Corona

Fünf Millionen Euro für überholte Fakten

(Redaktion/19.9.2022) Das Bundesgesundheitsministerium hat in einer aktuellen Zeitungsanzeige überholte Aussagen über die möglichen Gefahren des Corona-Virus‘ veröffentlicht. Es geht um den sogenannten „Fakten-Booster“, der nach Angaben des Ministeriums am vergangenen Wochenende in den regionalen Tageszeitungen, in Anzeigenblättern und in türkischen Zeitungen erschienen ist. In der mittlerweile dritten Ausgabe des „Fakten-Boosters“, der auch im Internet zu finden ist, heißt es unter anderem: „Etwa 10 Prozent der in Deutschland erkrankten Personen werden aufgrund eines schweren COVID-19-Verlaufs im Krankenhaus behandelt.“

Die Schaltung der Anzeige hat nach Angaben des Ministeriums gut fünf Millionen Euro gekostet. Steuermittel in jeweils der gleichen Höhe sind für die vorherigen Anzeigen ausgegeben worden. Neben den Anzeigen werden auch Hörfunkspots geschaltet, Fernsehspots gibt es jedoch nicht. Genauer aufgeschlüsselt hat die Bundesregierung die Kosten für die erste Anzeige aus dem Juli in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion. Demnach sind gut 2,3 Millionen Euro an die Lokalzeitungen, gut 2,7 Millionen Euro an die Anzeigenblätter geflossen. Insgesamt enthält der Bundeshaushalt für das laufende Jahr 188,9 Millionen Euro „für die COVID-19 Kommunikation“.

Als Anspruch der am Wochenende geschalteten ganzseitigen Anzeige formuliert das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Website zusammengegencorona.de: „Mit dem Fakten-Booster werden neueste Erkenntnisse zu Corona, zur Impfung gegen COVID-19 oder auch zu aktuellen Testmöglichkeiten verständlich, prägnant und informativ aufbereitet.“ So ist als Stand der jüngsten Anzeige der 6. September angegeben. Die Quelle für die genannten zehn Prozent erkrankte Personen, die ins Krankenhaus müssten, ist allerdings viel älter.

In der PDF-Version der Anzeige verweist das Ministerium dabei auf den epidemiologischen Steckbrief auf der Website des Robert-Koch-Instituts. Er ist letztmalig am 26. November 2021 aktualisiert worden. Die Datenbasis der Aussage in diesem Steckbrief zu den Hospitalisierungen selbst ist hingegen noch einiges älter. Sie lautet: „In einer Analyse der Daten aus dem deutschen Meldesystem (bis Februar 2021) wurden kumulativ ca. 10 % der in Deutschland übermittelten Fälle hospitalisiert.“ Die Studie selbst bezieht sich auf einen Zeitraum von Januar 2020 bis Februar 2021.

Der aktuelle Lagebericht des Robert Koch Instituts vom heutigen Montag (19. September) vermeldet allerdings weniger als 3000 Hospitalisierungen bei über 200.000 gemeldeten Fällen in den vergangenen sieben Tagen. Das ergäbe eine Quote von knapp 1,4 Prozent. Laut anders aufgeschlüsselten Daten sind allerdings nur bei knapp der Hälfte der Fälle Angaben zur Hospitalisierung bekannt, das Robert-Koch-Institut spricht für die vergangene Kalenderwoche von 4 Prozent, ein Wert der sich im Durchschnitt der vergangenen Wochen bewegt. Keineswegs ist er aber bei zehn Prozent, darauf hat der Handelsblatt-Journalist und Blogger Norbert Häring hingewiesen. Zudem müsse man bei den Zahlen bedenken, dass rund die Hälfte aller Krankenhauspatienten mit Covid-Diagnose nicht wegen Covid in Krankenhausbehandlung seien.

Häring kritisiert die Anzeigenkampagne nicht nur wegen der überholten und überhöhten Daten zur Hospitalisierung. Er kritisiert auch, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf der Anzeige für das Pfizer-Medikament Paxlovid wirbt – mittlerweile allerdings ohne Nennung des Namens des Medikaments. Das habe er aber oft genug deutlich getan, so dass klar werde, auf welche Medikamente der Minister heraus wolle. Häring hat sich auch die zweite Anzeige der Reihe angeschaut, die im August erschienen ist. Sie sei nicht besser und verbreite ebenfalls unbelegte Aussagen zu möglichen Schäden nach einer Corona-Infektion.

Die Aussagen hatte Lauterbach auch auf Twitter verbreitet, woraufhin der Welt-Journalist Tim Röhn nachfragte. Das Ministerium antwortete laut Röhn erst nach anwaltlicher Intervention, nannte aber keine konkreten Studien für die Behauptungen, dass eine vollständige Schutzimpfung das Risiko von Langzeitfolgen reduziere und dass sich darunter auch Demenz befinden könnte – dies hatte Lauterbach nahe gelegt. Er wurde mit der Warnung vor Demenz als schlimmste mögliche Folge auch im zweiten „Fakten-Booster“ zitiert. Häring pflückt die Antwort des Ministeriums auseinander: „‚Hätte, könnte, wäre‘ als Beleg für eine mit Steuergeld verbreitete, Angst machende Behauptung.“

Eine kritische Analyse des zweiten „Fakten-Boosters“ durch die maßnahmenkritische Internetseite transparenztest.de fällt ebenso verheerend aus. Demnach falle die Anzeige vor allem durch Weglassen elementarer Information auf. So fehlten unter anderem Angaben zu möglichen Nebenwirkungen der Impfung gegen Corona. Und für die Aussage, die Maske reduziere das Ansteckungsrisiko auf bis zu ein Prozent, gebe es keine Quellenangabe. (hb)

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