Russland durchbricht ukrainische Verteidigungslinie im Donezbecken
Militäranalyst: „Doppelkessel“ um Pokrowsk und Torezk / Russische Drohnenangriffe erschweren Bau neuer ukrainischer Verteidigungsanlagen / Ukrainischer Kommandant kritisiert Generalstab: „sehr sinnlose Befehle“
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Die russische Armee hat seit Ende April zentrale ukrainische Verteidigungslinien im Donezbecken (Donbass) zwischen den Städten Pokrowsk und Torezk durchbrochen und erhebliche Geländegewinne in nördlicher Richtung erzielt. Zehn bis zwanzig Quadratkilometer Land fallen derzeit täglich an das russische Militär, erklärte der österreichische Oberst und Militäranalyst Markus Reisner. In der Folge wurde auch eine wichtige Nachschublinie der ukrainischen Armee zwischen Pokrowsk (Russisch: Krasnoarmejsk) und Torezk (Dserschinsk) unterbrochen. Dadurch sei laut Reisner ein „Doppelkessel“ um diese beiden Bergbaustädte entstanden. Mit dem Vorstoß sei es der russischen Armee gelungen, die vierte, „improvisierte“ ukrainische Verteidigungslinie zu durchstoßen, die zum Teil nur aus Stacheldraht bestanden habe.
Mit Drohnenangriffen störe die russische Seite mittlerweile auch das Errichten neuer Verteidigungsanlagen, so dass es möglicherweise zu einem „operativen Durchbruch“ an der Front komme. Der Erfolg der russischen Armee basiere auf dem Einsatz von zehn bis 15 Elite-Drohnentruppen, die mit glasfasergesteuerten Drohnen „weit hinter den ukrainischen Linien“ den Nachschub der Armee Kiews angreifen, erklärt Reisner weiter. Dieses Vorgehen habe die russische Seite bereits bei der Rückeroberung des von der Ukraine besetzten Gebietes bei Kursk angewendet. Dort sei es ihr gelungen, die ukrainische Versorgungslinie südlich der Stadt Sudscha zu durchbrechen, was zum Rückzug der ukrainischen Einheiten geführt habe. An dem nun auch im Raum zwischen Pokrowsk und Torezk bis hin zu dem nördlich von Torezk gelegenen Tschassiw Jar (Tschassow Jar) eingesetzten Vorgehen sei zu erkennen, dass Drohnen mittlerweile auf „taktisch-operativer Ebene“ zum „Game-Changer“ geworden seien.
Die russischen Erfolge im mittleren Frontabschnitt hätten zu Kritik auf der ukrainischen Seite geführt, erläutert Reisner. So habe beispielsweise Alexander Schirschin, ein ukrainischer Bataillonskommandant aus der 47. mechanisierten Brigade, in den sozialen Medien „sehr wütend“ darauf hingewiesen, dass der Generalstab „kein klares Lagebild“ von dem habe, was tatsächlich an der Front passiere. Zudem habe es auch „sehr sinnlose Befehle“ gegeben. Reisner teilt die Kritik, da anhand der Videos von der Front zu erkennen sei, dass die ukrainischen Soldaten unter dem „Dauerfeuer russischer Artillerie und Drohnen“ nicht wüssten, wohin sie sich zurückziehen sollen. Sie seien aufgrund des Befehls, das Gelände zu halten, in einer „verzweifelten“ Situation und machten einen „demoralisierten“ Eindruck. Zudem seien die ukrainischen Bataillone mit nur noch etwa einem Drittel der Sollstärke und nach drei Jahren Kampfeinsatz sehr geschwächt.
Die im Nord-, Mittel- und Südabschnitt laufenden Angriffe der russischen Armee seien laut dem österreichischen Oberst Teil der Frühjahrsoffensive, die mit den Erfolgen im Mittelabschnitt früher als erwartet „kulminiere“. Sie diene als Vorbereitung der anstehenden Sommeroffensive, die aus russischer Sicht zu dem erhofften operativen Durchbruch führen soll. Falls die Ukraine nicht unterstützt werde, könne der russische Plan Erfolg haben, schließt Reisner.
Die US-Tageszeitung „Washington Post“ berichtet auf Basis der Einschätzungen ukrainischer Militäranalysten, dass der Kreml im Rahmen der Sommeroffensive kleinere Angriffe entlang der Grenze zu den nordostukrainischen Regionen Sumy und Charkiw (Russisch: Charkow) plane. Derzeit seien 125.000 russische Soldaten an der Grenze zu diesen Regionen stationiert – nach Angaben des ukrainischen Militärgeheimdienstes „nicht annähernd genug“, um zwei regionale Hauptstädte einzunehmen. Wahrscheinlicher sei, dass diese Truppen dazu eingesetzt würden, „Pufferzonen“ entlang der Grenze zu schaffen, um weitere ukrainische Übergriffe auf die russischen Regionen Kursk oder Belgorod zu verhindern. Ansonsten gebe die russische Militärführung der Eroberung von Pokrowsk und der nördlich von Torezk gelegenen Stadt Kostjantyniwka (Konstantinowka) den Vorrang.
Die russische Armee hat Pokrowsk und Torezk seit Mitte 2024 im Visier. Nachdem Torezk und Tschassiw Jar Anfang 2025 von russischen Einheiten erobert wurden und die Einkesselung von Pokrowsk immer weiter voranschritt, startete die ukrainischen Armee im März mit Truppen, die aus der Region Kursk abgezogen worden waren, kleinere Gegenoffensiven bei Pokrowsk und Torezk. Dieses Vorgehen führte jedoch unter anderem zum Verlust des von der Ukraine besetzen Gebietes bei Kursk.