Chefredakteur: „Telepolis“ soll nicht mit „bestimmten Autoren“ in Verbindung gebracht werden
Monatelang gesperrtes „Telepolis“-Archiv wieder erreichbar / Chefredakteur im Interview: Frühere Autoren haben Magazin „missbraucht“ / Ziel ist „schwarze Null“
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Harald Neuber, seit 2021 Chefredakteur von „Telepolis“, möchte verhindern, dass das traditionsreiche Online-Magazin „mit bestimmten Autoren und bestimmten Inhalten in Verbindung gebracht wird“. Dies erklärte er in einem Interview mit dem eigenen Magazin (30. Juni) zum Hintergrund der monatelangen Sperrung sämtlicher „Telepolis“-Artikel aus der Zeit vor Neubers Amtsübernahme. Autorennamen nannte er nicht. Die gesperrten Inhalte, die rund 70.000 Artikel seit dem Jahr 1996 umfassen, sind inzwischen wieder erreichbar – allerdings in einer separaten Rubrik „Archiv“.
Im Dezember 2024 hatte „Telepolis“ bekanntgegeben, alle vor 2021 veröffentlichten Artikel vorübergehend offline zu nehmen. Neuber bezeichnete die Sperrung im aktuellen Interview als eine „heftige, eine krasse Maßnahme“. Das „Telepolis“-Archiv sei ein „wichtiger Teil“ der deutschen Mediengeschichte. Die pauschale Sperrung aller Artikel sei aus technischen Gründen erfolgt, da nicht nur ausgewählte Beiträge vom Netz genommen werden konnten. Das Archiv sei nie gelöscht gewesen, sondern die entsprechenden Artikel seien für die Leser nur „vom Server nicht mehr ausgeliefert“ worden.
Auch bestimmte aus seiner Sicht problematische Artikel seien nun wieder abrufbar: „Das hätte ich gerne anders gehabt“, räumte Neuber ein. Das sei jedoch technisch nicht möglich. Als Beispiele nannte er zwei nicht näher spezifizierte Artikel über französische Atomkraftwerke und US-Biowaffenlabore in der Ukraine. In einem Artikel vom 2. Juni hatte Neuber erklärt, der Großteil der früheren Artikel werde wieder über die Suchfunktionen auf „telepolis.de“ auffindbar sein. Dort nicht aufgenommen würden jedoch Artikel „von Autoren, an deren Professionalität Zweifel bestehen“.
Die Kritik an der Sperrung aller „Alt-Artikel“ sei Neuber zufolge ein „Sturm im Wasserglas“ gewesen. Die „lautesten Kritiker“ seien die Autoren, „deren Inhalte problematisch sind“. Diese früheren Autoren seien keine Journalisten sondern „Missionare“, die „eine bestimmte Botschaft unter die Leute bringen wollen“ – dafür hätten die Autoren das Magazin „missbraucht“. Ein Teil der Kritiker gehöre einer „geschlossenen Szene“ an, die sich um Neubers Vorgänger Florian Rötzer schare und dort „ihrer Wut“ Ausdruck verleihe.
Das Online-Magazin, das 1996 von den Journalisten Florian Rötzer und Armin Medosch gegründet und bis zum Jahr 2002 von den beiden gemeinsam als Chefredakteur-Duo verantwortet wurde, sei in dieser Anfangszeit ein „großartiges Medium“ gewesen, sagte Neuber. In den folgenden großen Krisen – Neuber nennt die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA, die Flüchtlingskrise und Corona – habe „Telepolis“ dann jedoch nicht immer „professionelle Standards“ eingehalten. Verlag und Redaktion seien zur Erkenntnis gelangt, dass es notwendig gewesen wäre, „eine ganz strikte journalistische Herangehensweise“ einzuhalten. Neuber, der selbst seit dem Jahr 2000 als Autor für das Magazin arbeitet, hatte allein bis 2021 mehr als 1.300 Artikel für „Telepolis“ geschrieben.
Die ebenfalls neuen Einschränkungen des Leserforums begründete Neuber mit zu geringen Personalressourcen für die Moderation der Diskussionen. Es gebe im Internet viele „Pöbler“, die „anonym und völlig enthemmt“ debattierten. Deshalb werde die Kommentarfunktion für Leser bei „Telepolis“ nun täglich lediglich für zwei Artikel zur Verfügung gestellt. Moderatoren seien derzeit dabei, die Leser „zu erziehen“, damit es eine „gute und inhaltliche Debatte“ gibt. Ganz abgeschafft werden soll das Forum nicht, erklärte Neuber. Andere Medien hätten dies getan, „weil damit kein Geld verdient wird“. Leserkommentare erzeugten technisch nur „Page Impressions“ (Seitenabrufe), die keine finanziellen Einnahmen bringen. Nach der Schließung des Forums habe es einen Rückgang der Abrufe gegeben. Dies sei den Verantwortlichen bei „Telepolis“ aber „egal“.
Die Redaktion und der herausgebende Heise-Verlag schauen stattdessen auf die werberelevanten „Object Views“ – einer Kombination von Seitenabrufen und Nutzerzahlen, erläuterte der Chefredakteur. Diese seien von unter 20 Millionen im Jahr 2021 auf 40 Millionen im Jahr 2024 gestiegen. „Wir sind auf einem deutlichen Wachstumskurs.“ Die frühere Leitung sei „unternehmerisch gescheitert“. Neuber sehe sich als wirtschaftlicher und journalistischer „Sanierer“ des Online-Magazins. Es soll „zukunftsfähig“ werden, indem es eine „schwarze Null“ schreibt. Das Themenspektrum sei um Bereiche wie „Lifestyle“ oder „Fit & Gesund“ erweitert worden. Das Magazin positioniere sich „explizit zwischen Mainstream und Alternativmedien“. Trotz der Fokussierung auf Werbeeinnahmen soll „Telepolis“ Neuber zufolge kritischer und unabhängiger werden.