Völkerrecht

Rechtswissenschaftler: US-Angriff auf Iran völkerrechts- und verfassungswidrig

Völkerrechtler: USA haben kein Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung / Jurist: Deutschland „hart an der Grenze zur Beihilfe zu einem Völkerrechtsverstoß“ / Historiker: USA haben seit 1945 die meisten Völkerrechtsverstöße begangen

(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)

Die Bombenangriffe der USA auf den Iran sind nach Ansicht von Juristen nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. So erläuterte Christian Tietje, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg, gegenüber dem Sender „n-tv“, die Vereinigten Staaten hätten „kein Recht auf individuelle Selbstverteidigung“. Da es keinen Angriff des Iran auf die USA gegeben habe und ein solcher auch nicht unmittelbar bevorstand, seien die Bombardierungen „völkerrechtlich unzulässig“.

Auch eine „kollektive Selbstverteidigung“ – also ein Beistand Israels – sei „schwierig“, weil sich Israel selbst nicht mit Blick auf die Zerstörung des iranischen Atomprogrammes auf Selbstverteidigung berufen könne, erklärte Tietje. Der Völkerrechtler Alexander Wentker von der Universität Potsdam bestätigte diese Einschätzungen in einem Interview mit der „Tagesschau“. Professor Pierre Thielbörger vom Bochumer Institut für Friedenssicherungsrecht sagte der ARD-Rechtsredaktion, es gebe „keine belastbaren Belege“, dass der Iran die USA oder Israel angreifen wollte. Der frühere Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus erläuterte gegenüber dem Magazin „Legal Tribune Online“, dass eine nur „latente Bedrohung Israels“ durch den Iran völkerrechtlich nicht für eine erlaubte Selbstverteidigung ausreiche.

In die gleiche Richtung geht die Einschätzung von Jochen von Bernstorff, Professor für Staatsrecht, Völkerrecht, Verfassungslehre und Menschenrechte an der Universität Tübingen. Das Völkerrecht mache beim Gewaltverbot „keinen Unterschied zwischen einem Mullah-Regime und einer Demokratie“, sagte er. Politische Erwägungen, dass die Islamische Republik keine Atomwaffen besitzen solle, spielten keine Rolle für die völkerrechtliche Frage, ob man gegen einen anderen Staat Gewalt anwendet. Ein „präventives Selbstverteidigungsrecht“ gegen Gefahren, die sich in der Zukunft realisieren könnten, erkenne das Völkerrecht nicht an – selbst wenn es sich um zukünftige Bedrohungen durch den Besitz von Massenvernichtungswaffen handele, erläuterte von Bernstorff.

Einig sind sich die Juristen auch hinsichtlich des Selbstverteidigungsrechts des Iran, der Frage eines eventuellen Nato-Bündnisfalls und einer möglichen deutschen Beihilfe zu völkerrechtswidrigen Handlungen. Laut Tietje habe der Iran nach dem „rechtswidrigen Angriff“ der USA gemäß der UN-Charta ein „naturgegebenes Recht zur Selbstverteidigung“, solange es ihm nicht um „Vergeltung“ gehe. Ein „Zurückschlagen“ des bewaffneten Angriffs sei dem Iran erlaubt, sagte von Bernstorff, müsse aber „verhältnismäßig“ zum Aggressionsakt der USA sein. Sofern eine „rechtmäßige Selbstverteidigung“ des Iran vorliege, sei dies kein „rechtswidriger Angriff“ auf einen Nato-Staat und damit auch kein Verteidigungsfall, erklärt Tietje. Deutschland befinde sich hingegen „schon jetzt“ „hart an der Grenze zur Beihilfe zu einem Völkerrechtsverstoß“, sofern die Bundesregierung Überflugrechte und die Nutzung von US-Militärstützpunkten in der Bundesrepublik Deutschland gewährt, erklärte der Jurist von der Martin-Luther-Universität.

Sowohl der US-Verfassungsrechtler Andrew Napolitano als auch Daniel Davis, Oberstleutnant der U.S. Army im Ruhestand, machen zudem darauf aufmerksam, dass die US-Angriffe auf den Iran ebenfalls gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstoßen. Napolitano betonte, was US-Präsident Donald Trump getan habe, sei „zutiefst verfassungswidrig“ sowie ein Vergehen gewesen, das zu seiner Absetzung führen könnte. Nach der US-Verfassung könne nur der Kongress den Krieg erklären, nicht der Präsident. Und der Kongress könne nur einem Land den Krieg erklären, das „eine unmittelbare und ernsthafte militärische Bedrohung für die Vereinigten Staaten von Amerika“ darstelle.

Davis erläuterte, die USA hätten eine „Kriegshandlung gegen ein anderes souveränes Land“ unternommen, die gegen den „War Powers Act von 1973“ verstößt. Nach diesem Gesetz – auch „War Powers Resolution“ genannt – darf der US-Präsident die Streitkräfte nur auf der Grundlage einer „Kriegserklärung“, einer „spezifischen gesetzlichen Ermächtigung“ oder eines „nationalen Notstands“ einsetzen. In jedem Fall muss der US-Präsident dem Gesetz zufolge den Kongress konsultieren, „bevor er die Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Feindseligkeiten“ verwickele.

Die „New York Times“ weist darauf hin, dass laut der Verfassung der Kongress die Befugnis hat, „den Krieg zu erklären“, während der Präsident der Oberbefehlshaber des Militärs ist. Die „meisten Rechtsgelehrten“ seien sich einig, dass die Gründer der Vereinigten Staaten die Absicht hatten, zu unterscheiden zwischen der „Befugnis, einen Krieg zu beginnen“ und der Befugnis „einen Krieg zu führen“. Nur wenn ein Krieg einmal begonnen habe, sei es dem Präsidenten erlaubt, Angriffe abzuwehren, ohne vorher den Kongress zu konsultieren, erklärt die US-Tageszeitung. Die Verfassung mache auch ratifizierte Verträge wie die Charta der Vereinten Nationen zum „obersten Gesetz des Landes“. Daher dürfe ein Land ein anderes Land – außer zur Selbstverteidigung – nur angreifen, wenn der UN-Sicherheitsrat dies genehmigt hat, heißt es in der „New York Times“ weiter.

Trotz der eindeutigen Einschränkungen durch die UN-Charta und die US-Verfassung haben sich US-Präsidenten in der Vergangenheit wiederholt darüber hinweggesetzt. Dem Schweizer Historiker Daniele Ganser zufolge haben die USA seit 1945 die meisten Völkerrechtsverstöße begangen. Zu den verlustreichsten gehörten der Koreakrieg (1950 bis 1953) unter den Präsidenten Harry S. Truman und Dwight D. Eisenhower, der Vietnamkrieg (mit US-Beteiligung ab 1964 bis 1975) unter den Präsidenten Lyndon B. Johnson und Richard Nixon sowie der Irakkrieg (2003) unter George W. Bush. Zu den weiteren US-Militäreinsätzen ohne Zustimmung des US-Kongresses gehören unter anderem der völkerrechtswidrige Angriff auf Serbien (1999) unter Bill Clinton, die Teilnahme der US-Luftwaffe am Angriff auf Libyen (2011) unter Barack Obama und die US-Bombardierung eines syrischen Militärflugplatzes (2017) unter Donald Trump.

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