Wirtschaftswissenschaftler warnen vor Aufrüstung als ökonomischem „Irrweg“
Französischer Ökonom: mehr Arbeitsplätze durch Investitionen in Umwelt, Bildung oder Gesundheit / Gewerkschaftsökonom: Rüstungsindustrie weder nachhaltig noch moralisch / Wirtschaftsprofessor: Aufrüstung kein Mittel gegen Wirtschaftskrise
(Diese Meldung ist eine Übernahme von Multipolar)
Ökonomen kritisieren den politischen Aufrüstungskurs Deutschlands und anderer europäischer Länder als falsch und unsinnig. Der französische Wirtschaftswissenschaftler Claude Serfati erläuterte gegenüber dem Online-Magazin „German Foreign Policy“ (22. Oktober), dass Ausgaben für die Rüstungsindustrie geringeres Wachstum, geringere Privatinvestitionen und weniger Arbeitsplätze nach sich ziehen als andere staatliche Ausgaben. Aufrüstung sei kein geeigneter Weg, um einer Wirtschaftskrise zu begegnen. Militärausgaben tragen „nicht zum Wachstum des Reichtums“ bei, sagte Serfati, der am Pariser Institut de recherches économiques et sociales (IRES) tätig ist. Die Fokussierung einer Regierung auf die Rüstungsindustrie bringe ökonomisch „ernste Nachteile“ mit sich und könne langfristig sogar zum „Niedergang“ eines Landes führen, heißt es in dem Beitrag.
Im Gegensatz zu Investitionen in die zivile Infrastruktur erbringen Waffen dem französischen Experten zufolge keine Vorteile für die Produktion anderer Güter. „Ein Panzer, eine Rakete, ein Kampfflugzeug kehren nicht in den Prozess der makroökonomischen Reproduktion zurück, wie es beispielsweise ein Ausrüstungsgut tut oder eine Maschine, die verwendet wird, um andere Güter herzustellen“. Ein Vergleich von Statistiken aus Deutschland, Italien und Spanien zeige zudem, dass sich mit Ausgaben für Umwelt, Bildung und Gesundheit mehr Arbeitsplätze schaffen lassen als mit Ausgaben für die Rüstung. Zudem werde der Beitrag der Rüstung zum technologischen Fortschritt insgesamt „oft überschätzt“, erläuterte Serfati. Sein Heimatland Frankreich falle gerade wegen seiner „traditionellen Fokussierung“ auf Rüstung wirtschaftlich zurück.
Der Wirtschaftswissenschaftler und Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung Heinz Bierbaum sagte in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ (13. Oktober): „Aufrüstung ist ein völliger Irrweg“. Die Rüstungsindustrie arbeite nicht nachhaltig. Sie ziele auf einen „raschen Verbrauch“ ihrer Produkte, ohne dass „irgendein Mehrwert für die Gesellschaft“ entstehe. Die Rüstungswirtschaft könne auch „bei weitem“ nicht den Verlust von Arbeitsplätzen in der gesamten Industrie kompensieren. Der Markt der Rüstungsbranche sei der Krieg. Dies lasse sich auch mit dem Verweis auf völkerrechtswidrige Handlungen Russlands nicht legitimieren, sagte Bierbaum. Der bewaffnete Konflikt in der Ukraine sei längst ein „Stellvertreterkrieg“, bei dem es um „hegemoniale Interessen“ gehe.
Wirtschaftsprofessor Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle hatte der „Berliner Zeitung“ im September gesagt, Verteidigungsausgaben dürften nicht als Instrument der Wirtschaftsförderung betrachtet werden. Von der „ökonomischen Natur her“ handele es sich bei militärischen Ausgaben um „Konsumausgaben“. Schuldenfinanzierte Ausgaben in einem Bereich mit Kapazitätsengpässen könnten zudem zu einer Inflation führen. Der Ökonom Gunther Schnabl meint auf Anfrage derselben Zeitung ebenfalls, dass „vieles für deutliche Preissteigerungen“ spricht, weil nur wenige Rüstungsunternehmen Aufträge erhielten. Am Ende führe das eher zu einem Wohlstandsverlust.
In einer Studie der Universität Mannheim (30. Juni) heißt es, öffentliche Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder Kinderbetreuung erzeugten „das Zwei- bis Dreifache an zusätzlicher Wertschöpfung“ im Vergleich zu Rüstungsausgaben. Ein ausgegebener Euro fürs Militär führe im besten Fall zu 50 Cent zusätzlicher wirtschaftlicher Aktivität. Studienautor Professor Tom Krebs sagte, „die geplante Militarisierung der deutschen Wirtschaft“ sei aus ökonomischer Sicht „eine risikoreiche Wette mit niedriger gesamtwirtschaftlicher Rendite“. Aufrüstung binde außerdem finanzielle und personelle Kapazitäten, die dann für gesellschaftlich relevante Aufgaben fehlen.