BSW und Juristen kritisieren Ablehnung des Antrags auf Neuauszählung der Bundestagswahl
Wahlprüfungsausschuss weist Einspruch von Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als „unsubstantiiert“ zurück / Juristen sehen „Leugnung“ offenkundiger Mandatsrelevanz / BSW kündigt Klage vor Verfassungsgericht an
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat dem Wahlprüfungsausschuss zur Bundestagswahl 2025 „Befangenheit“ vorgeworfen, nachdem das Gremium die Neuauszählung der Wahl mehrheitlich abgelehnt hatte. Der Ausschuss werde seiner Aufgabe als „Instrument der demokratischen Kontrolle“ nicht gerecht. Auch mehrere Juristen kritisieren die Entscheidung. Bereits in einer Ende November an mehrere Medien vorab weitergeleiteten Beschlussvorlage wurde der Einspruch des BSW gegen das Wahlergebnis zurückgewiesen. Zur Begründung hieß es, es habe „kein mandatsrelevanter Verstoß gegen Wahlrechtsvorschriften und damit kein Wahlfehler festgestellt werden“ können. In der Sitzung vom 4. Dezember folgte das Gremium der Beschlussvorlage.
In einer Pressemitteilung vom 2. Dezember schreibt das BSW, es sei „naheliegend“, dass „machtpolitische Gründe“ eine Rolle bei der Entscheidung spielten: „Die Angst, dass sonst das BSW zu Recht im Bundestag wäre und die Regierung Merz ihre Mehrheit verlieren würde, ist offenbar zu groß.“ Das BSW wirft dem Prüfausschuss vor, „gewichtige Argumente für eine Neuauszählung“ ignoriert zu haben. Parteigründerin Sahra Wagenknecht kündigte an, gegen den Beschluss umgehend Klage vor dem Bundesverfassungsgericht (BVErfG) einzureichen. Sie hoffe dabei auf eine Entscheidung „noch im ersten Halbjahr 2026“.
Wagenknecht kritisierte die parlamentarische Zusammensetzung des Wahlprüfungsausschusses gegenüber dem Magazin „Stern“ als Relikt „aus der Kaiserzeit“, welches zum „Schaden für die Demokratie“ nun „schamlos ausgenutzt“ worden sei. Auch der ehemalige Verfassungsrichter Peter Müller (CDU) kritisierte das Vorgehen aus der Zeit des „Kaisers“ in einer Folge des juristischen Podcasts „Einspruch“ der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Es kann ja wohl eigentlich nicht sein, dass der Bundestag selbst über die Gültigkeit der Bundestagswahl beschließt. Er wird dadurch zum Richter in eigener Sache.“ Der Ausschuss besteht aus neun Bundestagsabgeordneten, von denen fünf den Fraktionen der Regierungsparteien SPD und CDU/CSU angehören. Müller unterstützt die BSW-Forderung nach einer Neuauszählung jedoch nicht. Denn „der bloße Umstand, dass in einem bestimmten Wahlbezirk ein bestimmter Auszählungsfehler stattgefunden hat“, könne „nicht ohne weiteres auf andere Wahlbezirke übertragen werden“.
Das ehemalige Mitglied der Kommission zur Reform des Wahlrechts Halina Wawzyniak (Linke) schreibt in einem Beitrag für den „Verfassungsblog“: „Demokratietheoretisch wäre es nicht nur wünschenswert, sondern schlichtweg nötig, eine Nachzählung der Bundestagswahl durchzuführen.“ Die rechtliche Lage sei allerdings kompliziert. Statt ein nicht existentes „einklagbares Recht auf Nachzählung“ zum Gegenstand des Einspruchs zu machen, hätte das BSW aus Sicht Wawzyniaks „beantragen müssen, die Wahl für ungültig zu erklären, weil das Wahlergebnis unrichtig festgestellt wurde und damit die Zusammensetzung des Bundestages fehlerhaft ist.“ Darin sei die eigentliche Rechtsverletzung zu sehen, eine Nachzählung hätte in der Folge als „Beweismittel“ angeführt werden können. Die Juristin hält aber auch fest, dass selbst bei anderer rechtlicher Bewertung des Wahleinspruchs die Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses „nicht überzeugen“ könne: Der Ausschuss fordere „Unmögliches, indem er die Anforderungen an die Substantiierungspflicht deutlich überspannt“. Das Instrument des Einspruchs werde damit „praktisch wertlos“ und das Beweismittel der Nachzählung „fast ausgeschlossen“.
Die ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft Eckhard Jesse und Uwe Wagschal hatten die Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses in einem Beitrag für die „Welt“ als „Offenbarungseid“ bezeichnet. So zählten zu den Verdachtsfällen des BSW, die der Ausschuss als „unsubstantiiert“ zurückweise auch solche, in denen „vielleicht nicht ‚mit Sicherheit‘, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ falsche Auszählungen erfolgt seien. Der Einspruch des BSW enthalte damit „durchaus substanzielle, über bloße Andeutungen hinausgehende Argumente“ und werde durch die Beurteilungen des Ausschusses „nicht widerlegt“. Vielmehr „leugne“ der Wahlprüfungsausschuss eine offenkundige Mandatsrelevanz.
Laut offiziellem Ergebnis der Bundestagswahl 2024 scheiterte das BSW mit 9.529 Stimmen oder 0,019 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde, die Parteien den Einzug in den Bundestag erlaubt. Zu möglichen mandatsrelevanten Fehlern zählt das BSW „strukturelle“ Falschauszählungen durch Verwechslungen mit der Kleinpartei „Bündnis Deutschland“, die zum Teil auch „statistisch eindeutig identifizierbar“ seien. So habe die Kleinpartei innerhalb eines Hamburger Wahlbezirks 33 Stimmen erhalten, während das BSW keine einzige erhielt. Das BSW gibt an, in einer Stichprobe von 50 bereits erfolgten Nachzählungen 15 falsch gezählte BSW-Stimmen entdeckt zu haben. Bei einem Verhältnis von 0,3 Stimmen pro Wahlbezirk und rund 95.100 Wahlbezirken könnten demnach bis zu 28.530 Stimmen falsch gezählt worden sein. Darüber hinaus deuteten „unterschiedliche Quoten von ungültigen Stimmen“ zwischen den einzelnen Bundesländern „klar“ auf „ein unterschiedliches Vorgehen der Wahlorgane“ hin, welches „auch politisch motiviert sein könnte.“