Hausdurchsuchungen

Mehrere Hausdurchsuchungen bei regierungskritischen Intellektuellen

Vorwurf: Verwendung von NS-Kennzeichen / Richterin kritisiert: „Instrumentalisierung“ von Paragraphen gegen NS-Propaganda ist „brandgefährliche Entwicklung“ / Meldestellen gegen „Hass und Hetze“ gaben Anstoß für strafrechtliche Ermittlungen

(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)

Bei mehreren regierungskritischen Intellektuellen fanden in den vergangenen Monaten Hausdurchsuchungen statt – so zuletzt Ende November beim in Berlin lebenden US-amerikanischen Autor und Satiriker CJ Hopkins. Seinen Angaben zufolge wurde dabei auch sein Computer beschlagnahmt. Wenige Wochen zuvor standen Polizisten mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür des „Welt“-Kolumnisten Norbert Bolz. Bereits im August 2023 sah sich der Bremer Sozialwissenschaftler und Künstler Rudolph Bauer ebenfalls mit einer Hausdurchsuchung konfrontiert. Sein Smartphone wurde beschlagnahmt. Die Fälle und ihre Parallelen werden in einem aktuellen Multipolar-Artikel ausführlich beschrieben.

Im Falle Hopkins geht es um die Verwendung von Hakenkreuzen, mit denen er die Coronapolitik kritisiert hatte. Rudolph Bauer werden mehrere Bildmontagen mit Hakenkreuzen und Abbildungen von Adolf Hitler auf Instagram zur Last gelegt, mit denen er satirisch die Ukrainepolitik kommentierte. Bei Norbert Bolz geht es um einen Tweet aus dem Jahr 2024. Über einem taz-Beitrag stand: „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht“. Das kommentierte Bolz mit den Worten: „Gute Übersetzung von woke: Deutschland erwache!“ Laut Welt wertet die Staatsanwaltschaft dies als strafbare Verwendung einer NSDAP-Parole.

Allen drei Beschuldigten wird das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ vorgeworfen. Laut Strafgesetzbuch (§86 und §86a) kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe“ bestraft werden, wer Propagandamittel verbreitet oder Kennzeichen verwendet, „die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen“. Das Gesetz definiert allerdings Ausnahmen, die greifen, wenn die Verwendung „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“

Die Richterin Clivia von Dewitz kritisiert im Gespräch mit Multipolar die Strafverfolgung gegen Bolz, Bauer und Hopkins, die sie für unrechtmäßig hält. Die Juristin hat zu NS-Gedankengut und Strafrecht (§§ 86,86a und § 130 StGB) promoviert. Sie betont: Alle drei hätten sich lediglich kritisch zum Zeitgeschehen geäußert und in keinster Weise NS-Propaganda gutgeheißen oder gar beabsichtigt, „Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen“. Sämtliche beanstandeten Äußerungen seien zudem von der Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt. Die Schwelle, diese Paragraphen „zu instrumentalisieren“ und sie „gegen Regierungskritiker“ einzusetzen, sinke immer mehr, so von Dewitz. Das sei „eine brandgefährliche Entwicklung“, die dem Anliegen dieser Gesetze zuwiderlaufe. Auch laut dem Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler wird das Recht zunehmend „als Waffe eingesetzt“.

Die Ermittlungen gegen Hopkins, Bolz und Bauer gehen auf Meldestellen zurück. Im Fall von Bolz war es die staatliche Plattform „HessenGegenHetze“. Dieselbe Plattform leitete auch Hopkins Tweets an das Bundeskriminalamt weiter. Bei Bauer verwies laut seiner Pressemitteilung der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bremen auf das Portal „REspect! im Netz“. „HessenGegenHetze“ gehört zum Hessischen Innenministerium. „REspect! im Netz“ firmiert als „Angebot der Jugendstiftung Baden-Württemberg“. Das Projekt „kooperiert“ mit der Bayerischen Staatsregierung. Gefördert wird es eigenen Angaben zufolge vom bayerischen Familienministerium und vom Bundesfamilienministerium im Rahmen des Programms „Demokratie leben!“.

„Hessen gegen Hetze“ und „REspect“ sind Kooperationspartner des Bundeskriminalamtes (BKA). Seit Februar 2022 gibt es dort die „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“, bei der bislang gut 60.000 Meldungen eingingen, wie ein BKA-Sprecher gegenüber Multipolar erklärte. „Hessen gegen Hetze“ lieferte demnach die meisten Meldungen – über 25.000, zumeist mit Bezug zu §86a. 85 Prozent der Meldungen seien strafrechtlich relevant gewesen. Wie viele der durch die Meldungen angestoßenen strafrechtlichen Ermittlungen bislang tatsächlich mit einem Schuldspruch endeten, konnte das BKA gegenüber Multipolar nicht sagen. Die Behörde erhalte „keine Informationen über den Fortgang der Ermittlungen“ in den einzelnen Bundesländern.

Am 13. November war „Hessen gegen Hetze“ Gegenstand einer Debatte im hessischen Landtag. Die Fraktionen von AfD und FDP hatten beantragt, die Meldestelle ganz abzuschaffen. Anlass war die Hausdurchsuchung bei Bolz. Laut dem AfD-Abgeordneten Patrick Schenk hätte „dieser Inhalt von der Meldestelle niemals an das BKA weitergeleitet“ werden dürfen. Der FDP-Abgeordnete Moritz Promny betonte, dass seit 2020 zwar 85.000 Meldungen bei der Meldestelle eingegangen seien, es jedoch nur zu 570 Verfahren und 56 Verurteilungen gekommen sei – was „weniger als 1 Prozent“ und „nicht effizient“ sei. Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) kündigte eine „Neuausrichtung der Meldestelle“ an, der Zuständigkeitsbereich der Meldestelle solle „auf Fälle mit Hessenbezug“ begrenzt werden. Die Anträge der AfD und FDP, die Meldestelle abzuschaffen scheiterten.

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