Innenpolitik

Lehrer dürfen streiken. Immer mehr deutsche Gerichte orientieren sich an europäischen Rechtsstandards

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Von REDAKTION, 1. September 2011 –

Bislang hatten verbeamtete Lehrer mit Strafen zu rechnen, wenn Sie ihre Arbeit niederlegten, um zu streiken. Damit ist es nun vorbei. Grund ist die europäische Rechtsprechung, auf die sich immer mehr deutsche Gerichte stützen.

Auch Lehrer dürfen dem Gesetz nach streiken, wie andere Beamte auch, sofern sie keine hoheitlichen Aufgaben erfüllen. So jedenfalls lautet ein Entscheid des Verwaltungsgerichts Kassel, der ohne mündliche Verhandlung zustande kam.

Geklagt hatten zwei Lehrer aus Nordhessen, die sich im November 2009 an einem Gewerkschaftsstreik beteiligt hatten. Sie waren dafür beide dem Dienst drei Stunden lang ferngeblieben. Wegen Verstoßes gegen ihre Dienstpflicht erhielten sie dann vom Schulleiter eine schriftliche Missbilligung. Gegen seine Entscheidungen hat das Verwaltungsgericht Berufung zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen.

Die Kasseler Richter waren nicht die ersten, die das Streikrecht von Lehrern durch ein Urteil bestätigten. Im Dezember 2010 entschied bereits das Düsseldorfer Verwaltungsgericht, dass auch verbeamtete Lehrer ohne disziplinarische Konsequenzen streiken dürfen. Konkret ging es um eine Lehrerin, die nach dem Willen der Kölner Bezirksregierung 1.500 Euro Geldbuße zahlen sollte, nachdem sie an drei Warnstreiks teilgenommen hatte. Unterstützt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zog die Frau vor das Verwaltungsgericht.

Das Düsseldorfer Gericht verwies in seinem Urteil auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Das europäische Gericht hatte ein generelles Streikverbot für Beamte verworfen. „Demnach verstoßen Disziplinarmaßnahmen gegen bestimmte Beamtengruppen wegen der Teilnahme an Streiks gegen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Koalitionsfreiheit. Diese Rechtsprechung sei in der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Disziplinarrechts zu berücksichtigen“, hieß es auf Focus-online. (1)

Nach Ansicht der Düsseldorfer Richter zählen Lehrer nicht zum beamtenrechtlichen Kernbereich, so dass Sanktionen für die Teilnahme am Arbeitskampf nicht gerechtfertigt seien. Wie das für andere Beamte zu beurteilen ist – etwa Polizisten –, ließ das Verwaltungsgericht damals offen.

Die Disziplinarkammer in Kassel kam dagegen zu dem Ergebnis, dass das Streikverbot für  hoheitlich tätige Beamte gelte, darunter Mitglieder der Streitkräfte, Polizisten und Beamte der Staatsverwaltung – nicht jedoch für verbeamtete Lehrer.

Nach Informationen der GEW ist das Streikrecht der Lehrer in fast allen Ländern der EU unstrittig. Die Gewerkschaft unterstütze derzeit mehrere Verfahren, um dies auch in Deutschland durchzusetzen. Verdi-Chef Frank Bsirske plädierte schon im vergangenen Jahr für ein unterschiedsloses Streikrecht. Auch Beamte müssten streiken dürfen.

Freilich gibt es in Deutschland auch noch Gerichte, die anders entscheiden. So hat das Osnabrücker Verwaltungsgericht noch im August 2011 die Klagen zweier Lehrer zurückgewiesen, die sich gegen eine von der Landesschulbehörde auferlegte Geldbuße von je 100 Euro wehren wollten. Die Pädagogen hatten sich 2009 an einem GEW-Streik beteiligt. „Sie beriefen sich auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach auch Beamten grundsätzlich das Recht zum Streiken zusteht. Dem folgten die Richter nicht.

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Zwar habe der EGMR hinsichtlich des türkischen Streikverbots für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes eine funktionsbezogene Unterscheidung gefordert und somit ein allgemeines Streikverbot für unzulässig erklärt. Eine solche Differenzierung lasse sich jedoch nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbaren.“ (2) (mit dpa)

(1) http://www.focus.de/finanzen/recht/urteil-verbeamtete-lehrer-duerfen-streiken_aid_582084.html
(2) http://www.rp-online.de/beruf/ratgeber/Verbeamtete-Lehrer-duerfen-nicht-streiken_aid_1019134.html

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