Kontokündigungen

Journalistenverbände wollen nicht gegen politisch motivierte Kontokündigungen vorgehen

Debanking-Chronik: 36 Fälle von Kontokündigungen gegen regierungskritische Journalisten und oppositionelle Medien seit 2019 / Deutscher Journalisten-Verband: Sachlage „zu dürftig“ / Verdi: Pressefreiheit in Deutschland „ungeschmälert“

(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)

Etablierte Journalistenverbände und Gewerkschaften sehen keinen Anlass, Schritte gegen die politisch motivierte Kündigung der Konten von Journalisten zu unternehmen. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) – nach eigenen Angaben „mit rund 27.000 Mitgliedern eine der größten Journalismus-Organisationen in Deutschland und Europa“ – teilte auf Multipolar-Anfrage mit, die seit einigen Jahren vermehrt auftretenden Fälle beträfen bislang keine DJV-Mitglieder, zudem lasse sich die politische Motivation bei den verantwortlichen Banken „nicht beweisen“. Der DJV plane daher derzeit auch keinen Vorstoß in Richtung Gesetzgeber. „Das ist uns als Grundlage für Aktivitäten zu dürftig.“

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft „ver.di“ teilte Multipolar ebenfalls mit, gegen diese Methode, die auch als „Debanking“ bezeichnet wird, nicht öffentlich tätig werden zu wollen. Die Gewerkschaft biete auch eigenen Mitgliedern in Fällen etwaiger politisch motivierter Kontokündigungen keinen Rechtsschutz. Der Zugang zu einem Bankkonto sei gesetzlich geregelt, Widersprüche gegen Kontokündigungen seien in geordneten Verfahren möglich. Den Fällen der bisher betroffenen regierungskritischen Journalisten liegen „sicherlich Einzelfallentscheidungen“ zugrunde, erklärte ein Sprecher der Gewerkschaft auf Multipolar-Anfrage. Wegen fehlender Informationen könne, „ver.di“ diese Fälle nicht bewerten. Die Pressefreiheit in Deutschland gelte trotz der dokumentierten, öffentlich bekannten Kontokündigungen „ungeschmälert“.

Multipolar hat zum Thema „Debanking“ in Deutschland eine Chronologie veröffentlicht, die laufend aktualisiert wird. Demzufolge sind seit dem Jahr 2019 inzwischen 36 Fälle von Kontokündigungen bei regierungskritischen Journalisten und Medien öffentlich bekannt. „Debanking“ war zuletzt auch Thema in öffentlich-rechtlichen Medien wie der „Tagesschau“ oder in überregionalen Zeitungen wie der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) und der „Berliner Zeitung“. Auch im Bundestag wurde das Thema kürzlich debattiert.

Zu den jüngsten bekannt gewordenen Fällen gehören die Kontokündigungen der freien Journalistin Aya Velázquez durch die GLS-Bank und des freien Journalisten Flavio von Witzleben durch die Sparkasse Karlsruhe. Von Witzleben verklagt nun die Sparkasse Karlsruhe mit Hilfe seines Rechtsanwalts Markus Haintz. Diese Klage habe aber keine aufschiebende Wirkung, sagte von Witzleben auf Multipolar-Nachfrage. Sein Konto werde zum 7. Januar 2026 wohl aufgelöst. Zwar müssen laut Verbraucherzentrale nicht nur die öffentlich-rechtlichen Sparkassen, sondern auch Privatbanken allen Kunden zumindest ein Basiskonto anbieten, diese dürften das Basiskonto allerdings „nur für private Zwecke nutzen, nicht für gewerbliche“.

Multipolar fragte auch weitere Organisationen im Medienbereich, wie sie die Praxis der Kontokündigungen von unabhängigen Journalisten und Medien bewerten. Multipolar verwies in der Presseanfrage unter anderem auf die in Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte Pressefreiheit, die durch existenzbedrohende Kontokündigungen bei den häufig freiberuflich tätigen Journalisten in Gefahr gerät. Ferner wollte Multipolar von den angefragten Organisationen wissen, ob sie die Forderung unterstützen, willkürliche, unbegründete Kündigungen von Geschäftskonten bei Journalisten gesetzlich zu verbieten.

Die Arbeitgeberorganisation Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) antwortete: Dies scheine „doch ein eindeutiger Fall für Reporter ohne Grenzen zu sein.“ Von „Reporter ohne Grenzen“ erhielt Multipolar allerdings keine Antwort. Die internationale Organisation, die unter anderem von der französischen Regierung finanziert wird, wurde auch angefragt, ob sie politisch motivierte Kontokündigungen als Kriterium in ihre jährliche erneuerte „Rangliste der Pressefreiheit“ ergänzt. In den vergangenen Jahren waren Maßnahmen gegen unabhängige Journalisten in Deutschland wie Kanal- und Beitragslöschungen durch Social-Media-Konzerne, Informationskontrolle durch Landesmedienanstalten, Überwachung durch Geheimdienste oder Kontokündigungen durch Banken in der Analyse der „Reporter ohne Grenzen“ nicht erwähnt worden.

Drucken

Drucken

Teilen