Wirtschaftsexperten sehen in Aufrüstung keinen Wachstumsmotor
Europäische Zentralbank: Wirtschaftswachstum durch Aufrüstung gering, Inflationsgefahr hoch / Heiner Flassbeck: Waffen und Munition sind „sinnloseste Form der Produktion“ / Universität Mannheim: Rüstungsbranche hat nur wenig Beschäftigte und kaum Forschung
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Hochrangige Wirtschaftsexperten schätzen die ökonomischen Effekte der militärischen Aufrüstung weiterhin als gering ein. Die Europäische Zentralbank (EZB) erklärte laut Berliner Zeitung (16. Dezember), das erwartete zusätzliche Wachstum durch höhere Verteidigungsausgaben belaufe sich auf lediglich rund 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2027. Die Effekte eines „Militärkeynesianismus“ blieben aus. Es bestehe „erhebliche Unsicherheit“ darüber, „wie stark sich höhere Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben auf Produktion und Inflation auswirken“, schrieb EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Bereits in den vergangenen Monaten hatten europäische Wirtschaftswissenschaftler öffentlich vor Aufrüstung als ökonomischem „Irrweg“ gewarnt.
Neben geringen Wachstumsimpulsen hätten steigende Rüstungsausgaben zudem einen preistreibenden Effekt. Die begrenzten Produktionskapazitäten der Rüstungsunternehmen sowie die erhöhte Nachfrage nach Vorprodukten, die auch zivil genutzt werden, tragen Lagarde zufolge „zu einem stärkeren Aufwärtsdruck auf die Inflation“ bei. Die EZB-Präsidentin hatte diese Einschätzungen in einem Schreiben an den BSW-Europaabgeordneten Fabio de Masi geäußert. Dieser ergänzte, dass viele europäische Ausgaben letztlich nicht in Europa sondern auf den Konten US-amerikanischer Rüstungskonzerne landeten, da viele hier genutzte Waffensysteme nur mit US-Komponenten funktionierten. Die EU fülle auf diese Weise US-Auftragsbücher, während der Präsident der Vereinigten Staaten Donald Trump „uns mit Strafzöllen überzieht“.
Der Wirtschaftswissenschaftler und frühere Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Heiner Flassbeck schreibt (7. Dezember), im Unterschied zu anderen industriell produzierten Gütern wie etwa Maschinen profitiere die Volkswirtschaft von Waffen und Munition „absolut“ nicht. „Beide stehen ohne jeden Gewinn so lange in irgendwelchen Arsenalen bis sie nicht mehr einsatzfähig sind und vernichtet werden müssen.“ Es handele sich um „mit Abstand die sinnloseste Form der Produktion, weil dabei wertvolle Ressourcen (einschließlich der menschlichen) vernichtet werden“, kritisierte Flassbeck. Zudem sei die Klimabilanz von Munition und Waffen bei Produktion und Übungseinsatz „verheerend“.
Der Wirtschaftswissenschaftler Patrick Kaczmarczyk von der Universität Mannheim sagte in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ (13. Dezember), Ausgaben für Rüstung lieferten deutlich weniger Rückkehreffekte auf das Wirtschaftswachstum als Ausgaben in anderen Bereichen wie Bildung oder Infrastruktur. Solche Ausgaben kämen zahlreichen Sektoren der Gesellschaft zugute, während Militärausgaben nur „toten Stahl“ hervorbringen. Es handele sich um einen ökonomischen „Einmaleffekt“. Außerdem gebe es keine gesamteuropäische Beschaffung von Militärgütern, die Waffenproduzenten unter Preis- und Konkurrenzdruck setzen könnte, sondern jedes EU-Land agiere als Einzelmarkt. Ausgaben für die Rüstungsindustrie haben zudem nur geringe Forschungs- und Entwicklungsanteile, erläuterte Kaczmarczyk. Die deutsche Rüstungsindustrie sei überdies personell ein eher kleinerer Wirtschaftsbereich mit insgesamt 17.000 Beschäftigten. Aktuelle Wirtschaftsprognosen bestätigten, dass von Rüstungsausgaben „nicht allzu viel erwartet werden sollte“.