Innenpolitik

Niedersachsen: Kein Fanal für die Buntestagswahl

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Am Sonntag wählten die Niedersachsen einen neuen Landtag. Mit der denkbar knappsten Mehrheit von nur einem Sitz wird das zweitgrößte Flächenland Deutschlands in den nächsten Jahren von Rot-Grün regiert. –

Von REDAKTION, 21. Januar 2013 –

Schwarz-Gelb ist mit einer schmerzhaften Niederlage in das Bundestagswahljahr gestartet. Niedersachsen wird künftig von Rot-Grün regiert. Die CDU/FDP-Koalition – seit 2010 unter Ministerpräsident David McAllister – wurde nach zehn Jahren abgewählt. Nach der Landtagswahl vom Sonntag haben SPD und Grüne im Parlament allerdings nur eine Stimme Mehrheit. Neuer Ministerpräsident wird der bisherige hannoversche Oberbürgermeister Stephan Weil.

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis verlor die CDU 6,5 Punkte, blieb aber mit 36,0 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der SPD, die auf 32,6 Prozent (plus 2,3) kam. Die Grünen erzielten 13,7 Prozent (plus 5,7), die FDP erreichte 9,9 (plus 1,7) und die Linke 3,1 Prozent (minus 4,0). Mit Überhang- und Ausgleichsmandaten ergibt sich folgende Sitzverteilung: CDU: 54; SPD: 49; Grüne: 20; FDP: 14. Das bedeutet eine Ein-Stimmen-Mehrheit im neuen Landtag für Rot-Grün gegenüber Schwarz-Gelb mit 69 zu 68 Mandaten.

FDP und Grüne erzielten jeweils ihre besten Ergebnisse bei einer Landtagswahl in Niedersachsen. Stundenlang sah es am Wahlabend in den Hochrechnungen nach einem Patt oder knappen Sieg von Schwarz-Gelb aus. Die CDU fuhr aufgrund einer massiven FDP-Zweitstimmenkampagne eines ihrer schlechtesten Ergebnisse ein. Die SPD legte leicht zu. Die Linke flog aus dem Landtag, auch die Piraten scheiterten klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung stieg leicht auf 59,4 Prozent.

Katzenjammer und Rücktrittsangebote

Sah es nach dem Schließen der Wahllokale zunächst danach aus, als hätte die massive Zweitstimmenkampagne der FDP eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition ermöglicht, so wurden im Verlauf des Wahlabends die Gesichter in den Reihen der Union und der Liberalen immer länger, als sich doch noch ein Sieg von Rot-Grün abzeichnete. Dabei war das Wahlkampfkonzept im Grunde aufgegangen, den Wiedereinzug der FDP in den Landtag durch Schützenhilfe der CDU-Wähler zu gewährleisten. Laut demoskopischen Untersuchungen waren rund 80 Prozent der Wähler, die der FDP ihre Zweitstimme gaben, CDU-Anhänger

Da sich die Union unglaubwürdig gemacht hätte, wenn sie zur Wahl ihres Juniorpartners aufgerufen hätte, andererseits zwecks Machterhalt auf einen Wiedereinzug der Liberalen angewiesen war, betonte ihr Spitzenkandidat David McAllister auf jeder Wahlkampfveranstaltung, sich nicht an einer Leihstimmenkampagne zugunsten der FDP zu beteiligen. Damit setzte die Union selbst das Thema immer wieder auf die Tagesordnung. Ihre Wähler haben den Wink mit dem Zaunpfahl nur zu gut verstanden.  

Das Angebot der FDP an die CDU-Wähler, die eigene Rolle in erster Linie als Steigbügelhalter für die CDU zu definieren, wurde von ihnen honoriert. Hinsichtlich der Bundestagswahl wird sich die Union aber kaum auf  eine erfolgreiche Zweitstimmenkampagne der FDP verlassen und sich im Vorfeld nicht so deutlich auf die Liberalen als einzig möglichen Koalitionspartner festlegen, wie es in Niedersachsen der Fall war.

Unmittelbar nach der Wahl schloss CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt eine entsprechende Schützenhilfe der Union für die FDP im Bundeswahlkampf aus. Es werde mit Sicherheit keine Kampagne für Stimmensplitting oder Leihstimmen geben, so Dobrindt am Montag vor einer Sitzung des CSU-Vorstands in München.

Beinahe einhellig wurde das überraschend gute FDP-Ergebnis als ein Befreiungsschlag für Parteichef Philipp Rösler in der Debatte um seine zukünftige Position in der Partei interpretiert.

Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, einer der schärfsten Rösler-Kritiker, sieht die Debatte über den FDP-Chef als erledigt an. Gegenüber der Leipziger Volkszeitung sagte er: „Die Frage nach personellen Konsequenzen an der FDP-Spitze ist nach diesem Wahlergebnis nur noch etwas für Komiker“.

Das war offenbar das Stichwort für Philipp Rösler, der trotz des herausragenden Ergebnisses laut Agenturmeldungen seinen Rücktritt anbot – ein Novum in der bundesrepublikanischen Geschichte. Es zeigt, über wie wenig Rückhalt Rösler in seiner Partei verfügt, auch wenn sein „Angebot“ mittlerweile ausgeschlagen wurde.  

Keine rot-grüne Aufbruchstimmung

Die Freude der SPD, doch noch den nächsten Ministerpräsidenten Niedersachsens stellen zu können und nun auch im Bundesrat Rot-Grün zu einer Mehrheit verholfen zu haben, ist verständlich. Das Frohlocken der Genossen kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Sozialdemokraten nicht einmal annähernd mit einem komfortablen Wahlergebnis bedacht wurden, trotz der massiven Stimmenverluste für die CDU.

Die SPD konnte zwar im Verhältnis zur Landtagswahl 2008 leicht zulegen. Das war aber keine Kunst, da sie damals das schlechteste Ergebnis aller Zeiten einfuhr – und am Sonntag ihr zweit schlechtestes. Eine Aufbruchstimmung hinsichtlich eines Politikwechsels auf Bundesebene lässt sich daraus nur mit viel Fantasie ableiten.

Die Niedersachsen-SPD litt auch unter fehlendem Rückenwind aus Berlin, wo ihr Spitzenkandidat Peer Steinbrück seit Wochen wegen seiner Nebenverdienste und Äußerungen zum Kanzlergehalt in der Kritik steht und in den Umfragen abgestürzt ist. Vor einem Jahr rangierte er in der Beliebtheitsskala noch vor Bundeskanzlerin Merkel, nun ist er deutlich abgeschlagen „Es ist mir auch bewusst, dass ich maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung trage“, räumte Steinbrück seine nicht gerade hilfreiche Rolle bei der Niedersachsen-Wahl ein. Gleichwohl stärkte Parteichef Sigmar Gabriel ihm den Rücken: „Was wären wir für ein jämmerlicher Haufen, wenn wir gleich den Kandidaten auswechseln würden, wenn der Wind mal von vorne kommt.“

Die Grünen sind als drittstärkste Kraft der große Wahlsieger. Sie konnten um knapp 6 Prozent und damit von allen am stärksten zulegen. Erstmals konnten sie in Niedersachsen ein zweistelliges Ergebnis einfahren. In den letzten beiden Jahrzehnten lagen sie im Flächenland relativ konstant bei 6-8 Prozent. Worin die besondere Attraktivität der Partei besteht, lässt sich kaum ergründen. Über inhaltliche Alleinstellungsmerkmale verfügt sie im Grunde nicht. Die im Wahlkampf thematisierten Forderungen nach Abschaffung der Studiengebühren und der Massentierhaltung, einem Erkundungsstopp für Gorleben und der Einführung eines Mindestlohnes wurden sämtlich auch von der SPD vertreten.

Offenbar hat die siebenjährige grüne Beteiligung an der Bundesregierung unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder der Partei keinen nachhaltigen Glaubwürdigkeitsverlust beschert. Kaum in die Regierungsverantwortung gehoben, arbeitete die Ökopartei eifrig daran, mangelnde Prinzipientreue unter Beweis zu stellen. Während ihrer Regierungsbeteiligung wurden die einstigen inhaltlichen Eckpfeiler der Partei – konsequenter Umweltschutz, Anti-Militarismus und soziale Gerechtigkeit – mit der Abrissbirne bearbeitet. Sie schickte deutsche Soldaten in Kriegseinsätze und setzte mit Hartz IV eine vom neoliberalen Zeitgeist durchdrungene, unsoziale Reform durch. Auch in Sachen Umweltschutz gab es nicht viel mehr außer einem diffusen „Einstieg in den Ausstieg“ und eine chaotische Dosenpfand-Einführung.

Protestparteien gescheitert

Der Rückenwind, der noch vor einem Jahr den Piraten nicht nur ein Hoch in den Umfragewerten bescherte, sondern auch zu einem fulminanten Einzug in den Berliner Senat führte, ist verflogen. Den Nimbus einer Protestpartei haben die Freibeuter leichtfertig verspielt. Auf Vorwurfskampagnen und Empörungsrituale der etablierten Parteien reagierten die Piraten stets devot und in vorauseilendem Gehorsam. So verhedderte sich die junge Partei in einer Grundsatzdebatte aller möglichen Themen. Weniger aus einem eigenen Bedürfnis heraus, als vielmehr in dem Bestreben, es ihren Gegnern recht zu machen, die ihnen vorwarfen, die Piraten würden über kein umfassendes Programm verfügen.

Der Prozess der Anbiederung an den herrschenden Diskurs und die ihn begleitenden Sprachregelungen, wie er mit der Wahl des für das Bundesverteidigungsministerium arbeitenden Bernd Schlömer zum Parteivorsitzenden seine Verkörperung fand, hat den Piraten das Protestwählerpotential abspenstig gemacht. Darüber hinaus haben sie es nicht geschafft, ihre Kernwählerschaft auszubauen.

Diese macht ihr Kreuz bei den Piraten vornehmlich wegen der Themen, für die die Partei als kompetent erachtet wird. Wirtschafts- und Außenpolitik gehören nicht dazu. Die Piraten vermochten es nicht, sich auf ihren Kerngebieten zu profilieren und sich in der Debatte um digitale Bürgerrechte als deutlich von den etablierten Parteien zu unterscheidender Pol zu manifestieren. Die Piraten streben nicht (mehr) nach Polarisierung im Bestehenden, sondern nach Verständigung mit dem Bestehenden. Mit einer solchen Haltung ist ihr Einzug in den Bundestag nicht nur unwahrscheinlich, im Grunde ist er überflüssig.

Auch Die Linke vermochte nicht, eine klare Antwort auf die Frage zu geben, wozu sie im Landtag eigentlich gebraucht wird. Auf Wahlkampfveranstaltungen wurde betont, dass ein Machtwechsel, konkret die Ablösung von Schwarz-Gelb durch Rot-Grün, nicht ohne ihren Einzug zu machen sei. Das Wahlergebnis belehrte alle eines Besseren.

Die Linke ist der größte Wahlverlierer. Nicht nach absoluten Stimmen gemessen, aber relativ: Sie hat über die Hälfte der Wählerstimmen verloren.

Die Genossen konnten nicht auf Rückenwind durch die Bundespartei setzen. Zwar werden die internen Querelen seit dem letzten Parteitag im Mai 2012 nicht mehr in derselben Form öffentlich ausgetragen. Doch abgesehen davon hat es die seitdem fungierende Doppelspitze Bernd Riexinger und Katja Kipping nicht vermocht, die vom internen Streit bestimmten Schlagzeilen durch solche zu ersetzen, die von einer inhaltlichen Konfrontation mit den anderen Parteien bestimmt sind. Das liegt auch an der Verfasstheit der Massenmedien, aber nicht alleine. Mit Kipping steht eine prononcierte Vertreterin einer Annäherung an Rot-Grün an der Parteispitze, von der ein konfrontativer Kurs, der der Partei wieder Erfolge bescheren würde, nicht zu erwarten ist.

Auch Manfred Sohn, einer der beiden Spitzenkandidaten der Partei in Niedersachsen, steht für eine Annäherung an die Hartz-IV-Parteien. Er wollte eine mögliche Regierungsbeteiligung der Linken in Niedersachsen vor der Wahl nicht ausschließen – obwohl SPD und Grüne einem solchen Modell eine klare Absage erteilt hatten.

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Dass von einer möglichen Regierungsbeteiligung „auch eine große Signalwirkung für die Bundestagswahl ausgehen werde, sei natürlich allen Beteiligten bewusst“, räumte Sohn ein. (1) Der Misserfolg in Niedersachsen lässt sich somit auch als ein deutliches Signal an die Parteispitze interpretieren, den Annäherungskurs an Rot-Grün aufzugeben.


Anmerkungen

(1) http://www.presse-club-hannover.de/story/pch-vor-der-wahl-manfred-sohn-die-linke

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