Ermittlungen der Bundesregierung belasten früheren Gesundheitsminister Spahn
Jens Spahn persönlich verantwortlich für überhöhten Festpreis bei Beschaffung von FFP2-Masken / Medien: Unionsnahe Firmen mit Masken-Logistik beauftragt / Grüne: Aktuelle Gesundheitsministerin hält Bericht unter Verschluss, um Spahn zu schützen
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Ermittlungsergebnisse der Bundesregierung belasten den früheren Gesundheitsminister und derzeitigen Vorsitzenden der Unionsfraktion Jens Spahn (CDU) schwer. Die internen Ermittlungen zur Beschaffung von Masken und Schutzausrüstung zu Beginn der Corona-Krise waren von Spahns Nachfolger im Gesundheitsministerium Karl Lauterbach (SPD) initiiert worden. Aus dem Bericht der ehemaligen Justizstaatssekretärin Margaretha Sudhof (SPD) gehe hervor, dass Spahn persönlich einen viel zu hohen Festpreis für Masken festgelegt habe. Zudem habe der damalige Gesundheitsminister eine CDU-nahe Logistikfirma aus seiner Heimat gegen den Willen des Innenministeriums und unter Missachtung des Vergaberechts mit dem Transport und der Einlagerung der Masken beauftragt. Schließlich habe er auch einer CSU-nahen Firma in der Schweiz Aufträge zu überhöhten Preisen erteilt.
Zwar liegt der Sudhof-Bericht beim Gesundheitsministerium derzeit unter Verschluss. Allerdings geben die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) und das Magazin „Der Spiegel“ an, Einsicht in Auszüge des Berichts gehabt zu haben. So berichtet die FAZ, dass die für Medizinprodukte zuständige Abteilung des Gesundheitsministeriums am 17. März 2020 einen Durchschnittspreis von netto 2,83 Euro je FFP2-Maske ermittelt habe. Der damalige Gesundheitsminister habe sich jedoch bei der Beschaffung nach dem „Open-House-Verfahren“ am 23. März 2020 für einen Festpreis von netto 4,50 Euro entschieden. Der daraus entstandene Schaden summiere sich laut FAZ auf 623 Millionen Euro und sei damit zweieinhalbmal so groß wie die Verluste aus der gescheiterten Pkw-Maut von 2019 unter Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).
Das von Spahn gewählte Beschaffungsverfahren, das die vergaberechtlichen Vorschriften umging, könnte jedoch noch viel höhere Kosten nach sich ziehen. Denn das „Open-House-Verfahren“ verpflichtete das Gesundheitsministerium dazu, die zu dem festgelegten Stückpreis gelieferten Masken von jedem Anbieter abzunehmen – unabhängig davon, wie viele überhaupt benötigt wurden. Aufgrund des „viel zu hohen Festpreises“ sei der Bund mit Masken „überschwemmt“ worden, berichtet die FAZ weiter. Daher habe der Bund Lieferungen nicht annehmen können, habe Vertragsstornierungen versucht und nicht gezahlt. Bis heute seien deshalb in diesen und anderen Fällen Klagen von rund 100 Händlern über 2,3 Milliarden Euro anhängig. Der Bundesrechnungshof habe schon im Juni 2021 eine „massive Überbeschaffung“ bemängelt. So seien über alle Beschaffungswege hinweg 5,7 Milliarden Masken für 5,9 Milliarden Euro geordert worden. Davon hätten viele ungenutzt verbrannt werden müssen, erklärt die Tageszeitung.
Die SZ fokussiert in einem Beitrag über den Sudhof-Bericht auf die Beauftragung einer CDU-nahen Logistik-Firma aus Spahns Heimat durch den damaligen Gesundheitsminister persönlich und „ohne Teilnahmewettbewerb“. Dem Bericht zufolge habe Spahn am 13. März 2020 im Corona-Krisenstab der Bundesregierung mitgeteilt, dass der Logistiker Fiege aus dem Münsterland bereits Arbeiten für die Bundesregierung erledige. Das dem Innenministerium unterstehende Beschaffungsamt habe sich geweigert, diese Wahl „nachträglich abzunicken oder gar gutzuheißen“, da der Krisenstab bereits ein Logistikkonzept erstellt hatte und mit den Branchenriesen DHL und Schenker in Gesprächen war. Ein hochrangiger Beamter des Gesundheitsministeriums habe daraufhin das Innenministerium „händeringend“ darum gebeten, „die Firma Fiege als Logistiker zu beauftragen“. Die von dem Unternehmen erbrachten Leistungen zum Transport und zur Einlagerung von Masken und Schutzausrüstungen kosteten laut SZ 1,5 Milliarden Euro.
Das Magazin „Der Spiegel“ verweist auf die Art und Weise, wie Spahn laut Sudhof-Bericht Aufträge zur Lieferung von Masken und Schutzausrüstung vergeben hatte. So habe der damalige Gesundheitsminister bei der Hamburger Firma „Pure Fashion Agency“ per E-Mail eine Bestellung aufgegeben, kurz darauf jedoch wieder einen Rückzieher gemacht. Das Unternehmen habe daraufhin die Bundesregierung auf die Zahlung von 287 Millionen Euro plus Zinsen verklagt. „Pure Fashion“ wirft in seiner Klage Spahn vor, er habe das Geschäft lieber mit der Schweizer Firma „Emix Trading“ machen wollen. Die Verbindung zu dem Unternehmen sei über Andrea Tandler, Tochter des Ex-CSU-Ministers Gerold Tandler, und die Europaabgeordnete Monika Hohlmeier (CSU) zustande gekommen. Der Bund habe laut „Spiegel“ letztlich Masken bei „Emix“ zu einem Stückpreis von weit über fünf Euro gekauft – trotz des Festpreises von 4,50 Euro und trotz Lieferverzögerungen sowie Qualitätsmängeln.
Die Bundestagsabgeordnete und Haushaltspolitikerin Paula Piechotta (Grüne) bezeichnete Spahn gegenüber dem „Spiegel“ aufgrund seiner Maskendeals mit „Pure Fashion“ und „Emix“ als „Dilettanten“. Nach Angaben der SZ sagte Piechotta, Jens Spahn habe „mit hoher Wahrscheinlichkeit CDU-nahe Unternehmen aus seiner Region bei Einkauf, Verteilung und Lagerung von FFP-Masken bevorzugt“. Geeignetere und leistungsfähigere Unternehmen habe er „gegen jeden Rat wahrscheinlich persönlich aus dem Rennen geworfen“. Zudem halte die derzeitige Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) den Bericht unter Verschluss, um Jens Spahn „vor dem Ende seiner politischen Karriere zu schützen“. Karsten Klein (FDP) fordert laut „Spiegel“ angesichts der Erkenntnisse aus dem Sudhof-Bericht einen Untersuchungsausschuss.
Spahn selbst verteidigt sein Vorgehen. In einem Bericht der „Tagesschau“ wird aus einem Interview mit „Table.Today“ zitiert. Spahn sagte dort: „In der Not ist Haben wichtiger als Brauchen. Das war eine Jahrhundertkrise und eine Ausnahmesituation.“ Es habe an allem gefehlt. „Natürlich sind wir finanzielle Risiken eingegangen.“ Spahn erklärte außerdem, er habe in der „Notlage“ zunächst mit Akteuren geredet, die er kannte. „Und ja, wir haben alles ohne Ausschreibung gemacht. Wie hätte das gehen sollen mit einem Ausschreibungsverfahren, das drei oder sechs Monate dauert?“ Die Firma Fiege habe „ein fertiges Konzept für den Umgang mit der Pandemie“ gehabt. Das Bestellverfahren zum Festpreis von 4,50 Euro würde Spahn „nie wieder machen“, jedoch hätten Masken damals teilweise 30 Euro gekostet. „Wir wollten nichts unversucht lassen.“