Medienkritik

Mit der Einheit ging‘s bergab

Vier ehemalige Redakteure des öffentlich-rechtlichen Fernsehens aus Ost und West berichten über den Zustand des Journalismus in Deutschland. Spätestens mit der Einheit wurde ihrer Ansicht nach ein Einheitsbrei zur Realität auf dem Bildschirm. Eine Rezension.

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Der Fernsehturm sendete das DDR-Fernsehen.
paulsteuber/pixabay, Mehr Infos

Es steht schlecht um das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Der fortdauernde Skandal um das Postengeschacher beim RBB ist da nur die Spitze des Eisbergs. Mindestens ebenso schlimm ist der tägliche journalistische Offenbarungseid in ARD und ZDF. Wie tief können die öffentlich-rechtlichen Sender noch sinken? Geht es überhaupt noch tiefer? Und wann begann dieser Prozess?

Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine 2022, dessen Vorgeschichte den Zuschauern der Hauptnachrichtensendungen seit weit mehr als anderthalb Jahren vorenthalten wird? Seit Corona, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur Speerspitze der Angst- und Impfpropaganda wurde? Seit der Flüchtlingskrise, als alle zu Nazis erklärt wurden, die meinten, „wir“ schaffen es nicht? Seit dem Putsch in der Ukraine 2014, der schon damals kaum medial aufgearbeitet wurde und heute, siehe oben, größtenteils verschwiegen wird? Seit dem 11. September 2001, nach dem nicht aufgeklärt, sondern verschleiert wurde? Oder seit dem Jugoslawienkrieg, als Tagesschau und Co. an der Seite von NATO und rot-grüner Bundesregierung den völkerrechtswidrigen Kampfeinsatz unterstützten?

Die Antwort wird je nach politischer Position und Erfahrung unterschiedlich ausfallen. Alle (geo)politischen Großereignisse der vergangenen Jahre zeigen den Verfall des Fernsehens. Immer mal wieder gab es Lichtblicke wie die Aufarbeitung der NATO-Lügen im WDR. Aber sie schienen (berechtigterweise) deshalb besonders hell, weil es ansonsten auf der Mattscheibe oder heutzutage dem LED-Bildschirm düster ist. Laut den vier Autoren des aktuellen Buches zum Abstieg des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liegt dessen Beginn noch weiter zurück. Lutz Herden, Wolfgang Herles, Luc Jochimsen und Michael Schmidt schauen zurück bis ins Jahr 1989 und die Zeit davor. Schließlich wurde auch die Deutsche Einheit im Westfernsehen größtenteils von nur einer Seite betrachtet. Widerspruch war nicht erwünscht, wie unter anderem der damalige Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios Herles berichtet.

Herles und seine drei Kollegen sind erfahrene Fernsehjournalisten – seit einigen Jahren im Ruhestand und haben viel zu erzählen. Als Fünfte im Bunde hat Daniela Dahn ein lesenswertes Vorwort beigesteuert. Die einen, Lutz Herden und Michael Schmidt aus der DDR, berichten vom Ende des Staatsfernsehens und den schnell vor allem durch Westakteure abgebrochenen hoffnungsvollen Aufbrüchen nach 1989. Die anderen, Wolfgang Herles und Luc Jochimsen aus der BRD, berichten von ihren Erfahrungen mit den Einschränkungen des Debattenraumes rund um die Wiedervereinigung.

Alle Perspektiven sind interessant und persönlich gefärbt. Der Leser bekommt Einblicke hinter die Kulissen von Redaktionen und Politik, wenn es beispielsweise um die Kritik Helmut Kohls am ZDF-Mann Herles geht, den er eigentlich als konservativ-liberalen Parteigänger an seiner Seite wähnte. Aber Herles pochte auf journalistische Unabhängigkeit. „Kohl verstand nicht, dass sich ein doch eher liberal-konservativer Journalist nicht automatisch von ihm einspannen ließ und auf seine Gunst verzichten zu können glaubte. Das war er nicht gewöhnt“, schreibt Herles. Er erinnert daran, dass der Kanzler 1989 abgewirtschaftet hatte und innerparteilich fast gestürzt worden wäre. Die Einheit war Kohls Chance. Und die wollte er sich nicht vom Fernsehen kaputtmachen lassen.

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten fielen bei der Kritik an der Politik rund um die Einheit aus, schreibt Herles. Damals wie heute sei der „Abweichler“ das Feindbild gewesen. „Es ist jedoch nicht Aufgabe von Journalisten, der Harmoniesucht zu dienen. Genau dies geschieht, wenn demoskopisch erhobene Mehrheitsmeinungen präferiert und Regierungspositionen propagiert werden, wozu gerade die öffentlich rechtlichen Medien neigen.“ Damals wie heute. Herles wurde geschasst, ein kritisches Buch, zu viele Widerworte bei der heiß diskutierten Hauptstadtfrage Bonn oder Berlin, die Sendung „Bonn direkt“ zu kritisch. Die Summe seiner vermeintlichen Verfehlungen wurde Herles zum Verhängnis, 1991 musste er seinen Posten als Leiter des Studios Bonn verlassen. Bis heute kritisiert er Journalisten, die sich dem Mainstream anpassen und ihre Aufgabe verfehlen, weil sie den Mächtigen folgen, statt sie zu kritisieren.

Auch Luc Jochimsen kritisiert als Westdeutsche das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Sie ergänzt im vorliegenden Buch Herles‘ konservativ-liberale Kritik aus einer linken Perspektive. Schließlich war sie Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und 2010 deren Kandidatin bei der Wahl zum Bundespräsidenten. Dabei ähneln sich viele Kritikpunkte, die Beispiele der einstigen Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks (1994-2001) sind aber anders gelagert. Und sie kontrastiert die Fehlentwicklungen mit einer Art „goldenen Zeit“ der politischen Konkurrenz – vor der Einführung des Privatfernsehens 1984. Damals sendete der NDR das Magazin „Panorama“ (links) und der BR „Report München“ (rechts), „Monitor“ kam vom WDR (links) und „Report“ vom Südwestfunk (rechts).

Mit der Privatisierung habe sich alles geändert: „die Rolle der Medien, die Rolle der Politik – und die politische Kultur insgesamt“. Nun spielten Publikumsgunst und Unterhaltungsfaktor eine bedeutsame Rolle für das Programm. „Bis in deren Formsprache hatten wir uns anzupassen: die Ästhetik von Clip und Spot dominierte, keine Zeit mehr für Hintergründe – die Oberfläche war alles, die glänzende Broschur“, schreibt Jochimsen. Wer so produzieren muss, hat keine Zeit für Kritik. Und er erliegt dem Druck des starken Bildes, wie beispielsweise 1991 der Brutkastenlüge. Sowohl daran als auch an den „Hufeisenplan“ des damaligen Bundesverteidigungsministers Rudolf Scharping erinnert Jochimsen. „Ein Fake unter vielen. Aber egal, die Politik und der journalistische Mainstream machten tapfer mit.“ Der heutige Leser wähnt sich in der Gegenwart und auch Jochimsen zieht Parallelen zu dem, was heute schiefläuft.

Abgebrochene Versuche im Osten

Schauen die beiden Westdeutschen eher auf die Kontinuität des Niedergangs, berichten die beiden Ostdeutschen von möglichen Alternativen. Lutz Herden war als DDR-Fernsehjournalist mitten drin, als im Verlauf der „Friedlichen Revolution“ unabhängige Medien entstanden. Diese waren aber nicht erwünscht, denn bereits „Anfang der 1990er Jahre wurde dafür Sorge getragen, in den vorhandenen ARD-Anstalten hingebungsvoll den Status quo zu pflegen und dies auf die Arbeitsweise der neuen Ostanstalten zu übertragen.“ Dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte, davon zeugen die Erfahrungen von Herden im Deutschen Fernsehfunk (DFF) der DDR aus der Wendezeit. Nach dem Sturz Honeckers im Oktober 1989 sei das Fernsehen plötzlich sich selbst überlassen und wenige Wochen später kaum mehr wiederzuerkennen gewesen, schreibt Herden.

„Zwischen dem 31. Oktober 1989 und dem 1. Juli 1990, dem Tag des Währungswechsels in der noch existierenden DDR, wurden für das erste und zweite DFF Programm 39 neue Formate entworfen, produziert und angeboten, darunter das ‚Donnerstags-Gespräch‘ als Live-Debatte zwischen Prominenten und Zuschauern über eine zwischen Reform und Restauration pendelnde

Noch-DDR-Gesellschaft, das innenpolitische Magazin ,Controvers‘ und die Kultursendung ,Kaos‘. Zum geschätzten Refugium für Reportagen wurde die Reihe ‚Klartext‘, es gab nun ein Umweltmagazin ‚Ozon‘ und ein Frauenjournal ‚Ungeschminkt‘.“ Unabhängiger Journalismus, ein Fernsehen, das nicht mehr als Erzieher auftritt. Das erlebten die DDR-Bürger damals. Der Staatsfunk hatte sich fest an der Seite der DDR-Nomenklatura gründlich diskreditiert. Erzieher auf dem Bildschirm (und in den sonstigen Medien) mögen viele ehemalige DDR-Bürger bis heute nicht, die Medienkritik ist im Osten vernehmbarer als im Westen. Und das auch – hier kann man Lutz Herden sicher folgen –, weil sich die Impulse des Aufbruchs mit der Kopie des West-Modells des öffentlich-rechtlichen Fernsehens quasi in Luft auflösten.

Das hat auch Michael Schmidt erlebt, der nach der Ausdehnung des NDR auf das Gebiet Mecklenburg-Vorpommerns dort als Redakteur und Redaktionsleiter des „Nordmagazins“ und Chefreporter arbeitete. Auch er erinnert sich an das „muntere mediale Experiment“, das nicht einmal ein Jahr andauerte, „dann war die Freiheit vorbei“. Viele der Geschichten der Einheit, beispielsweise das Ringen um Grund und Boden, seien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht erzählt worden. Erfahrungen, die die Ostdeutschen in der DDR gemacht hatten, gerieten in Vergessenheit. „Die westdeutsche Historie wird zur allein gültigen“, so Schmidt, der wie die anderen Autoren die Kritik der Zeit um 1990 in die Gegenwart verlängert. „Wieder haben Leser und Zuschauer das Gefühl, die Journalisten sind zu dicht dran an den Mächtigen, sie hofieren widerspruchslos eine auf das Ausland gerichtete ‚wertebasierte‘ Politik, und ein Meinungsjournalismus folgt – vielleicht noch nicht einmal bewusst – vermeintlichen Vorgaben.“

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Die Führung der Sender habe sich vom Publikum entfernt und wenig Interesse an kritischem innenpolitischen Journalismus, am Blick auf Dumpinglöhne, Tafeln, Kinderarmut oder auch die „angespannte Gemütslage der Leute im Osten“. In seinen Augen ist die Selbstzufriedenheit der Führung eine der größten Hürden auf dem Weg zu einem reformierten Fernsehen. Luc Jochimsen zitiert aus einem Text der früheren WDR-Fernsehfilm-Chefin Barbara Bohl, die 2021 konstatierte: „Ich glaube, wir können uns nicht selber helfen, ich glaube, man muss uns von Außen dazu zwingen.“ Michael Schmidt, der im Ruhestand mittlerweile im NDR-Rundfunkrat sitzt, wird etwas konkreter und fordert eine Demokratisierung der öffentlich-rechtlichen Medien, Zuschauerräte und mehr Mitbestimmung. Man fragt sich nur, wie das mit einem größtenteils eingelullten Publikum funktionieren soll. Allerdings: Eine der Erkenntnisse aus diesem lesenswerten Buch ist, dass die Westdeutschen hier vieles von den Ostdeutschen lernen können. Dieser kleine Hoffnungsschimmer hat die Macher des Buches vielleicht auch dazu motiviert, den Abstieg als „aufhaltsam“ zu beschreiben. Schaut man sich Geschichte und Gegenwart der Sender an, wird er sehr schwer zu stoppen sein.

Lutz Herden, Wolfgang Herles, Luc Jochimsen, Michael Schmidt: Der aufhaltsame Abstieg des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Berichte von Beteiligten (mit einem Vorwort von Daniela Dahn), edition ost, 281 Seiten, 20 Euro

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