Sachsenhausen: Russischer Botschafter gedenkt sowjetischer Toter in separater Veranstaltung
Befreiung des Konzentrationslager Sachsenhausen vor 80 Jahren durch Rote Armee / Russische Vertreter von offizieller Gedenkfeier durch brandenburgische Landesregierung ausgeladen / BSW-Fraktionschef: Drohung an russischen Botschafter „völlig überzogen“
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Der russische Botschafter in Deutschland Sergej Netschajew hat am Montag (28. April) in einer geschlossenen Veranstaltung der Toten und der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen gedacht. Die Anwesenden, zu denen auch zahlreiche Botschaftsmitarbeiter gehörten, „gedachten der sowjetischen Gefangenen, die unter härtesten Bedingungen im Lager starben“, heißt es in einer Pressemitteilung der Russischen Botschaft. Von der eigentlichen Veranstaltung in der Gedenkstätte am 4. Mai war Netschajew von der brandenburgischen Landesregierung im Vorfeld ausgeladen worden.
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte der russischen Botschaft im Jahr 2023 mitgeteilt: Solange Russland „einen blutigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und den Frieden in ganz Europa bedroht, ist es nicht vorstellbar, dass offizielle Vertreter Ihres Landes an diesen Veranstaltungen teilnehmen“. Dies gelte auch weiterhin, hatte ein Sprecher der Landesregierung gegenüber der Bild-Zeitung erklärt. (22. April) Eine Presseanfrage von Multipolar ließ die brandenburgische Landesregierung unbeantwortet. Multipolar wollte unter anderem wissen, inwiefern die Ausladung eine Instrumentalisierung des Gedenkens für einen aktuellen Konflikt darstellt und ob der Botschafter Israels, das in den vergangenen Jahren mehrere Nachbarländer angegriffen hat, ebenfalls ausgeladen wurde.
Axel Drecoll, Direktor der „Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten“, hatte gegenüber der Bild-Zeitung bekräftigt, der russische Botschafter werde mithilfe des „Hausrechts“ und von „Sicherheitskräften“ entfernt, falls er zu der offiziellen Gedenkveranstaltung am 4. Mai kommt. Die Teilnahme russischer Repräsentanten sei „den ukrainischen Opfern und Hinterbliebenen nicht zuzumuten“, begründete Drecoll, der aus Bayern stammt, die Entscheidung. Zur Frage, ob ukrainische Antifaschisten und KZ-Überlebende einverstanden seien mit der Politik der heutigen ukrainischen Regierung, die Straßen und Plätze nach Nazi-Kollaborateuren wie Stepan Bandera und Roman Schuchewitsch benennt oder ukrainischen SS-Veteranen öffentlich applaudiert, äußerte sich Drecoll gegenüber Multipolar nicht. Ukrainische SS-Männer waren häufig als Wachmannschaften in Vernichtungs- und Konzentrationslagern eingesetzt gewesen. Bandera war von 1941 bis 1944 im KZ Sachsenhausen als „Ehrenhäftling“ unter bevorzugten Bedingungen inhaftiert. Die SS bezeichnete ihn als „unerhört wertvoll“ und ließ ihn 1944 für den Kampf gegen die Sowjetunion frei. Nach Kriegsende war er in die Bundesrepublik geflohen.
Gegen die geschlossene Gedenkveranstaltung der russischen Botschaft am Montag in Sachsenhausen hatte die Stiftung „nichts einzuwenden“, heißt es in einem Bericht der Berliner Zeitung. Netschajew sagte, die Erinnerungskultur an die sowjetischen Opfer und Befreier müsse an spätere Generationen weitergegeben werden, damit die Geschichte nicht verfälscht werde. Das Gedenken dürfe auch „nicht von der jeweils aktuellen politischen Agenda abhängen, verdreht oder verschwiegen werden“. Zudem lobte der russische Botschafter den „Aussöhnungprozess“ zwischen Russen und Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Laut der Tageszeitung „Welt“ hat die Ausladung russischer Repräsentanten von Gedenkveranstaltungen für einen „Konflikt“ innerhalb der brandenburgischen Landesregierung bestehend aus SPD und BSW gesorgt. BSW-Landtagsfraktionschef Niels-Olaf Lüders forderte die Teilnahme des russischen Botschafters an den Veranstaltungen zuzulassen. Die Androhung, Netschajew mit Sicherheitskräften zu entfernen, sei „völlig überzogen“. Die unter anderem vom Auswärtigen Amt geäußerte Vermutung, Russland könne seine Teilnahme für den aktuellen Konflikt mit der Ukraine „instrumentalisieren“, sei „durch nichts belegt“.
Netschajew hatte in den vergangenen Tagen bereits an Gedenkveranstaltungen auf den Seelower Höhen, am Sowjetischen Ehrenfriedhof in Potsdam sowie in Torgau teilgenommen. Beim Gedenken an den „Elbe Day“ in Torgau hatte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in seiner Rede Russlands Einmarsch in der Ukraine thematisiert und als „völkerrechtswidrig“ bezeichnet. Dafür habe Kretschmer Buhrufe aus dem Publikum erhalten, berichtete der MDR. Laut der Tageszeitung „B.Z.“ forderte die zuständige Senatsverwaltung Berlins Vertreter Russlands und Weißrusslands auf, bei Gedenkveranstaltungen in Berlin von offiziellen Auftritten abzusehen. In dem Zeitungsbericht heißt es: „Russen“ seien „unerwünscht“.