Beihilfe zum Völkermord

Staatsrechtler: Deutschland beteiligt sich an „Völkerrechts-Nihilismus“

Interview: Norman Paech kritisiert Israel, USA und deutsche Regierung / Israel begehe „Völkermord“ an Palästinensern – deutsche Waffenlieferungen könnten als „Beihilfe“ gewertet werden / USA fühlen sich nicht an Völkerrecht gebunden

(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)

Der Staatsrechtler Norman Paech kritisiert den Umgang von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit dem Völkerrecht. In einem Interview mit dem Magazin „Manova“ sagte der emeritierte Professor für Öffentliches Recht und frühere Bundestagsabgeordnete (Linke), dass der Kanzler offenbar nur dem „Chef“ folge und sich selbst wie ein „kleiner Trump“ benehme. Der „Völkerrechts-Nihilismus“ der USA schlage jetzt auf die deutsche Regierung über. Dies sei „sehr gefährlich“. Nahezu alle Nato-Mitglieder agierten wie „Vasallen“ und wenn alle das Völkerrechts negierten, dann breche die Ordnung zumindest im atlantischen Raum zusammen, befürchtet der Hamburger Völkerrechtsexperte.

Paech bezog sich bei seiner Kritik auf die Stellungnahmen von Kanzler Merz zum Krieg der USA und Israel gegen den Iran („Drecksarbeit für uns“) sowie auf einen möglichen Besuch Benjamin Netanjahus in Deutschland – trotz des internationalen Haftbefehls gegen den israelischen Ministerpräsidenten. Paech sprach davon, dass derzeit die Macht des Militärs vor der Macht des Rechts steht. Es sei wichtig, wieder zurück zum Recht zu kommen. Die Lieferung von Waffen an Israel durch Deutschland könnte als Beihilfe zu Kriegsverbrechen gewertet werden. Den Tatbestand des Völkermords sieht er als gegeben an. Hierzu hat Paech kürzlich gemeinsam mit der Journalistin Helga Baumgarten ein Buch veröffentlicht.

Der Angriff Israels und der USA auf den Iran sei nicht vom Völkerrecht gedeckt, erklärte er in Übereinstimmung mit anderen Rechtswissenschaftlern. Israel habe angegeben, den Bau von Atomwaffen verhindern zu wollen. „In Wahrheit hatte man eine Art Enthauptungsschlag versucht, also die politische und militärische Führung des Landes auszuschalten“, sagte Paech. Medien und Politik hierzulande seien eine kurze Zeit irritiert gewesen, bis dann die „Parole vom Selbstverteidigungsrecht“ Israels ausgegeben wurde. Dieses ist Paech zufolge jedoch nicht von der UN-Charta und damit vom Völkerrecht gedeckt: „Verteidigung ist nach Artikel 51 nur dann möglich, wenn ein unmittelbarer aktueller Angriff erfolgt ist.“

Die Absicht eine Atombombe herzustellen, sei noch keine akute Bedrohung. Schließlich brauche es dafür neben der Zeit, diese zu bauen, auch noch Raketen oder strategische Bomber, um sie an das Ziel zu bringen. Nach Paechs Worten diente die Anreicherung des Urans durch den Iran dazu, die USA wieder zu Verhandlungen zu bewegen, nachdem diese aus dem Atomabkommen ausgestiegen waren. Ziel der Regierung in Teheran sei es, die Sanktionen der USA gegen den Iran zu beenden. Dagegen ist der Angriff auf atomare Anlagen, wie von den USA und Israel im Juni durchgeführt, völkerrechtlich verboten.

Die Möglichkeiten, gegen die Völkerrechtsbrüche der USA und Israel vorzugehen, seien hingegen begrenzt, da die Vereinigten Staaten im UN-Sicherheitsrat regelmäßig ihr Veto einlegen. Ein Votum der Vollversammlung der Vereinten Nationen wäre möglich gewesen, aber es hätte keine große Relevanz. Paech sagte: „Ich bin da überzeugt, dass die USA im Augenblick sich nicht an das Völkerrecht gebunden fühlen und solch ein Votum der Mehrheit nicht beachten würden.“ Schließlich ignorierten die USA regelmäßig auch die Verurteilung der Sanktionen gegen Kuba durch die UN-Vollversammlung.

Paech äußerte sich im Interview auch zum Krieg Israels gegen die Palästinenser im Gazastreifen. Hier hatte Israel ihm zufolge im Oktober 2023 das Recht, sich gegen die Angriffe auf zivile Ziele zu wehren. Die Hamas habe Kriegsverbrechen begangen, als sie am 7. Oktober 2023 Zivilisten angriff. Grundsätzlich hätten die Palästinenser aber das Recht, sich gegen eine rechtswidrige Besetzung zu wehren. Dabei könnten sie sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker beziehen und gegen die militärische Struktur der Besatzung vorgehen. Umgekehrt könne Israel nicht aus der Besatzung des Gazastreifens eine Legitimierung zur Selbstverteidigung ableiten.

Bezogen auf das Vorgehen Israels im Gazastreifen spricht Paech vom Völkermord. Das habe nicht unbedingt mit der Heftigkeit der Angriffe zu tun, sondern es gehe um die begleitenden Absichtserklärungen sowohl des Militärs als auch der Regierung. Dies sei das Wesentliche beim Tatbestand des Völkermords. „Und diese Absicht ist immer wieder bis auf den heutigen Tag auch von Regierungsmitgliedern und anderen immer sehr deutlich ausgesprochen worden.“ Nicht nur einzelne Völkerrechtler, sondern auch Organisationen wie „Amnesty International“, „Human Rights Watch“ und „Ärzte ohne Grenzen“ sprechen vom Völkermord. Paech verglich die Lage mit dem Krieg in der Ukraine. „Da wäre man sofort dabei, eine Verurteilung wegen Völkermord zu machen.“ Auch den Angriff Russlands auf die Ukraine bezeichnete er als völkerrechtswidrig. Zwar gebe es eine Vorgeschichte, diese aber reicht nicht aus, um den Angriff auf die territoriale Integrität eines Landes zu legitimieren. „Die Vorgeschichte ist schon politisch, historisch ungeheuer wichtig, sie wahrzunehmen. Nur juristisch spielt sie da keine Rolle.“

Drucken

Drucken

Teilen