Corona-Aufarbeitung

EU-Abgeordneter darf Corona-Impfstoffverträge nicht einsehen

Akteneinsicht wird mit Verweis auf „loyale Zusammenarbeit“ mit EU-Kommission verwehrt / Abgeordneter Pürner spricht von „Hohn“ und erinnert an laufendes Verfahren gegen Kommissionspräsidentin von der Leyen / Mangelnde Transparenz und mögliche Interessenskonflikte seit Jahren in der Kritik

(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)

Der Europaabgeordnete Friedrich Pürner (parteilos, ehemals BSW) hat versucht, alle elf Verträge zwischen der Europäischen Union (EU) und den Corona-Impfstoffherstellern einzusehen, die in den Jahren 2021/22 abgeschlossen wurden. Konkret geht es um die Verträge mit BioNTech/Pfizer, Moderna, AstraZeneca, Johnson & Johnson, Sanofi-GSK sowie mit Novavax, HIPRA und CureVac. Der Zugang zu den Verträgen wurde ihm jedoch verwehrt. Pürner bezeichnet die Verweigerung der Akteneinsicht als „Hohn für all diejenigen, die Aufklärung und Transparenz der politischen Corona-Maßnahmen fordern“. Wie auch im Deutschen Bundestag hätten „die mehrheitsgebenden Fraktionen im Europaparlament kein ernsthaftes Interesse an einer ehrlichen Aufarbeitung“.

Die italienische Rundfunkgesellschaft „Radiotelevisione italiana“ (Rai) hatte bereits 2021 die ungeschwärzten Verträge der EU mit BioNTech/Pfizer und Moderna aus dem Jahr 2020 veröffentlicht. Auch über die Plattform „Frag den Staat“ sind sie inzwischen einsehbar. In Slowenien wurden vier Verträge zwischen dem EU-Mitgliedsland und BioNTech/Pfizer infolge eines Antrags auf Informationsfreiheit veröffentlicht, die jedoch ebenfalls teilweise geschwärzt sind. So ist etwa der Preis, der für die bestellten Dosen gezahlt wurde, nicht einsehbar. Offiziell stellte die EU-Kommission bisher sämtliche Vertragstexte nur an vielen Stellen geschwärzt zur Verfügung.

Als stellvertretendes Mitglied im EU-Gesundheitsausschuss (SANT-Ausschuss) beantragte Pürner daher beim Ausschussvorsitzenden, dem polnischen Abgeordneten Adam Jarubas (EVP), dieser möge bei der EU-Kommission alle Verträge vollständig und ungeschwärzt anfordern. In seiner Antwort bestätigte der Vorsitzende Jarubas, dass er in seiner Funktion durchaus „im Namen des Ausschusses Informationen von der Kommission anfordern kann“. Die Koordinatoren des Gesundheitsausschusses hätten Pürners Anliegen in einer Sitzung am 19. März 2025 diskutiert, schlussendlich jedoch abgelehnt.

Zur Begründung heißt es in Jarubas Antwortschreiben: „In seinen Beziehungen zur Kommission ist der SANT-Ausschuss als Teil des Europäischen Parlaments an den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gebunden.“ Die Koordinatoren hätten zudem festgestellt, das Thema „COVID-19-Pandemie“ sei „nicht Teil des aktuellen SANT-Arbeitsprogramms“. Die Maßnahmen der Kommission seien diesbezüglich bereits im Bericht des Sonderausschusses „COVID-19-Pandemie: Lehren und Empfehlungen für die Zukunft“ (COVI) umfassend behandelt worden. Pürner könne sein „Ersuchen erneuern, wenn der SANT-Ausschuss Fragen der COVID-19 Pandemie in sein Arbeitsprogramm aufnehmen wird“. Zu den Koordinatoren des Gesundheitsausschusses gehört auch die AfD-Abgeordnete Christine Anderson als einzige Vertreterin aus Deutschland. Eine Anfrage von Multipolar wie genau es zur Ablehnung von Pürners Antrag kam und wie sie selbst zu dieser Entscheidung steht, ließ Anderson trotz mehrfacher Nachfrage unbeantwortet.

In einer Mitteilung übt Pürner deutliche Kritik an der Entscheidung und fragt, ob der EU-Gesundheitsausschuss „nicht Korrektiv und parlamentarische Kontrolle der EU-Kommission sein“ sollte: „Wie sollen gewählte Abgeordnete ihre Tätigkeit im Ausschuss ernst- und gewissenhaft ausüben können, wenn ihnen noch nicht mal Akteneinsicht gewährt wird?“ Er erinnert zudem daran, dass gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVG) „immer noch ein offenes Verfahren vor dem EU-Gericht“ läuft.

Die damalige und aktuelle Kommissionspräsidentin von der Leyen soll mit dem Pfizer-Chef Albert Bourla unter anderem per SMS den größten Deal in der EU-Geschichte ausgehandelt haben. Es geht mutmaßlich um eine Summe in Höhe von 35 Milliarden Euro. Journalisten etwa der „New York Times“ (NYT) oder des „Cicero“ sowie EU-Abgeordnete wie Martin Sonneborn (Die Partei) versuchen schon seit Jahren, die zumindest in Teilen intransparente Impfstoffbeschaffung der EU-Kommission zu durchleuchten. Die NYT klagt derzeit vor dem Gericht der EU auf Herausgabe der Textnachrichten.

Die Europäische Staatsanwaltschaft ermittelt seit Oktober 2022 zum „Erwerb von Covid-19-Impfstoffen in der Europäischen Union“ – bislang ohne Ergebnis. Die Europäische Staatsanwaltschaft hatte zudem 2024 Ermittlungen der belgischen Staatsanwaltschaft gegen von der Leyen wegen „Einmischung in öffentliche Ämter, Zerstörung von SMS, Korruption und Interessenkonflikten“ übernommen. Das Gericht in Lüttich wies im Januar 2025 mehrere diesbezügliche Klagen gegen von der Leyen jedoch zurück.

Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly wollte bereits 2022 Zugang zu den SMS und weiteren Dokumenten bekommen. Sie erhielt, wie aktuell der Abgeordnete Pürner, eine Absage und übte Kritik. Kurz darauf bemängelte auch der Europäische Rechnungshof, dass die Kommission ihm keine genaueren Informationen über von der Leyens konkrete Rolle im Beschaffungsprozess hatte zukommen lassen. Im Juli 2024 beschäftigte sich das EU-Gericht mit den Abmachungen zwischen der EU und BioNTech/Pfizer. Die Richter in Luxemburg urteilten, die EU-Kommission habe mit der Geheimhaltung von Informationen zu den milliardenschweren Corona-Impfstoffverträgen gegen EU-Recht verstoßen. Konkret bemängelte das Gericht, die Brüsseler Behörde habe vor allem mit Blick auf mögliche Interessenkonflikte und Entschädigungsregeln für Impfstoff-Hersteller nicht ausreichend Zugang zu relevanten Dokumenten gewährt.

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