Innenpolitik

Eine fast geheime Armee

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Der Aufbau einer Truppe gegen den „inneren Feind“ ist weit fortgeschritten –

Von ULRICH SANDER, 26. Oktober 2009 –

Deutschland verfügt über eine neue unbekannte Heimatarmee. 441 Kommandos aus jeweils zwölf ständig einsetzbaren Reservisten sind in sämtlichen kreisfreien Städten, Landkreisen und Regierungsbezirken eingerichtet worden. Sie stehen unter dem Kommando der Bundeswehrführung und haben kurzfristig Zugriff auf weitere rund 80.000 bis 100.000 speziell ausgebildete Reservisten. Eingebunden in die zivilen Katastrophenschutzstäbe, erhalten sie Einsicht in die Bereitschaftsstände von zivilen Behörden, Polizei, technischem Hilfswerk und Feuerwehr. Sie sollen vor allem den Katastrophenschutz verbessern. (1)

Doch was ist außerdem ihre Aufgabe? Und wie kam es zu dieser zusätzlichen Armee mit einer Truppenstärke von ca. 5300 Männern und Frauen – plus X?

Am 17. Februar 2005 wurde des Nachts vom Bundestag das Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes beschlossen. Ohne mündliche Aussprache – und fast ohne Berichterstattung der Medien. Der Kern des Gesetzes ist die Anhebung des Alters auf 60 Jahre, bis zu dem Zeitsoldaten als Reservisten zu Einsätzen mobilisiert werden können, die sich dazu bereit erklärten. Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau – man sagt hier Transformation – der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen werden. Mit § 6c des Gesetzes wird der Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschland geregelt. Er weist Reservistinnen und Reservisten entsprechende Aufgaben zu. (2)

„In der Fläche der Republik neu aufgestellt“

Über zwei Jahre später meldet die Bundeswehrzeitschrift Y: „Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der Fläche der Republik neu auf.“ Sie zitiert Minister Franz Josef Jung: „Die flächendeckende Einführung der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Inland stellt sicher, dass die Bundeswehr in unsrer Heimat jederzeit und an jedem Ort unseres Landes Hilfe und Unterstützung leisten kann.“ (3) Jung sagte weiter: „Reservistinnen und Reservisten bleiben integraler Bestandteil der Bundeswehr.“ Sie seien, so im Kommentar von Y weiter, vor allem auch als Mittler zur Gesellschaft gefordert. „Die gemeinsame Anstrengung gegen das ‚freundliche Desinteresse’ der Gesellschaft ist eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe für die Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr“, erklärt Generalleutnant Johann-Georg Dora, Stellvertreter des Generalinspekteurs, zuständig für Reservistenangelegenheiten, so auch die werbende Tätigkeit der neuen Armee erläuternd.

Bereits im Weißbuch 2006 der Bundeswehr wird die vielfältige und große Bedeutung der Reservistinnen und Reservisten hervorgehoben: „Sie leisten vor allem bei den besonderen Auslandsverwendungen auf freiwilliger Basis einen unverzichtbaren Dienst. Sie haben durch ihren Einsatz maßgeblich Anteil daran, dass die Bundeswehr weithin hohes Ansehen genießt und sich auf eine breite Unterstützung durch die Gesellschaft verlassen kann. (…) Die Bundeswehr kann ihre Reservistinnen und Reservisten ohne Rückgriff auf Mobilisierungsmaßnahmen im gesamten Aufgabenspektrum nutzen. Der personelle Ergänzungsumfang der Streitkräfte beläuft sich auf 80.000 – 100.000 Reservistinnen und Reservisten.“ (4) Schätzungsweise 800.000 Reservistinnen und Reservisten stehen bereit, sobald der Ergänzungsumfang der Bundeswehr vergrößert ist.

Die Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) gliedert sich in ZMZ Inneres und ZMZ Äußeres. Den äußeren wie inneren Bereich von ZMZ berührt die Abwehr der Flüchtlinge. Vieldeutig heißt es im Weißbuch 2006 der Bundeswehr: „Die innenpolitischen Folgen unkontrollierter Migration als Folge von Flüchtlingsbewegungen sind ein wachsendes Problem der europäischen Gesellschaften, deren Integrationsfähigkeit durch Ströme von Bürgerkriegsflüchtlingen, Umweltflüchtlingen, Armuts- und Wirtschaftsmigranten überfordert werden kann“. (5)

Von verschiedenen Hilfsorganisationen wurde bereits Kritik an dem Konzept der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit geäußert, insbesondere in Bezug auf Auslandseinsätze. (6) Die Zusammenfassung dieser Kritik besteht in folgendem: Den Verfechtern dieses Konzepts wird vorgeworfen, der Zusammenarbeit durch die zivile Komponente eine humanitäre Note geben zu wollen und damit den Krieg zu verharmlosen. Einer der Hauptkritikpunkte an ZMZ Äußeres besteht darin, dass sich das Risiko für die zivilen Kräfte erhöht, Ziel von gewalttätigen Aktionen zu werden, da sie vor allem für die Bevölkerung vor Ort oft nur schwer von den militärischen Akteuren zu unterscheiden sind und somit als potentielle Feinde wahrgenommen werden. Außerdem wird durch die Zusammenarbeit von zivilen mit militärischen Akteuren die Neutralität der zivilen Helfer und Helferinnen in Frage gestellt, sodass diese möglicherweise in den Konflikt mit einbezogen werden. Oft besteht die Aufgabe ziviler Organisationen unter anderem darin, als Vermittler zwischen den Konfliktparteien zu agieren, wofür eine neutrale Haltung natürlich unverzichtbar ist. Zudem besteht die Gefahr, dass zivile Akteure in ihrer Forderung nach Gewaltfreiheit nicht mehr ernst genommen werden, wenn sie sich selber auf den Schutz des Militärs verlassen und mit ihm kooperieren. Des weiteren haben zivile nichtstaatliche Akteure eine Verantwortung gegenüber ihren Mitgliedern und Spendern sowie ihren meist humanitären Zielen. Vor allem bei einem unrechtmäßigen Handeln des Militärs müssen sie sich daher deutlich von diesem distanzieren.

Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich aus der Finanzierung von ZMZ–Einsätzen: Diese werden teilweise vom Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, nationalen und internationalen Organisationen sowie Privatpersonen finanziert. Somit fließt diesen Einsätzen und damit auch dem Militär Geld zu, das ansonsten für zivile Organisationen oder für den Einsatz von zivilen Friedensfachkräften verwendet werden könnte.

Es begann beim G8-Gipfel 2007

In diesem Beitrag soll der bisher unterentwickelten Kritik an der ZMZ Inneres Raum gegeben werden. In größerem Umfang wurde sie bekannt beim Einsatz bei sogenannten Großereignissen wie dem G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm und dem Nato-Gipfel im Frühjahr 2009 in Kehl und Straßburg. In einer Antwort der Bundesregierung an den Bundestag schließt das Bundesverteidigungsministerium nicht aus, dass die ZMZ-Kommandos bei Demonstrationen zum Einsatz kommen. Dies obliege allein den Landesbehörden. Selbst der Militäreinsatz anlässlich von Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen sowie bei der Müllabfuhr wird nicht ausgeschlossen – eine Entscheidung darüber sei „dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten“. (7)

Die Bundestagsabgeordnete der Partei „DieLinke“ Ulla Jelpke dazu: „Die Bundesregierung hält sich damit alle Optionen für den Militäreinsatz im Inneren offen. Die ZMZ-Kommandos wirken gleichsam als militärische Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen einsickern. Das Konzept der ZMZ läuft damit letzten Endes auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus.“

Die Bundeswehr kommt uns somit durch die Hintertür und auf leisen Sohlen zum Einsatz im Innern. Ein Heimatschutz nach amerikanischem Vorbild wird aufgebaut und den zivilen Behörden in Stadt und Land „zur Seite gestellt“. Im Artikel 35 des Grundgesetzes ist für den Einsatz der Bundeswehr im Innern nur vorgesehen: „Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“. (8) Von Hilfe bei Polizeiaufgaben und „Großereignissen“ ist da nicht die Rede. Dennoch wird mit dem schwammigen Begriff „Terroranschläge“ gearbeitet, der die Reservisten zu Hause zur Waffe greifen lassen soll.(9)

Der Gegner ist der „Terrorist“

Die aktuellen Verteidigungspolitischen Richtlinien besagen: „Zum Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger leistet die Bundeswehr künftig einen bedeutenden, zahlreiche neue Teilaufgaben umfassenden und damit deutlich veränderten Beitrag im Rahmen einer nationalen Sicherheitskonzeption. (…) Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann. Grundwehrdienstleistende und Reservisten kommen dabei in ihrer klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes und ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger, zum Einsatz.“ (10)

Auf einer Tagung von Bankern, Industriellen und Offizieren zur Förderung der gemeinsamen Interessen, genannt Celler Trialog, fasste Minister Jung diesen umständlichen Satz so zusammen: Es müsse „möglich sein, Kräfte und Mittel der Bundeswehr dann zum Schutz der deutschen Bevölkerung einzusetzen, wenn die Mittel der Polizei ausgeschöpft“ seien. (11) Die Voraussetzungen dafür seien durch die Zivil-MilitärischeZusammenarbeit (ZMZ) geschaffen. Sie wird durch Reservisten unter Führung von 5.300 de facto hauptamtlichen Dienstposten (12) erledigt.

Die Bundeswehr hat im Laufe ihres Bestehens nahezu 9 Millionen Reservisten in die Gesellschaft entlassen. Diese konnten bisher aber nur im Spannungs- und Verteidigungsfall einberufen werden oder auf mehr oder weniger freiwilliger Basis zu Reserveübungen geholt werden. Nunmehr bekommen die Reservisten eine aktive Aufgabe, um jederzeit in den Einsatz gehen zu können, auch im Inland.

Aus Rostock meldete bereits 2007 Vizeadmiral Wolfram Kühn, stellvertretender Generalinspekteur: „Die Bundeswehr hat einen weiteren Schritt zur Verbesserung des Schutzes Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger geleistet. Kompetente Ansprechpartner aus der Streitkräftebasis stehen zur Abwehr von Gefahrenlagen und Katastrophen und für Hilfe- und Unterstützungsleistungen zur Verfügung.“ (13) Rostock liegt in der Nähe von Heiligendamm, wo im Juni 2007 dann viele tausend Protestierende zum Gipfel erschienen. Und das war dann die bekannte „Gefahrenlage“.

Kühn bestätigte es: Bei der Bekämpfung der Vogelgrippe an der Küste Mecklenburgs habe ZMZ eine erste Bewährungsprobe bestanden. Hochwassereinsätze der Bundeswehr an Oder und Elbe hätten vorher schon wichtige Erkenntnisse erbracht. Wörtlich: „Ein weiteres Thema der Unterredung mit dem Inspekteur war die Unterstützungsleistung der Bundeswehr während des G-8 Gipfels in Heiligendamm.“ (14) Die Bundeswehr habe für die ZMZ wichtiges Material wie Pioniergerät und Sanitätsmaterial an einzelnen Standorten konzentriert. Der Vizeadmiral: „Durch enge Anbindung an die zivilen Einsatzkräfte und militärisches Know-how sind Unterstützungsleistungen schnell und zielorientiert koordinierbar.“ (15)

Die Truppe wird per „Amtshilfe“ angefordert

Die Koordinierung erfolgt auf mittlerer und unterer Ebene. Behörden der Bundesländer dürfen eigenständig Militär anfordern, und zwar per Amtshilfe nach Artikel 35 des Grundgesetzes. Dies geschah in Heiligendamm mittels „juristisch korrekter Amtshilfe“ (Franz Josef Jung lt. Spiegel online). Sogar zwei Tornados durften die Landesbehörden von Mecklenburg-Vorpommern zur „Einschüchterung der Protestler durch Tiefflüge“ (so Sprecher der SPD) anfordern, ohne dass die Bundesregierung zustimmen musste. (16)

Organisatorisch liegt die Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden in den Händen erfahrener Reserveoffiziere. Zwischen 30 und 50 Tage im Jahr umfasst deren Tätigkeit im Zusammenhang mit ZMZ. Als wesentlicher Vorteil der Reservisten wird die meist langjährige Stehzeit am Ort angesehen, der oft zugleich Heimatort ist. Damit sind Ortskenntnis und das Wissen um die Strukturen einer Region verbunden. Gepaart mit militärischer Ausbildung entsteht so „ein wertvolles Bindeglied zwischen ziviler Verwaltung und Bundeswehr“, so die Bundeswehr-Webseite und so steht es in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Bundestagsanfrage. Der militärische Charakter von ZMZ wird auch durch die Ausbildungsplätze für die Reservisten erkennbar. Der Reservist soll „durch Schulungen, insbesondere an der ‚Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr’“ die „erforderliche Kenntnis erlangen.“ (17)

Der Einsatz von Reservisten findet oft seine Grenze im Verständnis der Arbeitgeber für den Mitarbeiter, der einrücken möchte, es sich aber nicht erlauben kann, vom Arbeitsplatz fern zu bleiben. Auch um Verständnis für diese Nöte der Truppe zu wecken, findet seit 2007 im niedersächsischen Celle einmal im Jahr unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Celler Trialog statt. Im ersten Jahr 2007 wurden über 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer geladen, 2008 waren es bereits rund 120 einflussreiche Gäste aus Wirtschaft, Politik und Bundeswehr. Dieses „Diskussionsforum für Außen- und Sicherheitspolitik“ wird bereits als „nationales Pendant zur Sicherheitskonferenz“ (SiKo) in München gehandelt. Initiiert wurde das Treffen vom Aufsichtsratsvorsitzenden der Commerzbank, Klaus-Peter Müller und dem Bundesministerium der Verteidigung. Innenminister Wolfgang Schäuble und der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff sowie hochrangige Militärs und Wirtschaftsmanager diskutierten 2009 zum wiederholten Male darüber, wie die Bundeswehr künftig besser unterstützt werden soll und wie die Akzeptanz der Bevölkerung für Einsätze im Ausland wie im Inland gesteigert werden kann. Die Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) soll ebenso gefördert werden wie die weitere Verzahnung von Bundeswehr und deutschen Unternehmen. (18)

Der Abbau der Freiheitsrechte – auch der Mittels Einsatz der Bundeswehr im Innern – wird allgemein mit dem Krieg gegen den Terror begründet, der von außen in unser Land getragen werde. Ausdrücklich heißt es in Bundeswehrpublikationen, die Bundeswehreinsätze im Innern dienten nicht nur der Bekämpfung von Naturkatastrophen und der Hilfe bei Unglücksfällen, sondern auch dem Kampf gegen den Terrorismus, worunter das Vorgehen gegen die außerparlamentarische Opposition, zu verstehen ist. (19) Laut Information für die Truppe heißt der Kampfauftrag: Gegen „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“. Ein Foto in der Europäischen Sicherheit zeigt „Soldaten des JgBtl 292 bei der Ausbildung gegen Demonstranten“ – die Demonstranten haben Arbeitskleidung an. Das JgBtl ist eine Elitetruppe, wie alle Jagdbataillone, so auch die Fallschirmjäger und Gebirgsjäger. Sie sind speziell im Häuserkampf und anderen „Nahkämpfen Mann gegen Mann“ ausgebildet. Derartige Fertigkeiten werden auch den Feldjägern (Militärpolizei) antrainiert. (20)

ZMZ und das dazu gehörige Reservistenkonzept begünstigen die Herausbildung militärischer Kommandostrukturen im zivilen Bereich und neuer extrem rechter Formationen – zusätzlich zum Wirken alter und neuer Rechtsextremer in der Bundeswehr. Es waren die Feuerwehrleute – nicht etwa die Gewerkschaften –, die warnten: „Bei der Einbindung der Bundeswehr in die Gefahrenabwehrstruktur des Hauptverantwortlichen Beamten (HVB) (21) ist zu beachten, dass die Bundeswehr zwar wertvolle Katastrophenhilfe leisten kann, jedoch keinesfalls Führungsfunktionen im Katastrophenschutz übernehmen darf.“ (22) Noch deutlicher geht es gegen die Reservistenverbände: „Bei der Einbindung der Bundeswehr in die Gefahrenabwehrstrukturen des jeweiligen HBV ist präzise zwischen der Funktion des Beauftragten der Bundeswehr für die zivil-militärische Zusammenarbeit (BeaBwZMZ), welche durch einen Reservisten der Bundeswehr wahrgenommen wird, einerseits und den Reservistenverbänden andererseits zu unterscheiden. Eine Einbindung der Reservistenverbände (sie fungieren als eingetragene Vereine, Anm. Red.) in die Gefahrenabwehr kann nicht in Betracht kommen.“

Rechtsextreme im Reservistenkader

Dazu muss man wissen, dass die Reservistenverbände wie auch der Bundeswehrverband und die Traditionsvereinigungen der Wehrmacht und Bundeswehr Tummelplätze für Rechtsextreme sind. Sie haben keine Satzungsbestimmungen, die es ihnen ermöglichen, Nazis, Neonazis und andere Rechtsextreme auszuschließen – und sie wünschen solche Bestimmungen wohl auch nicht. Wozu die Braunen im Jahr 1995 aufriefen, war dies und es blieb gültig: „Junge Kameraden und Kameradinnen, die vor der Berufswahl stehen, unbelastet, intelligent und sportlich sind,“ sollten sich unauffällig zu „einer Ausbildung bei Bundeswehr und Polizei“ melden, „mit dem Ziel, sich in besonders qualifizierten Spezialeinheiten das nötige Wissen und Können anzueignen“. Der Aufruf schließt mit den Worten: „Widerstand, der auf die Beseitigung eines volksfeindlichen Systems zielt, muss professionell geplant sein.“ (23)

Und so durchlaufen diese Leute die Bundeswehr und geraten als äußerst rechte Kader in die Reservistenbewegung. Dass es diese Ausrichtung im Reservistenverband gibt, wird von der Bundesregierung nicht bestritten. Sie habe lediglich „keine Erkenntnisse“ dazu vorliegen. (24)

Pläne der CDU/CSU

Die Unionsparteien halten – angeregt durch ihr zuarbeitende Offiziere – an den Planungen für ein neues integriertes Militärkonzept Gesamtkonzept Sicherheit fest, das eine Superbehörde Nationaler Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt vorsieht. Ein Beschluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom März 2004 sieht „eine starke Heimatschutzkomponente“ aus 25.000 Soldaten vor, als Teil der „Vorsorge gegen asymmetrische und terroristische Bedrohungen“. Die CDU/CSU will dafür bis zu 50 Regionalbasen mit jeweils bis zu 500 Soldaten schaffen, die jeweils mit Reservisten auf bis zu 5.000 Soldaten „aufwachsen“ können. (25) Wohin die Reise geht, wird wie folgt beschrieben: „Es gibt einen großen Schnittmengenbereich zwischen militärischer Verteidigung, zivilem Katastrophenschutz, polizeilicher Gefahrenabwehr und – in einer linearen Eskalation – dem inneren Staatsnotstand.“ (26)

Jeder soll ein „Reservist“ werden

Was sich die hohen Militärs wünschen, das diskutieren sie in ihren Zirkeln, so in der Führungsakademie und in der Clausewitzgesellschaft. Und in den Medien der Bundeswehr wird dann schon mal ein Versuchsballon losgelassen. Von großem Wert sind dafür solche Think Tanks wie das ZAS, das Zentrum für Analysen und Studien der Bundeswehr, das in Zentrum für Transformation umbenannt wurde. Es formuliert die Verteidigungspolitischen Richtlinien von morgen und übermorgen. Oberst Ralph Thiele, Chef des Zentrums, darf dann in den Informationen für die Truppe schon mal ankündigen: „Neue Einsätze sind geprägt von Interventionen mit offensivem Charakter und einer verstärkten Internationalisierung.“ Er macht Feinde in aller Welt aus – und reiht bei den Terroristen und der internationalen Kriminalität auch gleich „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“ ein. (27) Der Übergang vom Frieden zum Krieg sei fließend: „Der eigentlichen Konfliktaustragung folgen lange Phasen der Konfliktnachsorge bzw. Konsolidierung.“ „Unterhöhlt“ werden die „klassischen Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie Krieg und Frieden“, schreibt der Oberst weiter, der die Bundeswehr auch im Innern zum Schutz „kritischer Infrastruktur“ einsetzen will. Den Streitkräften müsse es gelingen, „sich wirksam in einen ressortübergreifenden Verbund von relevanten Sicherheitsinstrumenten einzubringen.“ Polizei, Geheimdienste, Militär – alle hören auf ein Kommando? Den Wehrpflichtigen möchte der Oberst unbedingt entsprechend seiner Qualifikation – „unabhängig von seinem Alter“ – einsetzen, neue „Miliz- und Reservistenkonzeptionen“ sollen gefunden werden. Der Professor leistet seinen Wehrdienst, bis die neue Chemiewaffe fertig ist? Jedenfalls: „Der Kampf um gebildete Menschen wird deshalb schärfer geführt werden.“ So heißt es abschließend bei Thiele. Die Greencard in Form eines Wehrpasses? Der Fachmann aus Asien als Beuteobjekt in militärischen Operationen? Und dann: Der Facharbeiter wird bei Streiks zum Militär einberufen – als Soldat und Streikbrecher? Und Demonstrationen werden vom Militär aufgelöst? Militärische Aufstandsbekämpfung?

Vollendete Tatsachen geplant

Sage keiner, das seien doch Unterstellungen, die da an Zitate geknüpft werden. Als der Begründer der neuen Bundeswehr, Generalinspekteur Klaus Naumann, 1993 im Spiegel (28) nur noch „zwei Währungen in der Welt“ ausmachte: „Wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen“, da war die fernere Option auf neue deutsche Kriege gegeben. Allerdings nicht mehr im letzten Jahrhundert, so dachte wohl jeder. Doch dann wurden wieder – noch vor der Jahrtausendwende – deutsche Bomben auf Belgrad abgeworfen. Die Bundeswehr führte und führt Krieg. Die schlimmsten Pessimisten erwiesen sich als zu optimistisch.

Quellen:

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1) Lt. BT-Drucksache 16/13847 und Pressemitteilung der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke vom 1. September 2009
2) Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode, 17.02.09, Protokoll Seite 14757 bis 14761.
3) Bundeswehr-Magazin „Y“ 2/08
4) „Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“, Hg. vom Bundesministerium der Verteidigung, S. 160
5) „Weißbuch 2006 …“, S. 27
6) Siehe Wikipedia „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ vom 12.09.09 und vor allem: Ute Finckh-Krämer, Ulrich Finckh: Zivil-militärische Zusammenarbeit. Über die Gefahr der Verharmlosung von Militär und Krieg, Hg. v. Bund für Soziale Verteidigung, Minden 2006, ISSN 1439-2011
7) BT-Drucksache 16/13847 vom 26. August 2009
8) Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 35, Abs. 2
9) Laut den unter Minister Struck im Mai 2003 von der Generalität formulierten Verteidigungspolitischen Richtlinien ist der „Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen“ Aufgabe der Bundeswehr.
10) Verteidigungspolitische Richtlinien vom 21.05.03, siehe www.bundeswehr.de
11) Lt. 14.07.09: www.bmvg.de/portal/a/bmvg
12) Es handelt sich um solche „Ehrenamtlichen“, die im öffentlichen Dienst tätig sind und innerhalb einer Stunde dort abkömmlich sind.
13) Internetseite der Bundeswehr: www.bundeswehr.de im Januar 2007
14) ebenda
15) dito
16) Spiegel online, 16. Juni 2007
17) Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/13847
18) Otto Köhler in „Ossietzky“ Nr. 17/2009 und Hans-Joachim Gemballa im Portal www.bmvg.de am 14.07.09
19) lt. Information für die Truppe 3/2002
20) „Europäische Sicherheit“ 2/2007
21) HVB = Regierungspräsident, Landrat oder Bürgermeister
22) So heißt es in einem Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in NRW vom 20.02.08, zitiert nach der Netzzeitung „Bochum alternativ“ und www.dielinke-ratsfraktion-bochum.de/bochum2/anfragenalle/detail.php
23) aus: „Umbruch“ von Stefan Hupka, NPD, 1995
24) Antwort auf eine kleine Anfrage zu Aufbau und Funktion der ZMZ-Kommandos der Bundeswehr in BT-Drucksache 16/13847 vom 27.07.09
25) Siehe http://www.cducsu.de/upload/heimatschutz040331.pdf= , zitiert nach Frank Brendle „Die Militarisierung der bundesdeutschen Innenpolitik“, Junge Welt, 24./25. Januar 2008
26) Aus den Unterrichtblättern für die Bundesverwaltung Heft 5/2006 verfasst vom ehem. Bundeswehrjuristen Roman Schmidt-Radefeld
27) Information für die Truppe (IfdT) 3/2002
28) Der Spiegel Nr. 3/93 vom 18.01.93


Der Autor: Ulrich Sander wurde 1941 in Hamburg geboren. Seit 1963 ist er als Journalist tätig. Seit 1968 lebt er in Dortmund. Er ist einer der Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). 1960 war er Mitorganisator des ersten deutschen Ostermarsches.

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