Den "inneren Feind" im Visier
Die Heimatschutzdivision der Bundeswehr im Konfliktfall nach außen und im Innern
Foto: boo_ist_online; Quelle: pixabay; LizenzWir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein. 1 So heißt es von regierungsoffizieller Seite. Gemeint sind Deutschland und die Bundeswehr. Bei Letzterer richtet sich der Blick primär auf die schlagkräftigsten Truppen, die NATO-integrierten Verbände der Land-, Luft- und Seestreitkräfte. Keinesfalls übersehen werden sollte allerdings, dass Kriegstüchtigkeit deutlich über sie hinausgeht. Mit Konsequenzen, die äußerstenfalls die Bevölkerung unseres Landes unmittelbar (be-)treffen könnten. Zur Aufhellung eines weitgehend unbekannten, aber außerordentlich wichtigen Teils des deutschen Militärpotenzials muss weiter ausgeholt werden.
Die Aufstellung der Heimatschutzdivision
Zum 1. April 2025 wurde die Heimatschutzdivision der Bundeswehr in Dienst gestellt. Ihre Sollstärke beträgt 6.000 Mann. Damit entstand in der Geschichte des deutschen Heeres ein völlig neuer Truppenkörper. Die Heimatschutzdivision ist dem Kommando Heer und dieses wiederum direkt dem Bundesverteidigungsministerium (BMVg) unterstellt. Das Kommando Heer ist zugleich der Stab des Heeresinspekteurs. Dieses Führungsorgan ist zuständig für die Planung, Organisation, Koordinierung und Kontrolle von militärischen Einsätzen. Das Kommando Heer führt vor allem die drei Divisionen des NATO-unterstellten Feldheeres und die deutschen Anteile für die multinationalen Großverbände wie zum Beispiel das Eurokorps in Straßburg. Alle bestimmt für den Fronteinsatz. Nun ist es also auch für die Heimatschutzdivision zuständig.
Eine wesentliche Aufgabe der Truppenteile und Einheiten der Heimatschutzdivision ist in den Darstellungen entweder nur versteckt oder gar nicht zu finden: der Einsatz im Innern bei angespannten oder gewaltsamen Auseinandersetzungen größeren Maßstabs, darunter auch gegen Teile der eigenen Bevölkerung. Grundlage dafür ist vor allem Artikel 87a Absatz 4 Grundgesetz. Diese Aufgabe ist nicht neu, könnte aber bei sich zuspitzenden Konflikten (z.B. beim Abbau des Sozialstaates im Gefolge der ansonsten nicht bezahlbaren Hochrüstung) im Lande höchste Aktualität gewinnen. Um den Gesamtkomplex vollständig zu erfassen, muss auf streitkräfteorganisatorische Aspekte eingegangen werden.
Organisatorisch wird die Militärmacht fast jeden Staates nicht nur in Land-, Luft-, See- und zunehmend auch kosmische Streitkräfte unterschieden, sondern auch in militärische Kontingente quer dazu. In den Ersteren ist die Masse aller Teilstreitkräfte, gerichtet gegen den äußeren Gegner, vereinigt. Das trifft auch für die Bundeswehr zu. Für den Einsatz sind sie NATO-Befehlshabern unterstellt (NATO-„assigniert“). Die anderen Formationen – im Umfang wesentlich kleiner – sollen in den rückwärtigen Räumen der fronteingesetzten Verbände handeln. Oder – im Frieden – im eigenen Lande.
Für Letztere ist der Begriff „Territorialstreitkräfte“ verbreitet. Diese sind nicht NATO-assigniert, sondern auch in Deutschland nationalen Befehlshabern/Kommandeuren unterstellt. Ihr Führungs- und anderes besonderes Personal besteht aus aktiven Soldaten, alle übrigen, der größte Teil, sind Reservisten, die kontinuierlich in Übungen trainiert werden.
Der Auftrag der Heimatschutzdivision
Die Heimatschutzdivision der Bundeswehr umfasst den Schutz Deutschlands, die Unterstützung ziviler Behörden und die Sicherung kritischer Infrastruktur. Zu den Aufgaben der Heimschutzkräfte gehören: Schutz der territorialen Integrität Deutschlands durch Sicherung von Verkehrswegen, Schlüsselstandorten und kritischer Infrastruktur Unterstützung ziviler Behörden gemäß Artikel 35 des Grundgesetzes bei Naturkatastrophen oder anderen Notlagen Host Nation Support für verbündete Streitkräfte, die sich in Deutschland auf- halten oder durch Deutschland verlegen Aufmarschunterstützung für NATO- Kräfte in einem Krisenfall Erhalt der inneren Sicherheit durch verstärkte Kooperation mit Polizei und Katastrophenschutz im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten. 2
So das BMVg. Um dieses Aufgabenbündel – der innere Einsatz verbirgt sich im letzten Punkt – richtig zu verstehen, hilft ein Blick bis in das Ende der 1950er Jahre. Wohl ist die Heimatschutzdivision ein gänzlich neuer Verband der Bundeswehr. Aber ihre Aufgaben sind es keineswegs: Es sind grundsätzlich jene Aufgaben, die früher dem Territorialheer übertragen waren. 3
In der Vorbereitungsphase der Bundeswehr konzipiert, wurden die westdeutschen territorialen Streitkräfte ab 1957 aufgebaut, wobei die von der Gründung der Bundeswehr ab 1955 formierten Verbände zum Fronteinsatz immer Vorrang besaßen. Über verschiedene Organisationsformen entstanden bis Ende der 1980er Jahre zwölf Heimatschutzbrigaden unterschiedlichen Präsenzgrades und zahlreiche andere Truppenkörper mit einer Gesamtfriedens- stärke von ca. 100.000 bis 123.000 Mann. 465.000 bis 558.000 sollten es im Kriegs- fall sein, bei einer mobilgemachten Bundes- wehr von circa 1,34 Millionen Soldaten.
Aufgabe des Territorialheeres war die Gewährleistung der Operationsfreiheit für die in der BRD stationierten NATO- Streitkräfte. Und äußerstenfalls der Einsatz im Innern. Das ist im Wesentlichen bis heute so geblieben, künftig wahrgenommen durch die Heimatschutzdivision. Mit einem bedeutenden Unterschied, auf den noch eingegangen wird.
Gewährleistung der Operationsfreiheit hieß, dass die NATO-Streitkräfte an der Front so frei und unterstützt wie möglich sollten handeln können, weil das Territorialheer in ihren rückwärtigen Räumen dafür alles Notwendige sicherstellen würde. Die Gewährleistung der Operationsfreiheit umfasste vor allem: 4
→ Schutz, Sicherung und Überwachung der rückwärtigen Räume und Objekte der NATO-Streitkräfte;
→ Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsgewalt (gegen ein potenziell breites Spektrum von gegnerischen Kräften im Innern) im Zusammenspiel mit dem Bundesgrenzschutz (BGS), heute Bundespolizei, den Polizeien der Länder, besonders den Bereitschaftspolizeien, und den Strukturelementen der Zivilverteidigung im System der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ);
→ Eindämmung/Kanalisierung von Flucht- bzw. Bevölkerungsbewegungen;
→ Erschließung materieller und personeller Reserven für die Kriegführung;
→ rückwärtige Sicherstellung der Versorgung mit allen Nachschubgütern sowie des medizinischen Dienstes für Kriegsgeschädigte;
→ Psychologische Kriegsführung, auch in Bezug auf die eigene Bevölkerung.
Die Gewährleistung der Operationsfreiheit griff (und greift heute wieder) also unmittelbar vor und während eines Krieges. Doch bereits in Friedenszeiten gibt es Hilfe für die Feldstreitkräfte, in Sonderheit für ausländische NATO-Truppen. Dieses System heißt „Unterstützung durch das Gastland“. Gemeint ist damit die Unterstützung der „Drehscheibe Deutschland“ für verbündete Streitkräfte bei deren Aufmarsch an die künftige Front. 5
Unter Umverteilen und Zurückfahren von Aufgaben des Territorialheeres bei wiederholt wechselnden Unterstellungsverhältnissen wurde dieses de facto Schritt für Schritt aufgelöst; der Begriff „Territorialheer“ tauchte in den maßgebenden „Weißbüchern“ der Bundesregierung letztmalig in der Ausgabe 1985 auf. 6
Die Relativierung des Teilauftrags der Bundeswehr auf dem eigenen Staatsgebiet erwuchs aus der grundsätzlich veränderten Militärstrategie der NATO: Der mächtige Hauptgegner aus dem Kalten Krieg, die UdSSR, war als Staat 1991 sogar untergegangen. Russland, der Rechtsnachfolger, lag wirtschaftlich, militärisch, poli- tisch und moralisch am Boden. Es war von einer Groß- und Weltmacht zu einer „Regionalmacht“ 7 herabgesunken. Mit einem Wiederaufstieg innerhalb weniger Jahrzehnte rechneten die USA und der gesamte Westen nicht.
Das Ergebnis: Der Westen setzte sich mit seinem militärischen Hauptinstrument, dem Nordatlantikblock, andere Ziele. Nun- mehr weit hinaus über das NATO-Gebiet nach Artikel 6 des Nordatlantikvertrages von 1949, der es auf die nordatlantische Region und die Territorien der Bündnismitglieder begrenzt.
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DR. LOTHAR SCHRÖTER (Jg. 1952) studierte Geschichte und Russische Sprache sowie Militärgeschichte und arbeitete bis 1990 am Militärgeschichtlichen Institut in Potsdam und war Major der NVA. Er war danach in der beruflichen Aus- und Weiterbildung tätig. Zahlreiche Publikationen, darunter „Militärgeschichte der BRD“ (1989), „Die NATO im Kalten Krieg“ (2009), „USA – Supermacht oder Koloss auf tönernen Füßen?“ (2009), „Künftige Supermacht in Asien? Militärpolitik und Streitkräfte der Volksrepublik China“ (2011) und „Der Ukrainekrieg – Die Wurzeln, die Akteure und die Rolle der NATO“ (2024)
1 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 171. Sitzung, 5. Juni 2024, S. 22037
2 Bundeswehr, Heimatschutzdivision, https://www.bundeswehr.de/de/
organisation/heer/organisation/heimatschutzdivision#:~:text=Die%20 Heimatschutzdivision%20wird%20zum%201,Einsatzkoordination%20und%20 eine%20schnellere%20Reaktionsfähigkeit
3 Zwei DDR-Autoren haben sich in ihren Promotionsschriften umfänglich damit beschäftigt. Siehe Albrecht Charisius, Theorie und Praxis der militärischen Territorialorganisation der Bundeswehr (bis 1963), Leipzig 1968; Lothar Schröter, Theorie und Praxis der Territorialorganisation der Bundeswehr und ihre Rolle
im Aggressions-und inneren Niederhaltungsmechanismus der BRD (1962/63 bis 1973/74), Potsdam 1981. Einen Überblick bietet das Wörterbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. II, Berlin 1985, S. 965–968
4 Siehe Lothar Schröter, Die Kampftruppen des Territorialheeres in der Heeresstruktur 2000 der Bundeswehr, Fachabschlussarbeit an der Militärakademie »Friedrich Engels« der Nationalen Volksarmee, Dresden 1989, S. 25 f.; Siehe Wolfgang Weber/Emil Handke/Günter Werner/Hansdieter Mattes, Die Streitkräfte der NATO auf dem Territorium der BRD, 2. akt. Aufl., Berlin 1986, S. 453–461
5 Siehe »Host Nation Support: Drehscheibe Deutschland«, https://www.bundeswehr.de/de/organisation/operatives-fuehrungskommando- der-bundeswehr/auftrag-und-aufgaben/host-nation-support
6 Siehe Weißbuch 1985. Zur Lage und Entwicklung der Bundeswehr, Bonn 1985, S. 80, 114, 173, 188, 190, 192–196
7 Siehe Obama verspottet Russland als Regionalmacht, https://www.youtube.com/ watch?v=TgrECWPbOak