Pressefreiheit

EU verhängt Sanktionen gegen zwei deutsche Journalisten

Betroffener Journalist: Sanktionen bedeuten „Berufsverbot“ und „Enteignung“ / Rechtswissenschaftler: „Pressefreiheit in Europa in Gefahr“ / Slowakischer Fall zeigt: Bundesregierung könnte sich für die Betroffenen einsetzen / Multipolar-Nachfrage: Bundesregierung hat Sanktionen zugestimmt

(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)

Der Rat der Außenminister der Europäischen Union (EU) hat am 20. Mai beschlossen, Sanktionen gegen die beiden deutschen „Kriegskorrespondenten“ Alina Lipp und Thomas Röper zu verhängen. Ihnen wird vorgeworfen, „systematisch Fehlinformationen über den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“ zu verbreiten. Gemäß eines Beschlusses vom 8. Oktober 2024 bedeutet dies, dass die EU-Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass diese beiden Personen „in ihr Hoheitsgebiet einreisen oder durch ihr Hoheitsgebiet durchreisen“. „Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen“ dieser beiden Personen sollen „eingefroren“ werden. Zudem dürfen den beiden „weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen“.

Der in Sankt Petersburg lebende Thomas Röper, Herausgeber des Online-Magazins „Anti-Spiegel“, wertet die Sanktionen als „Aufhebung seiner Bürgerrechte ohne Vergehen, Anklage und Gerichtsurteil“. De facto sei gegen ihn „ein Berufsverbot und eine Enteignung“ verhängt worden. Die Sanktionen seien „reine Willkür“, denn sie würden gegen Personen wegen deren Tätigkeit oder Meinungen verhängt, obwohl beides nicht gegen geltende Gesetze verstoße. Röper geht davon aus, dass die EU-Maßnahmen gegen ihn und Alina Lipp ein „Testballon“ darstellen, um zukünftig auch anderen Regierungskritiker ohne Gerichtsverfahren die Bürgerrechte zu entziehen oder sie zumindest zu beschneiden. Zudem stellt er die Frage, wer festlege, was „Fehlinformationen“ seien. Alina Lipp, die auf der Krim lebt und auf Telegram den Kanal „Neues aus Russland“ betreibt, hat angekündigt, „die EU-Entscheidung vor Gericht“ anfechten zu wollen.

Der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler bewertete die Maßnahme der EU auf Nachfrage von Multipolar als „europarechtswidrig und hochgradig gefährlich“. Sie verletze zwei „grundlegende europäische Rechte“: das Recht auf Freizügigkeit und das Recht auf Pressefreiheit. Zudem sei die Maßnahme „völlig unverhältnismäßig“. Normalerweise würden solche Sanktionen gegen Oligarchen, internationale Waffenhändler oder hochrangige Menschenrechtsverletzer verhängt – nicht gegen einzelne Journalisten. Die Sanktionen würden unmittelbar wirken und müssten deshalb von den deutschen Behörden unmittelbar in die Praxis umgesetzt werden. Lipp und Röper könnten vor dem Europäischen Gericht gegen ihre Aufnahme in die Sanktionsliste sowie vor deutschen Gerichten gegen eventuelle Umsetzungsmaßnahmen deutscher Behörden klagen.

Abschließend weist Boehme-Neßler darauf hin, dass die Maßnahme nicht nur rechtswidrig, sondern auch „in hohem Maß einschüchternd“ sei. Die in der EU geltende Pressefreiheit schütze auch Meinungen, die der herrschenden Meinung in Europa widersprechen. Werde die Maßnahme „nicht schnellstens korrigiert“, sei „die Pressefreiheit in Europa in Gefahr“.

Multipolar hat beim Bundesinnenministerium nachgefragt, ob die Sanktionen gegen Lipp und Röper von deutschen Behörden umgesetzt werden und ob Personen, die den beiden Journalisten Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung stellen, strafrechtlich verfolgt werden. Zudem hat Multipolar beim Auswärtigen Amt nachgefragt, ob Deutschland für den Beschluss der Sanktionierung von Lipp und Röper im Rat der Außenminister der EU gestimmt hat und ob das Außenministerium sich dafür einsetzt, dass die beiden deutschen Journalisten von der Sanktionsliste gestrichen werden. Während die Pressestelle des Innenministeriums trotz telefonischer Nachfrage nicht antwortete, heißt es aus dem Auswärtigen Amt kurz und knapp, dass Deutschland dem Beschluss des Rats der Europäischen Union zur Sanktionierung von Lipp und Röper zugestimmt hat.

Dass sich nationale Regierungen mit Erfolg für ihre von der EU sanktionierten Bürger einsetzen können, zeigt der Fall des Slowaken Jozef Hambálek. Wie der Publizist und Russland-Experte Hannes Hofbauer im Online-Magazin „Manova“ berichtete, wurde Hambálek bereits im Juli 2022 ins siebte EU-Sanktionspaket aufgenommen. Die EU habe ihm vorgeworfen, als Europapräsident des russischen Motorradclubs „Nachtwölfe“ zu fungieren. Der Club soll laut EU Trainingscamps für russische Kämpfer betreiben und damit Russlands Feldzug in der Ukraine unterstützen. Hofbauer betonte ebenfalls, dass ein EU-Bürger ohne andere Staatsbürgerschaft durch die EU-Sanktionen „seine Lebensgrundlage und seine Bürgerrechte“ verliere, ohne gerichtliche Prüfung der Vorwürfe. Der Sozialdemokrat Robert Fico, der im September 2023 zum slowakischen Ministerpräsidenten gewählt worden war, habe sich für seinen Landsmann eingesetzt und schließlich 2024 die Streichung Hambáleks von der Sanktionsliste erreicht.

Der deutschen Rechtsanwalt Dirk Schmitz macht darauf aufmerksam, dass Sanktionen nur verhängt werden dürfen, wenn eine Person „nachweislich mehr tut als nur ihre Meinung zu äußern, nämlich systematisch als verlängerter Arm russischer Staatspropaganda wirkt“. Entscheidend sei eine „funktionale, institutionelle oder finanzielle Einbindung in russische Staatsinteressen“. Die EU-Rechtsprechung mache deutlich: Nicht die Meinung an sich, sondern nur „die operative Verflechtung mit staatlich gesteuerter Desinformation“ könne sanktioniert werden. Sanktionen ohne tatsächliche Beweise für eine solche Einbindung seien eindeutig unrechtmäßig. Die EU-Maßnahmen gegen Lipp und Röper erinnerten Schmitz an die Ausbürgerung von Wolf Biermann aus der DDR. Die Ausbürgerung Biermanns 1976 wegen „grober Verletzungen der staatsbürgerlichen Pflichten“ gilt laut der Bundeszentrale für politische Bildung als „Anfang vom Ende der DDR“.

Update 26.5.: Auf Nachfrage von Multipolar, ob Lipp und Röper die Einreise nach Deutschland verwehrt wird, antwortete ein Sprecher des Innenministeriums, deutschen Staatsangehörigen dürfe gemäß Paragraf 10 des Passgesetzes „die Einreise nach Deutschland nicht versagt werden“. Die Umsetzung der Sanktionsmaßnahmen erfolge auf Basis des Sanktionsdurchsetzungsgesetzes. Laut Innenministerium sei dafür die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (ZfS), die bei der Generalzolldirektion angesiedelt ist, zuständig. Multipolar fragte bei der Behörde nach, wie sich die beiden Journalisten gegen die Sanktionsmaßnahmen rechtlich zur Wehr setzen sowie wie und auf welcher rechtlichen Grundlage Unterstützer belangt werden können. In seiner Antwort wies die ZfS darauf hin, dass die sanktionierten Personen eine „Nichtigkeitsklage“ zur Streichung von der Sanktionsliste vor den EU-Gerichten (EuGH, EuG) einreichen könnten. Eine Unterstützung der sanktionierten Personen sei eine Straftat nach dem Außenwirtschaftsgesetz. Die Zuständigkeit für die Verfolgung liege bei den nationalen Strafverfolgungsbehörden.

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