Corona-Aufarbeitung

„Einseitig und regierungsnah“: Medienforscher kritisieren Corona-Berichterstattung

Studie: Leitmedien plädierten wie Politik überwiegend für „harte Maßnahmen“ / Negative Folgen, Kritiker und Opfer der Maßnahmen kaum thematisiert / SPD-Politiker Lauterbach lief Virologen bei Medienpräsenz den Rang ab

(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)

Die Berichterstattung deutscher Leitmedien in der Corona-Krise war „einseitig“ und „regierungsnah“. Das geht aus einer Studie deutscher Kommunikationswissenschaftler von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Ludwig-Maximilians-Universität München hervor. Die Medien „nahmen eine eindeutig warnende Haltung ein, die man durchaus als einseitig betrachten kann“, heißt es in der Studie. Die Berichterstattung habe sich sehr stark auf Politiker von Union und SPD sowie auf bestimmte Virologen konzentriert, während Maßnahmenopfer, „Corona-Skeptiker“ und Oppositionspolitiker kaum zu Wort kamen, stellten die Wissenschaftler fest.

Die untersuchten Nachrichtenformate plädierten „ähnlich wie die Politik“ für überwiegend „harte Maßnahmen“, bemängeln die Studienautoren. Die Leitmedien seien jedoch „nicht völlig unkritisch“ gegenüber den Regierungen von Bund und Ländern gewesen. Sie tadelten die Politik auch regelmäßig, da den Journalisten viele Maßnahmen als zu spät oder nicht hart genug erschienen seien. Die Einseitigkeit sei jedoch nur dann ein Problem, wenn man „die Pandemie als eher ungefährlich oder die Maßnahmen als eher übertrieben wahrnimmt“, erklären die Medienforscher. Glaube man hingegen, Deutschland sei wegen der Maßnahmen „gut durch die Pandemie gekommen“, stelle sich die mediale Einseitigkeit als „Ausweis von Rationalität, Wissenschaftsorientierung und hoher Qualität der Berichterstattung“ dar.

Die negativen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen „harter“ Corona-Maßnahmen seien in den Leitmedien kaum thematisiert worden, heißt es in der Studie weiter. „Die Nöte derjenigen, deren Existenzen durch die Maßnahmen zerstört wurden, oder die dadurch mit psychischen und physischen Problemen zu kämpfen hatten, gerieten zunehmend aus dem medialen Blickfeld.“ Ein Streben nach Sicherheit habe in der medialen Berichterstattung deutlich gegenüber Forderungen nach Freiheit dominiert. Die Studie untersuchte die Corona-Berichterstattung der Fernsehnachrichten-Formate „Tagesschau“ (ARD), „heute“ (ZDF), „RTL aktuell“ und „ARD Extra zur Corona-Pandemie“ sowie die Beiträge zum Thema in den Online-Auftritten von „Frankfurter Allgemeine“, „Süddeutscher Zeitung“, „Welt“, „Bild“, „Spiegel“ „Fokus“ und „t-online“ vom 1. Januar 2020 bis 30. April 2021.

Dass die Leitmedien sich in der Corona-Krise immer wieder lediglich auf einige wenige Virologen wie Christian Drosten bezogen, spreche „nicht für eine vielfältige Berichterstattung“, schreiben die Forscher. Allerdings zählten die oft interviewten Virologen zu den „weltweit angesehensten ihres Faches“, weshalb die Konzentration auf sie „rational“ sei. Während der zweiten und dritten Corona-Welle seien die virologischen Experten in den Medien zunehmend durch den SPD-Politiker und späteren Gesundheitsminister Karl Lauterbach „ersetzt“ worden. Dies lasse sich jedoch nicht mit dessen Expertise sondern mit seiner „harten Linie“ beim Thema Corona erklären, die von vielen Medien „geschätzt“ worden sei.

Die Unsicherheit wissenschaftlicher Prognosen sei oft nicht vermittelt und Statistiken nicht eingeordnet worden, stellten die Forscher zudem fest. Die Leitmedien hätten bezüglich des medizinischen Vorgehens gegen das Coronavirus immer wieder einen „Konsens in der Wissenschaft unterstellt“. Allerdings müssten sich Journalisten im Klaren sein, „dass auch Wissenschaft irren kann, sich ein wissenschaftlicher Konsens unter Umständen erst entwickeln muss und Prognosen daneben liegen können“, heißt es im Fazit der Studie. Bei der Auswahl wissenschaftlicher Gesprächspartner sollte deren Fachwissen im Vordergrund stehen und nicht die Übereinstimmung „mit dem, was Journalistinnen und Journalisten selbst denken oder zum Ausdruck bringen möchten“.

Einer der Studienautoren, der Mainzer Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer, sagte in einem Interview mit der Zeitung „taz“, die Leitmedien seien der Regierung nicht hinterhergelaufen, sondern hätten diese mit der Forderung immer härterer Corona-Maßnahmen eher „vor sich hergetrieben“. „Sie haben einseitig berichtet, aber nicht unkritisch.“ Maurer könne „gut nachvollziehen“, dass Journalisten die Corona-Krise möglichst schnell beendet wollten, aber hierzu hätten sie auch mehr Argumente gegen die Maßnahmen beschreiben können, da diese für viele Betroffene durchaus finanzielle oder gesundheitliche Probleme erzeugten. „Menschen kriegen die Probleme ja trotzdem mit und fragen sich: Warum schreibt keiner darüber?“ Die journalistische Einseitigkeit könnte „kontraproduktiv“ gewesen sein, vermutet Maurer, denn bis zu 15 Prozent der Menschen vertrauten den Medien inzwischen „überhaupt nicht mehr“. Vor Corona habe dieser Wert lediglich bei rund fünf Prozent gelegen.

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