Israel: „Abnutzungskrieg“ mit Iran sollte vermieden werden
Netanjahu: „Wollen uns nicht in Zermürbungskrieg ziehen lassen“ / Analysten: Iranische Angriffe auf Kraftwerke, Häfen und Raffinerien brachten israelische Wirtschaft in Bedrängnis / US-Beamte: Kritischer Mangel an Abfangraketen
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu wollte den militärischen Konflikt mit dem Iran eigenen Aussagen zufolge so schnell wie möglich beenden, um einen andauernden „Abnutzungskrieg“ zu vermeiden. Laut der Tageszeitung „Times of Israel“ „versprach“ er bei einer Pressekonferenz (22. Juni), dass das Land „sich nicht in einen Zermürbungskrieg ziehen“ lasse. „Wir werden unsere Aktionen nicht über das hinaus fortsetzen, was nötig ist, um die Ziele zu erreichen“, betonte Netanjahu. Es gehe um die Zurücksetzung des iranischen Atomprogramms und der Produktion ballistischer Raketen in der Islamischen Republik. Israel hatte den Iran am 13. Juni angegriffen und zwölf Tage später einem Waffenstillstand zugestimmt.
Israel werde den „hohen Preis“, den es während des Krieges mit dem Iran gezahlt habe, zu keinem Zeitpunkt vergessen, sagte Netanjahu der Tageszeitung „Jerusalem Post“. „Unsere Herzen sind bei den Opfern des abscheulichen iranischen Angriffs auf unsere Städte.“ Laut israelischen Medienberichten seien in den zwölf Tagen des Krieges 28 Menschen in Israel durch iranischen Raketenangriffe getötet worden. Alle seien Zivilisten gewesen. Im Iran seien laut Regierungsangaben allein bis zum 18. Juni mindestens 224 Menschen durch israelische Angriffe getötet worden – darunter 74 Frauen und Kinder. Anderen Berichten zufolge habe es im Iran infolge israelischer Bombardierungen mehr als 650 Tote gegeben – mehrheitlich Zivilisten.
Die israelische Militäranalystin und Reserveoffizierin Sarit Zehavi sagte in einem Interview mit der Zeitung „Jüdische Allgemeine“ (20. Juni), es sei das Ziel Irans die israelische Bevölkerung zu „zermürben“. Das Leben der Menschen sei „stark eingeschränkt“, Schulen und Geschäfte seien geschlossen, es gebe keine Flüge und die Wirtschaft sei „zum Erliegen“ gekommen. Das iranische Ziel sei es offenbar „diesen Krieg so lange wie möglich zu führen“, erklärte Zehavi. „Unser Ziel ist es dagegen, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.“ In Israel wisse man nicht, wie lange der Iran in der Lage sei den „Abnutzungskrieg“ weiter zu führen.
Auch weiteren Militäranalysten zufolge haben die iranischen Raketenangriffe die israelische Bevölkerung „zermürbt“ und gegen die eigene Regierung aufgebracht. Die israelische Wirtschaft sei „ruiniert“, der wichtigste Tiefwasserhafen des Landes in Haifa durch iranische Raketentreffer schwer beschädigt und inzwischen geschlossen – ebenso der einzige internationale Flughafen „Ben Gurion“ in Tel Aviv. Containerschiff-Reedereien und Fluggesellschaften stellten ihre Verbindungen nach Israel ein. Laut dem früheren CIA-Analysten Larry Johnson wäre bei einem andauernden Konflikt die israelische Nahrungs- und Energieversorgung stark gefährdet gewesen. Nach Raketeneinschlägen musste die größte israelische Öl-Raffinerie ihren Betrieb einstellen. Mehrere Städte darunter Ashdod und Haifa waren nach iranischen Raketentreffern in Kraftwerken zeitweise ohne Strom.
Israel hatte am 18. Juni eine Nachrichtenzensur für die Berichterstattung über Einschläge iranischer Raketen und Drohnen eingeführt. Jede Berichterstattung über solche Einschläge sei im Vorfeld der Militärzensur vorzulegen. Zu welchen Schäden iranische Angriffe auf israelische Militäreinrichtungen geführt haben, ist unbekannt. Der US-Militärblogger „Simplicius“ schrieb: Da Israel „untypisch schnell“ auf das Waffenstillstandsangebot einging, sei es naheliegend, dass der Schaden, den der Iran angerichtet hat, „erheblich und nicht zu verkraften“ war. Da Israel von der Fläche und Bevölkerungszahl deutlich kleiner ist als der Iran, könne es einen dauerhaften Abnutzungskrieg gegen die Islamische Republik – auch mit US-Hilfe – nicht gewinnen. Aus diesen Gründen sei eine schnelle „Siegeserklärung“ und Beendigung des Krieges aus israelischer Sicht notwendig gewesen.
Das militärische Offensivpotenzial sei während des Konflikts gemindert worden. Denn der Iran habe einige teure israelische Aufklärungs- und Kampfdrohnen abgeschossen, von denen Israel nur wenige Dutzend besitze, erläutert der Militäranalyst. Die meisten Luftangriffe habe Israel nicht mit Kampfflugzeugen sondern mit solchen Drohnen durchgeführt. Der US-Sender NBC berichtete am 25. Juni, dem israelischen Militär gehen wichtige Waffensysteme und Munition aus. Vor allem das israelische Arsenal an Abfangraketen sei aufgrund der Einsätze gegen iranische Angriffe bedenklich zusammengeschrumpft, hatte das US-Magazin „Wall Street Journal“ bereits am 18. Juni mit Bezug auf US-Beamte berichtet. Je länger der Konflikt andauere, desto prekärer werde die Lage. Die USA hätten dabei kaum Reserven um Israel zu helfen, hieß es in dem Bericht weiter.
Laut „Washington Post“ konnte Israel zu diesem Zeitpunkt nur noch „zehn bis zwölf Tage“ durchhalten. Die israelischen Luftabwehreinheiten müssten ihre Raketen rationieren und sich bei der Zahl der zu bekämpfenden Ziele einschränken. Allein in der ersten Woche des Konfliktes habe der Iran Medienberichten zufolge fast 400 Raketen und hunderte Drohnen auf Israel abgefeuert. Israelische Verantwortliche gingen davon aus, dass der Iran vor dem israelischen Angriff am 13. Juni mindestens 3.000 ballistische Raketen besaß und rund 300 pro Monat produzieren könne.