Staatliche Mittel für behinderte Menschen sollen drastisch sinken
Leistungen für Teilhabe werden laut Haushaltsentwurf um 40 Prozent reduziert / Kritiker sehen Zusammenhang zwischen Rüstungsausgaben und Sozialkürzungen / Behinderten-Beauftragter: Bundesregierung will lediglich „Dickicht der kostentreibenden Bürokratie lichten“
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Der Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 sieht massive Kürzungen bei den Mitteln für behinderte Menschen vor. Die Leistungen nach dem Bundesteilhabegesetz sollen um über 40 Prozent sinken. 2024 standen noch rund 234 Millionen Euro zur Verfügung. 2025 sollen nur noch knapp 135,5 Millionen Euro ausgegeben werden. Die Kosten für Inklusion sollen ebenfalls deutlich sinken. 523,7 Millionen Euro waren 2024 hierfür in den Etat eingestellt. 2025 sollen es nur noch knapp 410 Millionen Euro sein.
Kritiker der Kürzungen protestieren dagegen unter anderem mit der Petition „#TeilhabeIstKeinLuxus“. Mehr als 186.000 Mal wurde sie inzwischen unterzeichnet. Die Petition ist eine Reaktion auf Kürzungsankündigungen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf dem Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebunds in Berlin am 3. Juni. Er erklärte dort: „Dass wir allerdings jährliche Steigerungsraten von bis zu 10 Prozent über Jahre hin, bei der Jugendhilfe, bei der Eingliederungshilfe sehen, das ist so nicht länger akzeptabel“.
In der Petition wird ein Zusammenhang zwischen den Sozialkürzungen und den Rüstungsausgaben hergestellt: „Während der Staat gleichzeitig ein Sondervermögen in Milliardenhöhe für Aufrüstung bereitstellt, wird bei der Inklusion der Rotstift angesetzt.“ Davor hatte der behinderungspolitische Verein „Kooperation Behinderter im Internet“ (kobinet) bereits im März gewarnt: „Die geplanten Investitionen könnten langfristig Ressourcen binden, die auch zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung beitragen. Die Mehrausgaben dürfen aber keine Begründung sein, um anderweitig an Inklusion zu sparen“. Ohne gezielte Mittelzuweisungen bestehe die Gefahr, dass Inklusionsmaßnahmen „weiter ins Hintertreffen geraten“.
Auch der Behindertenverband „Lebenshilfe“ protestiert. Ulla Schmidt (SPD), Bundesgesundheitsministerin von 2001 bis 2009 und heute Lebenshilfe-Bundesvorsitzende erklärte, Merz unterstelle mit seiner „pauschalen Aussage“, dass Menschen mit Behinderung und ihre Familien sowie Kinder und Jugendliche „zu Unrecht Leistungen beziehen und zu viel Geld kosten“. Das sei „ungeheuerlich“. Dem Verband Sonderpädagogik zufolge dürfen Eingliederungshilfe-Leistungen „kein Spielball von Haushaltskonsolidierungen“ sein. In einer Stellungnahme wandte sich der Verband direkt an den Bundeskanzler: „Sprechen Sie bitte im Zusammenhang mit dem Menschenrecht auf Teilhabe und Inklusion niemals von Belastungen, Kostenlawinen und Luxus.“ Dem Bundesteilhabegesetz zufolge, das ab 2017 stufenweise in Kraft trat, haben behinderte Menschen einen Rechtsanspruch auf gesellschaftliche Teilhabe.
Wilfried Oellers, Beauftragter für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, relativierte in einem von „kobinet“ veröffentlichten Statement die Aussagen des Bundeskanzlers. „Wir planen keineswegs Einschnitte bei den Leistungen der Eingliederungshilfe“, erklärte er. „Allerdings wollen wir in diesem Bereich das Dickicht der kostentreibenden Bürokratie lichten.“ Es gehe darum, die Leistungserbringung zu vereinfachen.
Keine der von Multipolar angefragten Behindertenorganisationen meldete sich bis Redaktionsschluss mit einer inhaltlichen Stellungnahme zu Wort. Kontaktiert wurden unter anderem der Evangelische Fachverband für Teilhabe (BeB), der Bundesverband für Körper- und mehrfachbehinderte Menschen (BVKM), die Lebenshilfe Berlin, der Allgemeine Behindertenverband für Deutschland (ABID) sowie die Initiative „Handicap International“. Annetraud Grote, niedersächsische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, ließ über ihr Sekretariat ausrichten, dass sie wegen ihres vollen Terminkalender kein Statement abgeben könne.