EU-Kommission und Mitgliedsländer werfen Ungarn Rechtsbruch vor
Entwurf zu ungarischem „Transparenzgesetz“ und „Pride-Verbot“ in der Kritik / Zugleich Konflikte wegen Ungarns Haltung zu EU-Sanktionspolitik gegen Russland / Ungarische Regierung will gegen ausländische Einmischung durch „pseudo-zivile“ Organisationen vorgehen
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Die EU-Kommission sowie 20 Mitgliedsländer haben Ungarn Verstöße gegen die Grundwerte nach Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) vorgeworfen. Die Verstöße spielen eine entscheidende Rolle bei einer möglichen Sanktionierung des EU-Mitglieds nach Artikel 7, bei der im äußersten Fall ein Entzug des Stimmrechts beschlossen werden kann. Hintergrund ist zum einen der jüngste Gesetzentwurf „zur Transparenz im öffentlichen Leben“, das auf ausländisch finanzierte Organisationen abzielt. Die Kommission wertet den Entwurf als weiteren Schritt auf dem Weg zu einer autokratischen Ordnung. Auch mehr als 300 Organisationen aus verschiedenen EU-Ländern hatten sich am 22. Mai in einem offenen Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Justizkommissar Michael McGrath für eine Rücknahme des Gesetzentwurfs ausgesprochen, da dieser die Presse- und Meinungsfreiheit gefährde.
Zum anderen haben 20 EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, in einer Stellungnahme die ungarische Regierung für das sogenannte „Pride Ban“-Gesetz kritisiert, das seit April die biometrische Überwachung und Bestrafung von Demonstranten erlaubt. Jene Stellungnahme erfolgte im Vorfeld einer Anhörung Ungarns vor dem Rat für allgemeine Angelegenheiten der EU, der am 27. Mai im Rahmen des seit 2018 laufenden Artikel-7-Verfahrens zusammentrat.
Zuvor hatte eine Gruppe von EU-Abgeordneten um Moritz Körner (FDP) und Daniel Freund (Grüne) die bereits 2024 von Estland aufgestellte Forderung erneuert, Ungarn das Stimmrecht zu entziehen. Der Grund: Ungarn kann die Sanktionspolitik der EU gegen Russland blockieren oder abschwächen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagte zuletzt in einem Gespräch mit dem Sender „n-tv“, es gebe neben Vertragsverletzungsverfahren gegenüber Staaten wie der Slowakei und Ungarn „immer die Möglichkeit, ihnen auch europäische Mittel zu entziehen“. Neben der Slowakei sind auch die beiden Nicht-EU-Mitglieder Georgien und Serbien wegen vergleichbarer „NGO“-Gesetzentwürfe von der Kommission kritisiert worden. Besagte Staaten lehnen zugleich die militärische Unterstützung der Ukraine mehrheitlich ab.
Bislang ist die erforderliche Einstimmigkeit für die Verhängung von Sanktionen gegen Ungarn noch nicht zustandegekommen. So unterstützt etwa die Slowakei ausdrücklich Ungarns „souveränen Standpunkt“, zuletzt auch in Form eines Vetos gegen einen Vorschlag Polens zur „Stärkung der demokratischen Resilienz“ durch die EU-Kommission. Neben Ungarn wurde das Artikel-7-Verfahren bislang nur gegen Polen unter der Führung der rechtskonservativen PiS eingeleitet.
In beiden Fällen warf die EU-Kommission den Regierungen eine Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit, der Unabhängigkeit der Justiz und die Aushöhlung demokratischer Institutionen vor. Das Verfahren ist mehrstufig: Im sogenannten Präventivverfahren kann der Rat zunächst untersuchen, inwiefern die Gefahr eines schwerwiegenden Verstoßes gegen EU-Werte besteht. In einer weiteren Stufe kann der Rat feststellen, dass tatsächlich ein schwerwiegender und anhaltender Verstoß vorliegt. Bislang gilt dafür das Einstimmigkeitsprinzip – sowohl die Kommission wie auch das Parlament haben aber immer wieder gefordert, dieses zumindest in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik durch das Mehrheitsprinzip zu ersetzen.
Der ungarische Entwurf zum „Transparenzgesetz“ sieht vor, dass Organisationen, die „die Souveränität Ungarns bedrohen“ in einer Liste aufgeführt werden. Sie sollen künftig ohne Genehmigung keine ausländischen Gelder mehr annehmen können und von der Einkommensteuerermäßigung ausgeschlossen werden. Die Geschäftsführer der Organisationen müssen außerdem ihr Vermögen offenlegen. Der Gesetzentwurf nennt dabei explizit eine Unterstützung des Oppositionswahlkampfs im Jahr 2022 als Beispiel.
Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto hielt der Kritik am „Transparenzgesetz“ kürzlich entgegen, die EU sollte sich „nicht über das Transparenzgesetz Sorgen machen, sondern über die ausländische Einmischung in das politische Leben eines EU-Landes“. Fidesz-Politiker Janos Halasz zählte bei der Vorstellung des Entwurfs auch die US-Organisation für Entwicklungszusammenarbeit USAID zu solchen „pseudo-zivilen“ Organisationen. Ministerpräsident Viktor Orban bezeichnete den Gesetzentwurf im Vergleich zum US-amerikanischen Foreign Agents Registration Act (FARA) als „eher mild“. Er sagte, „die Mehrheit der ungarischen Öffentlichkeit ist auch der Meinung, dass jeder, der in der Politik tätig ist, keine Unterstützung aus dem Ausland annehmen sollte.“
Oppositionsführer Peter Magyar von der Partei Tisza, welche aktuellen Umfragen zufolge neun Prozentpunkte vor der Regierungspartei Fidesz liegt, sagte dem Youtube-Format „Kontroll“, dass die Regierung mit dem Gesetz versuche, die öffentliche Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen abzulenken und bezeichnete diesen als „Provokation“. Laut Magyars Parteigenosse Daniel Molnar überschreite der Gesetzentwurf eine rote Linie, bei der „das organisierte Verbrechen auf die Ebene der Regierung erhoben“ würde, wobei deren „einziger Zweck darin bestehe, öffentliches Eigentum zu stehlen und die Macht zu erhalten.“