Telepolis

Frühere Redakteure und Autoren kritisieren neuen Kurs des Magazins

Gründer und Ex-Chefredakteur: „Telepolis“ wird zu „stromlinienförmigem Mainstreamprodukt“ umgebaut / Kritik an früheren Autoren ohne Belege / Ex-Autor: Vorgehen passt zum „Zeitgeist“

(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)

Mehrere Journalisten, die früher für das Online-Magazin „Telepolis“ tätig waren, kritisieren den neuen Kurs unter Chefredakteur Harald Neuber und Verleger Ansgar Heise. Der Mitgründer und langjährige Chefredakteur des Magazins, Florian Rötzer, sagte gegenüber Multipolar: „Telepolis“ werde nun zu einem „stromlinienförmigen Mainstreamprodukt“ umgebaut, mit dem sich „endlich“ Geld verdienen lasse. „Darum müssen störende Autoren und vor allem die Leser ausgeschlossen oder erzogen werden.“ Sein Nachfolger Harald Neuber hatte in einem Interview (30. Juni) gesagt, „Telepolis“ soll nicht mehr mit „bestimmten Autoren“ in Verbindung gebracht und Leser müssten „erzogen“ werden. Zuvor hatte Neuber eine monatelange Sperrung sämtlicher Artikel veranlasst, die bei „Telepolis“ vor seiner Zeit als Chefredakteur erschienen waren.

Neuber verlasse mit seinen Entscheidungen alle „journalistischen Standards“ und verbreite „Verschwörungserzählungen“ über vermeintlich unprofessionelle frühere „Telepolis“-Artikel, kritisierte Rötzer. Sein Nachfolger vermeide bei seinen Vorwürfen jegliche konkreten, überprüfbaren Angaben. Neuber nenne keine Namen und verlinke keine Artikel. „Es werden nur Unterstellungen gemacht“, sagte Rötzer. Neuber, der das Amt des Chefredakteurs im Jahr 2021 übernahm, habe selbst zuvor rund 20 Jahre als Autor für „Telepolis“ gearbeitet und mehr als tausend Artikel publiziert – dabei jedoch nie Kritik an vermeintlich fehlenden Qualitätsmaßstäben geäußert, erläuterte Rötzer.

Auch in einem Interview zum Amtsantritt im Januar 2021 hatte Neuber die Arbeit seines Vorgängers und das Profil des Magazins noch gelobt. Damals sagte Neuber: Florian Rötzer habe gemeinsam mit Redakteuren und Autoren „ein für die deutsche Presselandschaft einzigartiges Medium geschaffen“. „Telepolis“ habe „schon immer einen Schwerpunkt auf Meinungsjournalismus gehabt, also klar Position bezogen“, lobte Neuber 2021. „Telepolis“ sei ein „alternatives Medium“, es arbeite nicht mit Agenturmaterial, sondern setze „eigene Akzente“ und liefere „Autorenjournalismus“, hieß es weiter. „Es ist doch immer langweilig, wenn man das schreibt, was alle berichten.“ Es sei positiv, wenn Leser nach der Lektüre etablierter Medien nach anderen Positionen bei „Telepolis“ suchten, hatte Neuber 2021 erklärt. In aktuellen Beiträgen sagt er hingegen, frühere Autoren hätten das Magazin „missbraucht“, journalistische Standards seien nicht eingehalten worden und die „Glaubwürdigkeit“ sei „gefährdet“ gewesen.

Die langjährige „Telepolis“-Autorin Gaby Weber fordert den neuen Chefredakteur auf, Namen und Belege zu liefern, wenn er frühere Autoren als „Missionare“ bezeichne und ihre Professionalität in Zweifel ziehe. Zahlreiche Ex-„Telepolis“-Autoren besitzen eine journalistische Ausbildung und haben für große Medien gearbeitet, erläuterte sie gegenüber Multipolar. Von einem „Missbrauch“ des Magazins könne keine Rede sein. Unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen habe es immer gegeben. Wie in allen Medien könnten sich Einschätzungen später als nicht mehr zutreffend darstellen. Aber wer Archive zu nutzen verstehe, lese dortige Artikel immer im historischen Zusammenhang. Der Nutzen des wieder online gestellten Archivs sei sehr begrenzt, kritisiert sie. Suchen nach Autorennamen führten für die Zeit vor 2021 ins Leere. Man müsse schon das Erscheinungsdatum des gesuchten Artikels wissen, um es unter den dortigen zehntausenden Texten wiederzufinden.

Der Journalist und Bestsellerautor Mathias Bröckers betonte gegenüber Multipolar, die Sperrung eines Medienarchivs, um die „Glaubwürdigkeit“ aktueller Ausgaben zu erhöhen, sei „grotesk und lächerlich“. Dass der Bericht von gestern sich schon morgen als überholt herausstellen könne, entspreche dem Wesen des Journalismus. „Dass ausgerechnet ein für freien, offenen Diskurs stehendes Magazin wie Telepolis derart absurden Desinfektionsmaßnahmen unterzogen wurde, ist bitter – und eine Unverschämtheit.“ Die von Bröckers am 13. September 2001 gestartete „WTC Conspiracy“-Serie auf „Telepolis“ sei als Buch und in vielen Übersetzungen erschienen und wurde „weltweit nicht als Fehlleistung, sondern als notwendige Korrektur des journalistischen Großversagens sämtlicher Qualitätsmedien wahrgenommen“, erklärte er gegenüber Multipolar. Neuber hatte den kritischen Umgang von „Telepolis“ mit den Anschlägen vom 11. September 2001 als Beispiel für frühere journalistische Fehlleistungen des Magazins aufgeführt.

Der Medienanwalt und frühere „Telepolis“-Autor Markus Kompa sagte auf Multipolar-Anfrage, „Telepolis“ sei ein „traditionell geheimdienst- und medienkritisches Magazin“. Gerade in diesem Zusammenhang sei das Bemühen des neuen Chefredakteurs um Wertschätzung durch Online-Bewertungsfirmen wie „NewsGuard“ „einigermaßen originell“. Das US-Unternehmen, das die „journalistische Qualität“ tausender Medien bewertet und wegen kritischer Artikel zu Corona-Impfungen auch schon gegen Multipolar aktiv geworden ist, sei bis vor kurzem von früheren US-Geheimdienstmitarbeitern beraten worden. Neuber hatte bei der Archivsperrung im Dezember 2024 das von ihm selbst erreichte journalistische Niveau betont und dies mit einer Einschätzung durch „NewsGuard“ unterlegt, welches „Telepolis“ als „sehr glaubwürdig‘“ eingestuft habe.

Kompa erklärte, es sei unklar, welche Leser das neue „Telepolis“ ansprechen wolle. „Warum sollte man eine weitere taz lesen?“ Der Journalist und Buchautor Marcus Klöckner sagte auf Multipolar-Anfrage, „Telepolis“ sei ein „großartiges Projekt“ gewesen und habe bundesdeutsche Mediengeschichte geschrieben. „Die aktuellen Entwicklungen sind bedauerlich, passen aber zum Zeitgeist.“

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