Ukraine-Krieg

Tiefer russischer Vorstoß im Donbass

Vormarsch über 17 Kilometer in drei Tagen / Pokrowsk und weitere Ortschaften kurz vor Einkesselung / Asow-Kommandeur: Lage „ohne Übertreibung völlig beschissen“

(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)

Sowohl pro-ukrainische als auch neutrale und pro-russische Militärblogger berichten aktuell von einem russischen Durchbruch der Frontlinie zehn Kilometer nördlich der seit einem Jahr umkämpften Stadt Pokrowsk (Russisch: Krasnoarmejsk). Die russische Armee konnte demnach innerhalb von drei Tagen 17 Kilometer in nordwestliche Richtung vorstoßen und eine ukrainische Versorgungslinie zwischen Pokrowsk und dem weiter nordöstlich gelegenen Kramatorsk – in der Nähe der Stadt Dobropillja – abschneiden. Den Frontstädten Pokrowsk, Myrnohrad sowie weiteren kleineren Ortschaften in dem Gebiet droht damit die vollständige Einkesselung.

Bereits Ende Mai hat sich mit dem Vorstoß der russischen Armee zwischen Pokrowsk und dem 50 Kilometer weiter östlich gelegenen Torezk die Bildung eines „Doppelkessels“ abgezeichnet. Dieser könnte durch den weiteren Vormarsch der russischen Armee auch zu einer Einkreisung der 15 Kilometer nördlich von Torezk gelegenen Stadt Kostjantyniwka führen. Mit den russischen Vorstößen geraten mit Kramatorsk und Slowjansk auch die beiden letzten großen, unter ukrainischer Kontrolle stehenden Städte im Oblast Donezk, unter Druck. Dem US-Militäranalysten Michael Kofman zufolge sei von dem derzeitigen Punkt aus „nicht schwer zu erkennen“, wie das Vorrücken der russischen Armee Kramatorsk und Slowjansk gefährden könnte – insbesondere angesichts der russischen Achse, die sich langsam nördlich dieser Städte in Richtung Westen vorwärtsbewege.

Der amtierende Kommandeur der „Asow“-Brigade, Bogdan Krotewytsch, hat am Montag die Öffentlichkeit mit einer direkt an den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski gerichteten Nachricht über die militärische Situation im Donbass unterrichtet. Darin bezeichnet er die „Lage auf der Strecke Pokrowsk – Kostjantyniwka ohne Übertreibung“ als „völlig beschissen“. Diese Lage verschlimmere sich „schon seit langem“ und werde von „Tag zu Tag schlimmer“. Eine „feste Frontlinie“ gäbe es praktisch nicht. Das „systemische Problem“ habe unter anderem mit der „Aufzehrung der Reserven“, der „massiven Zersplitterung der Einheiten entlang der gesamten Frontlinie“ sowie dem „völligen Fehlen einer strategischen und sogar operativen Vision des Kriegsschauplatzes“ seitens eines „Teils der Militärführung“ begonnen, beklagt Krotewytsch.

Am Dienstag meldete das 1. Korps der ukrainischen Nationalgarde „Asow“ – einer nationalistischen Spezialeinheit – die Übernahme der Verantwortung zur Verteidigung im Sektor Pokrowsk. Einheiten innerhalb des Korps hätten „Maßnahmen“ geplant und durchgeführt, um die feindlichen Streitkräfte in diesem Gebiet zu blockieren. Die Zeitung „Ukrainska Pravda“ bestätigte die Übernahme der Verteidigung in diesem Gebiet durch die Einheit. Vorliegenden Aussagen aus Armeekreisen zufolge geschehe die russische Offensive in Richtung Dobropillja und der Straße Dobropillja-Kramatorsk in einem der schwierigsten Abschnitte der Front im Sektor Pokrowsk.

Der US-amerikanische Oberst im Ruhestand und ehemalige Berater des US-Verteidigungsministeriums Douglas Macgregor geht in einem Interview davon aus, dass das aktuelle russische Vordringen nicht in Zusammenhang mit dem bevorstehenden Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsidenten Wladimir Putin steht. Stattdessen würden die russischen Einheiten lediglich den Mangel der ukrainischen Armee an Soldaten sowie der sich aus diesem Grund auflösenden Verteidigungslinien ausnutzen. Macgregor erwartet in Zukunft weitere „tiefe Vorstöße“ bis zur Stadt Saporischschja. Die russische Armee werbe jeden Monat 35.000 neue Rekruten an; geschätzte 150.000 Mann würden sich derzeit in Ausbildung befinden. Es gebe seiner Meinung nach von ukrainischer Seite kaum etwas, das die russische Armee bei ihrem Vormarsch aufhalten könne.

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