiterung des Sauerstoffdefizits in der Tideelbe festgestellt. Es ist eine Verschlickung der Nebenelbe und eine Kontamination der Sedimente eingetreten. „Die ökologisch wertvollen Flachwasserbereiche der Nebenelben sind davon besonders betroffen, da ihre Funktionen als Rückzugsgebiete für Fische und als Wiederbelüftungszonen durch die Fahrrinnenanpassung von 1999 deutlich gestört wurden“, lautet eines der alarmierenden Ergebnisse der WWF-Studie.

Täglich muss Schlick aus der Elbe und dem Hafen gebaggert werden. „Dieser Schlick ist Sondermüll, und den hat Schleswig-Holstein lange abgenommen und ihn an der Ostseeküste verklappt – wie es verharmlosend heißt“, skandalisiert Heyenn. Das lehnten die Schleswig-Holsteiner mittlerweile ab, weil die Ostseeküste ein Wirtschaftsfaktor vor allem durch den Fremdenverkehr sei.  Daher wolle der Hamburger Senat nun den Schlick vor Helgoland ins Meer kippen und hat dafür sogar eine Million Euro und dazu noch die Einrichtung eines Naturschutzgebietes angeboten. „Der Dreck habe aber dort entsorgt zu werden, wo er produziert wird, und zwar umweltverträglich“, fordert Heyenn. Der Senat „muss dringend ein Entsorgungskonzept für den Hafenschlick erarbeiten und bitte nicht mit der Variante, es womöglich vor eine afrikanische Küste zu kippen.“

Dass die Prognosen der Umweltverträglichkeitsstudie sich als falsch erwiesen haben, erklärt WWF-Küstenschutz-Referentin Beatrice Claus damit, dass die zuständigen Behörden es unterlassen haben, die Sauerstoffdaten auszuwerten: „Das gesamte Beweiserhebungsprogramm ist völlig unzureichend“, kritisiert die Umweltexpertin. Im Falle weiterer Eingriffe rechnet der WWF damit, dass sich die negativen Auswirkungen noch erheblich verstärken werden. „Die Unterelbe stirbt durch die Vertiefungen einen langsamen Tod“, befürchtet Beatrice Claus.

Volkswirtschaftlich irrational

Verheerend ist auch die Kostenrentabilität des Projekts. Ursprünglich waren insgesamt 385 Millionen Euro veranschlagt worden. Mittlerweile ist von mindestens 600 Millionen auszugehen. Dazu kommt noch der Aufwand für die Unterhaltungsbaggerarbeiten. „Die Elbvertiefung droht zu einem finanziellen und wirtschaftlichen Fiasko zu werden“, kritisieren die Hamburger Grünen, die 2008 in den Koalitionsverhandlungen für die erste schwarz-grüne Landesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik die Elbvertiefung durchgewinkt hatten. Volkswirtschaftlich irrational ist  die Maßnahme auch vor dem Hintergrund einer Studie des Instituts für Seefahrt und Logistik, die belegt, dass jene zukünftig lediglich 2,5 Prozent Wachstum für den Hamburger Hafen erbringen kann. Bei einer Wachstumsprognose von rund 150 Prozent bis 2025 könne keine Rede davon sein, argumentieren BUND und NABU, dass der Hafenstandort Hamburg gefährdet ist, falls die Elbvertiefung gar nicht oder Jahre später unter strengeren Auflagen vorgenommen werde.

Zetermordio und blanke Wut

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig gewährt der Elbe inklusive Flora und Fauna zumindest eine Galgenfrist. So gut wie alle Räder der Naturzerstörung sollen stillstehen, so die Auflage. Mit Ausnahme von Arbeiten zur Ufersicherung und Baufeldräumung muss die Maßnahme komplett ruhen – damit keine irreversiblen Tatsachen geschaffen werden, so das Gericht.

Die politische Klasse und die Hafen-Lobby reagieren auf das Urteil mit Zetermordio und blanker Wut: „Eine katastrophale Entscheidung für den Logistikstandort Deutschland. Manchmal wissen die Richter nicht, was sie tun“, sagte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) am Rande des Deutschen Logistik-Kongresses in Berlin und ist offenbar der Meinung, Gewaltenteilung hin oder her, dass die Exekutive der Judikative ruhig einmal den Marsch blasen darf. Raumsauer hatte schon nach Einreichung der Eilanträge der Umweltverbände Gift und Galle gespuckt und verkündet, dass er „Nullkommanull Verständnis“ für die Naturschützer habe.

Auch die Hamburger SPD macht mit Unterstützung der Springer-Medien ordentlich Stimmung gegen die „notorischen Neinsager“ – die Umweltschützer. Die würden „mit der Zukunft Hamburgs spielen“, hat der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion Jan Balcke bereits die Schuldigen für zukünftige Rezessionen ausgemacht. Nicht nur das – Balcke wittert sogar Verrat: Diejenigen, die sich für die Deichsicherheit sowie den Schutz von Schierlingswasserfenchel und Bekassine einsetzen, würden „das Geschäft der konkurrierenden Häfen“ betreiben.

Nur noch Rot sieht der Präsident des Unternehmerverbandes Hafen Hamburg (UVHH), Gunther Bonz – er behauptet sogar, die Elbvertiefung sei ein ökologisch wertvolles Projekt, weil dann der Treibstoffverbrauch der Schiffe sinke –, und fordert nun von der Hansestadt die Einführung eines Rabatts bei den Anlegegebühren für große Schiffe. Diese Begünstigung soll nach Ansicht von Bonz ein gerechter Ausgleich für den durch das Urteil erlittenen Schaden – Schiffe mit Tragkapazitäten ab 10.000 TEU müssen ihre Ladungen angeblich bereits vor Erreichen des Hamburger Hafens löschen – sein und aus Haushaltsmitteln finanziert werden, die bisher die Umweltverbände und die Stiftung Lebensraum Elbe erhalten haben. Die Naturschützer würden die erhaltenen Gelder ohnehin nur für Klagen verschwenden, mit denen Arbeitsplätze vernichtetet würden. „Wer so mit familiären Schicksalen umgeht, ist nicht gemeinwohlorientiert und bedarf auch keiner Förderung aus dem allgemeinen Steueretat“, erklärte Bonz gegenüber dem NDR. Er fordert zudem eine Einschränkung des deutschen Planungsrechts. Die Klagemöglichkeiten der Umweltverbände gehen ihm zu weit. „Damit sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagte er der Welt.

Erwartungsgemäß erntet der wild gewordene Unternehmerverbandsvorstand Applaus von der Hamburger FDP: „Wer dem Hafen schadet, soll nicht aus Hafengeld und öffentlichen Mitteln finanziert werden“, findet der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Thomas-Sönke Kluth. Daher werde die FDP die Bürgerschaft mit ihrer Forderung konfrontieren, alle finanziellen Mittel für die Stiftung Lebensraum Elbe unverzüglich zu streichen.

Unternehmer haben rechtstaatlichen Boden verlassen

„Da Herr Bonz nicht wagt, das Gericht öffentlich zu kritisieren, schlägt er auf die Naturschutzverbände ein. Sein Vorschlag, die Fördermittel für diese Verbände zu streichen und für Maßnahmen der Hafenwirtschaft einzusetzen, stellt faktisch eine Bestrafung für die Wahrnehmung demokratischer Rechte dar“, hält Dora Heyenn dagegen und bringt ein Problem auf den Punkt: Viele Apologeten der totalen Deregulierung der Marktwirtschaft denken immer lauter darüber nach, wie störend doch Teile des Grundgesetzes sein können, wenn es darum geht, ihre Profite zu maximieren. Zu einer Demokratie gehörten „auch Bürgerrechte, und die Bürger und Bürgerinnen nicken nicht alles ab, was die Regierungen planen“, erteilt Heyenn Bonz und der Hafenlobby offenbar dringend benötigte Nachhilfe im Fach Staatsbürgerkunde. „Und das ist verfassungsmäßig auch so gewollt.“

„Bonz rüttelt an rechtsstaatlichen Grundlagen und an unseren Lebensgrundlagen“, kommentiert Walter Rademacher vom Regionalen Bündnis gegen Elbvertiefung Bonz‘ Ausraster. „Natürlich brauchen wir keinen Fisch aus der Elbe, es gibt doch Zuchtanlagen und Fisch aus Übersee. Wir brauchen keine Äpfel aus dem Alten Land, wir holen sie aus Südafrika, und Urlaub kann man überall auf der Welt machen, auf Malle zum Beispiel – warum gerade im Alten Land?“, karikiert Rademacher Bonz‘ Haltung. Bonz rede einer „Wirtschaftsdiktatur“ das Wort, so Rademacher weiter, „in der Umweltschützer nur noch als Feigenblatt und Statisten vorkommen. Man könnte sie in Käfigen als ,gesellschaftliches Gewissen‘ zur Schau stellen.“

Der Präsident des UVHH „schwingt eine große populistische Keule, um die Umweltverbände mundtot zu machen“, kommentieren die Vorsitzenden von BUND und NABU Hamburg Alexander Porschke und Barbara Dahlke Bonz‘ verbalen Amoklauf. Er habe offenbar nicht verstanden, dass die nach dem Bundesnaturschutzgesetz anerkannten Verbände „ihre ohnehin geringe staatliche Unterstützung“ beziehen, damit sie als stellungnahme- und klageberechtigte Organisationen darauf achten, bei Eingriffen in die Natur das nationale und internationale Umweltrecht einzuhalten. „Wenn Herr Bonz diese Aufgabe nur gefördert wissen will, wenn aus seiner Sicht das richtige Ergebnis herauskommt, hat er nicht nur die Grenzen des Anstands überschritten, sondern auch den Boden des demokratischen Rechtsstaats verlassen“, so NABU und BUND. „Mit seinen Äußerungen spielt der Präsident des Unternehmensverbands mit den Ängsten der Menschen, die im Hafen arbeiten und hetzt damit Hafenarbeiter, Umweltschützer und die Menschen im Alten Land, die die Elbvertiefung ebenfalls ablehnen, in unverantwortlicher Weise gegeneinander auf“, ergänzt Dr. Barbara Dahlke für den BUND.

Ver.di streitet für Kapitalinteressen

Nicht nur der Unternehmerverband – auch die Gewerkschaft ver.di hat jegliches rechtstaatliches Augenmaß verloren, beteiligt sich an der Treibjagd auf die Naturschützer und will sich nicht mit der Unabhängigkeit der Judikative abfinden. Wie so häufig ignoriert sie ihre politische Matrix, schlägt sich auf die Seite der Arbeitgeber, streitet für Kapitalinteressen und übt sich in reaktionärem Standortpatriotismus: Für den 9. November hat ver.di in Hamburg zu einer Demonstration für die Elbvertiefung unter dem von Orwellscher Logik (Naturzerstörung ist Naturschutz) durchwirkten Motto aufgerufen: „Es ist fünf vor 12: Hafenarbeiter demonstrieren für ihre Arbeitsplätze und für die Umwelt“. Die Betriebsräte der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Eurogate und der Gesamtbetriebsrat Hafen Hamburg wollen die Muskeln spielen lassen und den Umweltschützern mit Tausenden von Kollegen einmal zeigen, was eine Harke ist. Die ver.di-Funktionäre sind mächtig stolz, weil der Unternehmerverband Hamburg Hafen seine Unterstützung zugesagt hat. „Das zeigt, dass sich die Unternehmen mit den Ängsten ihrer Beschäftigten identifizieren können“, freut sich ver.di-Sekretär Torsten Ballhause wie ein Schneekönig über die Anerkennung von oben. Auch die Hamburger SPD will sich am 9. November dem anachronistischen Zug anschließen.

„Es ist schon erstaunlich, wie sich die Gewerkschaft vor den Karren von Einzelinteressen spannen lässt“, kritisierte Walter Rademacher gegenüber HINTERGRUND den ver.di-Vorstoß.

An der Spitze der Bewegung steht der HHLA-Betriebsratschef und Sozialdemokrat Arno Münster, der nach allen Regeln der Kunst versucht, die Umweltschützer als zynische Existenzvernichter zu dämonisieren: „Sie lassen die Sektkorken knallen, sie spielen mit unseren Arbeitsplätzen“, will Münster beobachtet haben. Abgesehen davon, dass die Naturschutzverbände keineswegs Sektkorken knallen ließen: Offenbar versucht Münster, sie als Sündenböcke zu benutzen und von schweren Versäumnissen der HHLA-Unternehmensleitung abzulenken. Die hat offenbar wichtige hafenwirtschaftliche und technologische Entwicklungen im Containerschiffbau verschlafen, indem sie mit Hamburg nur in einem einzigen Tiefwasserhafen ansässig ist. Somit zieht sie im Falle eines endgültigen Stopps der Ausbaggerung der Elbe gegenüber den Konkurrenten den Kürzeren. „Damit ist die HHLA natürlich ein Übernahmekandidat für global Player“, erklärt Rademacher, der akribisch Buch führt über den Großschiffverkehr im Hamburger Hafen.

Die Hafenwirtschaft lügt und manipuliert

Rademachers Aufzeichnungen bringen hochinteressante Fakten ans Tageslicht, die von der Wirtschaftslobby wohlweislich verschwiegen werden: In dem Zeitraum der vergangenen zwei Jahre plus dreieinhalb Monate (exakt vom 13. Juni 2010 bis 1. November 2012) sind 275 große Schiffe der Klasse 13.000 bis 14.000 TEU in den Hafen eingelaufen, davon 63,6 Prozent tideunabhängig. Dabei nutzte kein einziges Schiff den möglichen Tiefgang voll aus. Ähnliche Zahlen bei den auslaufenden Schiffen: Von 273 passieren 71 Prozent das „Tor zur Welt“ tideunabhängig, nur drei Schiffe nutzten den möglichen Tiefgang aus. Diese Zahlen belegen, dass die Elbvertiefung alles andere als eine hafenwirtschaftliche Notwenigkeit ist. Die von den öffentlichen Haushalten zu tragenden Kosten und der Nutzen für die Unternehmer stehen nicht einmal ansatzweise in einem vertretbaren Verhältnis zueinander.

Rademacher weist auch darauf hin, dass die Öffentlichkeit „von der Hafenwirtschaft regelmäßig belogen“ werde und nennt ein Beispiel: Von den Unternehmern wird gebetsmühlenartig die Behauptung aufgestellt, die Elbe werde „nur“ einen Meter tiefer ausgebaggert. „Die Planungsunterlagen weisen aber aus, dass die Vertiefung zwischen 1,5 und 2,42 Metern liegen wird“, so Rademacher. Ein weiteres Beispiel: Die Hafenunternehmer verbreiten immer wieder die Meldung, dass Schiffe tagelang warten müssen, bis der Wasserstand so hoch ist, bis sie auflaufen können: „Wir haben die Liegezeiten aller großer Containerschiffe geprüft – die Behauptungen sind schlichtweg unwahr“, versichert Rademacher. Gleiches gelte für die Behauptung, die Schiffe müssten teilentladen werden, bevor sie einlaufen können. Die Tiefgangstatistiken würden eine ganz andere Sprache sprechen

Für den Schutz der Lebensgrundlagen kämpfen

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Die meisten Menschen am Fluss lassen sich weder von den Lügen der neoliberalen Wirtschaftslobby dumm machen noch von den Hetz-Kampagnen gegen den Naturschutz einschüchtern. Vergangene Woche organisierte das Regionale Bündnis gegen Elbvertiefung einen „Pilgerweg zum Schutz der Elbe“ von Cuxhaven nach Hamburg in die HafenCity. An den Zwischenstationen der rund 132 Kilometer langen Strecke veranstalteten die Aktiven abendliche Diskussionen und Gesprächsrunden. Dabei wurde auch auf beunruhigende Entwicklungen aufmerksam gemacht. Viele Menschen, vor allem ältere, die die große Sturmflut von 1962 miterleben mussten (315 Menschen starben), haben Angst, dass die Deiche nicht mehr halten werden, wenn die Elbvertiefung kommt. Sie haben allen Grund zur Sorge: Kurz vor der Ostemündung hat sich der Fluss bis auf 70 Meter zum Hauptdeich verbreitert. In Altenbruch bei Otterndorf ist der Deich nach der letzten Elbvertiefung um 60 Zentimeter abgesackt. „Die vergangene Elbvertiefung hatte für den Deich bereits schwerere Auswirkungen als angenommen“, sagte Schultheiß Günther Hahl der Niederelbe Zeitung. Eine weitere Maßnahme werde voraussichtlich die Fließgeschwindigkeit erhöhen und eine Versalzung des Binnenlandes zur Folge haben. Außerdem sind einige Nebenflüsse der Elbe durch die extreme Verschlickung kaum noch befahrbar. Schleusentore werden von Feinsandanhäufungen blockiert und lassen sich nicht mehr bewegen.

Es könne nicht angehen, dass der Lebensraum entlang des Flusses durch „rein wirtschaftliche Erwägungen“ zerstört werde, sagt Marlis Brandt, eine der Organisatorinnen des „Pilgerweges“. Sie wolle dem „geschundenen Elbstrom eine Stimme geben“. Insgesamt 300 Menschen beteiligten sich an dem Protestmarsch. Marlis Brandt, spricht von einem „neuen Aufbruch“. Die Aktionen „haben uns darin bestärkt, weiter um den Schutz unserer Lebensgrundlagen zu kämpfen“.

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