Innenpolitik

Mehr Polizeistaat – Große Koalition verabschiedet BKA-Gesetz

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1226682476

Von HELMUT LORSCHEID, 13. November 2008:

In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten weder islamistischen, noch sonstigen Terrorismus. Dennoch verabschieden die Bundestagsabgeordneten, die eigentlich die Interessen der Bürger vertreten sollen, ein überflüssiges „Anti-Terror-Gesetz“ nach dem anderen. Ganz so, als gelte es tatsächlich drohende Gefahren abzuwehren. (1) Dabei werden Bürger- und Freiheitsrechte ständig weiter eingeschränkt und der Bevölkerung wird eingetrichtert, Deutschland befinde sich im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus. Bei näherer Betrachtung mag es zwar einige radikalisierte und auch gewaltbereite Islamisten geben. Ob von denen jedoch eine größere Gefahr ausgeht als zum Beispiel von einigen bei der Bundeswehr als Scharfschützen und Nahkämpfer ausgebildeten Rechtsextremisten, darf bezweifelt werden. Was als Beleg für „Islamistischen Terrorismus in Deutschland“ von den Behörden medial aufgeboten wurde, vermag nicht zu überzeugen.

So wurde im Fall der „Sauerland-Zelle“ bekannt, dass diese quasi unter den Augen von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt ihre angeblich geplanten Anschläge vorbereitete. (2) Einer der in diesem Zusammenhang festgenommenen Personen stand seit seinem 16. Lebensjahr unter aufmerksamer Überwachung von BKA und Verfassungsschutz. Im Sauerland waren Polizei und Nachrichtendienste so nahe an den mutmaßlichen Terroristen, dass sie deren Sprengstoffgebräu – den Behördenangaben zufolge – unbemerkt gegen eine ungefährliche Lösung umtauschen und somit neutralisieren konnten (3).

Anfang dieses Jahres kurvte ein Terror-Lastwagen – laut Schäubles Ermittlern – quer durch Europa mit dem diffusen Ziel „Deutschland“. Bei näherer Betrachtung blieb unklar, ob es sich um einen Lastwagen oder nicht doch vielleicht nur ein Kleinbus handelte. Unklar blieb auch, ob es ihn überhaupt gab, oder ob er zwecks Durchsetzung irgendwelcher neuer „Anti-Terror-Gesetze“ frei   erfunden wurde. Letztendlich war von dem gefährlichen Gefährt irgendwann keine Rede mehr. (4)

Die vermeintlichen „Kofferbomber“ aus dem Jahr 2006 verfügten nach Abgaben der Behörden über Fachkenntnisse im Bombenbau. Die behördlicherseits verbreite Geschichte, die Bomben seien nur aufgrund „technischer Fehler“ nicht explodiert, erscheint deshalb widersprüchlich oder wenig glaubwürdig. (5)

Stets verbreitet Schäuble, der Terror sei bedrohlich, aber die Bürger bräuchten sich trotzdem keine Sorgen zu machen. Gerade scheiterte der Bundesinnenminister – wenn auch vielleicht nur vorläufig – mit seinem Vorhaben, die Bundeswehr künftig verstärkt im Innern einzusetzen. Die Koalitionsregierungen in den Ländern – mit Beteiligung der FDP, Grünen und Linken – verhindern derzeit die für eine Änderung des Grundgesetzes notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat. (6) Doch nun bekommt der Bundesinnenminister – vielleicht auch als eine Art „Trostpflaster“ –  ein neues BKA-Gesetz. Bleibt die Frage, welche Gefahr damit eigentlich abgewendet werden soll? (7)

Neue BKA Kompetenzen – überflüssig und gefährlich

Die wichtigste Neuerung im „Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ (8) besteht darin, dass das BKA künftig auch im Vorfeld möglicherweise geplanter Straftaten tätig werden darf, also erstmals präventiv und nicht – wie bisher zumindest offiziell – ausschließlich reaktiv. Außerhalb der Regierungskoalition findet die Erweiterung der BKA-Kompetenzen kaum Zustimmung.

Selbst im Deutschlandfunk fragte die Kommentatorin Sandra Schulz: „Was ist eigentlich unter ‚Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus’ zu verstehen…? Offen bleibt, welche Lücke hier überhaupt geschlossen werden soll.“ (9)

Schäuble und seine Mitstreiter argumentieren, dem BKA sei auch künftig nicht mehr erlaubt, als jeder Landespolizei. Zu deren Aufgabe hat die Gefahrenabwehr bereits immer gehört. Gegner des Gesetzes argumentieren ebenfalls mit den Kompetenzen der Länderpolizei, die für die Gefahrenabwehr und Vorbeugung völlig ausreiche. Niemand brauche zusätzlich ein BKA mit gleichen Kompetenzen.  Was – außer einem Mehr an Überwachung – soll eine, auf bloßen Verdacht hin oder aus dem  Tatendrang eines gelangweilten Beamten resultierende, vorauseilende Online-Überwachung irgendwelcher Personen und deren Familien, Nachbarn, Freunden und Bekannten eigentlich bringen?

Kritisiert wird von Oppositionsabgeordneten auch, dass das BKA selbst prüfen soll, was es mit den gewonnenen Erkenntnissen aus der Online-Überwachung machen darf. Der Datenschützer des BKA soll seine Kollegen kontrollieren. Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, brachte es auf den Punkt: „Selbstkontrolle durch das BKA – das ist ungefähr so, wie einen Alkoholiker in einen Schnapsladen zu stellen und ihn zu ermahnen: Trink nicht zu viel.“ (10)

Auch den großen Lauschangriff soll es künftig bereits prophylaktisch geben. Es bedarf nicht der Erinnerung an den Fall Traube in der Mitte der 70ziger Jahre, (11) um zu dokumentieren, dass der   Lauschangriff schon oft missbräuchlich eingesetzt wurde. Mittels einer groß angelegten  Abhöraktion versuchte der Verfassungsschutz, dem Atomwissenschaftler Klaus Traube eine Verbindung zur damaligen linken Terroristenszene anzuhängen.

Erst vor kurzem blamierte sich Deutschlands oberste Ermittlerin, die Generalbundesanwältin Prof. Monika Harms. Sie veranlasste die Überwachung einer harmlosen Gruppe von G 8-Gegnern, die sie meinte, als Terrorgruppe ausgemacht zu haben. Einer gerichtlichen Überprüfung hielt dieser Vorwurf nicht stand, im Gegenteil, nichts blieb davon übrig. Die staatlichen Einbrüche in das private Leben der zu Unrecht Verfolgten können jedoch nicht rückgängig gemacht werden. Einer der so Beschuldigten war zwischenzeitlich verstorben.(12)

Gefahr für journalistische Quellen

Bereits im Vorfeld der Beratungen des BKA-Gesetzes im Bundestag und anlässlich einer Anhörung gab es zahlreiche  Proteste.(13) In einer gemeinsamen Stellungnahme sprachen sich ARD und ZDF, private Rundfunk- und Telemedien, der Bundesverband der Zeitungsverleger, der Deutsche Presserat, die Gewerkschaft ver.di und der Deutsche Journalisten Verband einhellig gegen das Gesetz in seiner damaligen Fassung aus: „Würde der Gesetzesentwurf in seiner vorliegenden Fassung verabschiedet, würde der Informantenschutz abermals, und zwar in gravierender Weise, verschlechtert. Künftig könnte z. B. von Journalisten die Herausgabe von Recherchematerial verlangt und dies notfalls mit Zwangsgeld, Beugehaft und Redaktionsdurchsuchungen durchgesetzt werden. (…) Der Gesetzentwurf ist nach Auffassung der genannten Verbände geeignet, den durch das Zeugnisverweigerungsrecht bezweckten Schutz der Informanten und den Schutz einer von staatlichen Eingriffen ungestörten Redaktionsarbeit nachhaltig zu beschädigen.“ (14)

Die SPD reagierte auf die Proteste mit leichten, eher kosmetischen Veränderungen. Sie entschärfte das Gesetz etwas zu Gunsten von Bundes- und Landtagsabgeordneten, Strafverteidigern und Priestern. Der Frontalangriff auf die Pressefreiheit blieb bestehen. Deshalb protestierte auch der Deutsche Presserat, der seine Hauptaufgabe im Eintreten für die Pressefreiheit und in der Wahrung des Ansehens der deutschen Presse sieht, gegen das Gesetz. In einer Erklärung heißt es: „Mit dem Gesetz wird der Polizei die Möglichkeit eröffnet, von Journalisten die Herausgabe von Recherchematerial zu verlangen, obwohl ein Zeugnisverweigerungsrecht zum Schutz von Informanten besteht.“ (15)

Manfred Protze, Vorsitzender der Deutschen Journalisten Union (dju) in der Gewerkschaft ver.di und amtierender Sprecher des Deutschen Presserates, ergänzte auf einer Pressekonferenz , es sei „nicht mit der Pressefreiheit vereinbar, wenn das BKA im Rahmen der Gefahrenabwehr durch staatliche Eingriffe die Redaktionsarbeit nachhaltig belastet und damit das unabdingbare Vertrauen zwischen Quellen und Redaktionen zerstört.“ (16)

Der Bundesverband Informationswirtschaft Telekommunikation und neue Medien e.V (Bitkom)  sieht bei dem Gesetz nicht gewährleistet, dass „bei der Kriminalitätsbekämpfung das Vertrauen unbescholtener Computer-Nutzer in ihre Privatsphäre nicht leidet“. BITOM-Sprecher Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer kritisierte ebenfalls die Selbstkontrolle des BKA: „Wenn es eilt, sollte mindestens ein Staatsanwalt die PC-Überwachung genehmigen, so wie es auch für Telefongespräche gilt. Und die Frage, welche intimen Daten von der Polizei nicht verwendet werden dürfen, muss Sache eines Richters sein.“ (17)

Proteste auch in der SPD

In den Büros insbesondere der SPD-Bundestagsabgeordneten gingen Proteste von der SPD-Basis ein. So schrieb die Berliner SPD-Abteilung  „Rund um den Karl-August-Platz“ (Charlottenburg-Wilmersdorf) an alle SPD-Abgeordneten: „Wir ersuchen Euch dringend, das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt so nicht zuzulassen. In seiner aktuellen Fassung ist dieses Gesetz für uns nicht zustimmungsfähig. (…)Dieses Regelwerk, insbesondere mit seiner großen Anzahl von neuen Überwachungs- und Ermittlungsbefugnissen für das BKA, von denen im Diskurs der letzten Jahre zum Teil keine Rede war, als auch der Paradigmenwechsel hin zum präventiven Sicherheitsstaat, ist für unser Land, seine Bevölkerung und unsere Partei nicht tragbar.“ (18)

Ganz ohne Widerhall blieb dieser Protest der SPD-Basis nicht. Zwanzig SPD-Abgeordnete schlossen sich einer von dem Karlsruher Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss verfassten Erklärung an und votierten gegen das Gesetz. In ihrer Erklärung heißt es: „ Das BKA soll im Zuge der Novellierung des BKA-Gesetzes ein umfassendes Spektrum geheimer Ermittlungsinstrumentarien erhalten. Diese Möglichkeiten sollen auch explizit nicht Beteiligte betreffen, die der Gesetzesentwurf vage ‘Kontaktpersonen’ nennt. Als Kontaktperson kann den Buchstaben des Gesetzes folgend jeder Mensch gelten, der auch nur entfernt mit einem Verdächtigen in Kontakt steht. Viele Kritiker – und auch Sachverständige auf der Öffentlichen Anhörung des BKA-Gesetzentwurfs im Innenausschuss – monierten daher zu Recht, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dem grundsätzlichen Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst nicht hinreichend Rechnung getragen wird bzw. dass dieses Trennungsgebot quasi aufgehoben wird.“ (19)

In der Debatte kritisierte Wolfgang Wieland, B90/DIE GRÜNEN, die fehlende Kontrolle des BKA. „Wir werden ein deutsches FBI bekommen und zugleich eine Polizei, die ihr eigener Geheimdienst ist. (…) Unsere Nachrichtendienste werden kontrolliert, so schlecht das auch sein mag. Wir haben Gremien dafür (…) Jetzt geben wir dem BKA das volle geheimdienstliche Instrumentarium, und es gibt keine Instanz, die das kontrollieren kann.“ (20)

Jan Korte, MdB DIE LINKE, wies darauf hin, dass die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage selbst ernste Probleme hatte, den Sinn einer Online-Durchsuchung darzulegen.

Gefragt nach dem Nutzen der Online-Durchsuchung erklärte sie: „Im Zuge von Online-Durchsuchungen können regelmäßig dieselben Erkenntnisse gewonnen werden, wie durch ‚offene’ Durchsuchungen und die Auswertung sichergestellter Computerdateien…“ (21) Korte weiter: „Das sagt die Bundesregierung. Deswegen geht es hier offensichtlich um etwas völlig anderes. Es geht sozusagen um eine sicherheitspolitische Vereinigung von Geheimdienst- und Polizeitätigkeiten mit neuen Befugnissen wie der Onlinedurchsuchung …“

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Gisela Piltz erklärte, dies sei quasi ein „historischer Tag, denn der Bundestag schreibt Rechtsgeschichte, aber leider nicht im positiven Sinne. Heimliche Durchsuchungen sind ein Novum in der deutschen Geschichte, ein Novum, auf das der Rechtsstaat aus unserer Sicht besser verzichten sollte.“

Anders als bei Schäubles Plänen, das Grundgesetz zu ändern, um die Bundeswehr im Innern einzusetzen zu können, besteht keine Hoffnung, das BKA-Gesetz über den Bundesrat stoppen zu können. Die BKA-Novelle bedarf lediglich der einfachen Mehrheit und darüber verfügen die von CDU oder SPD alleine oder von einer CDU/SPD-Koalition regierten Länder.


Quellen

(1) http://www.cilip.de/terror/index.htm

(2) http://www.hintergrund.de/content/view/113/63/

(3) http://www.hintergrund.de/content/view/241/66/

(4) http://www.hintergrund.de/content/view/168/63/

(5) http://www.hintergrund.de/content/view/21/66/

(6) http://news.abacho.de/aktuelles/artikel_anzeigen/index.html?news_id=107664

(7) http://www.hintergrund.de/content/view/215/63/

(8) http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/095/1609588.pdf

(9) http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kommentar/874905/

(10) http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp_pdf/16186.pdf

(11) http://wissen.spiegel.de/wissen/resultset.html?clsuchbegriff=%23sig_id_liste%3D7015432&clfilter=&quellen=&fo=SPIEGEL&vl=0&cl=0&cllabel=%22Lauschangriff+auf+B%C3%BCrger+T%22

(12) http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0105/politik/0036/index.html

(13) http://www.hintergrund.de/content/view/254/63/

(14) http://dju.verdi.de/pressemitteilungen/showNews?id=bc3c84f2-8008-11dd-44fe-0019b9e321e1

(15) Presseinformation des Deutschen Presserates v. 19.9.2008

(16) Manfred Protze am 6.11.08

(17) http://www.bitkom.org/de/presse/8477_55414.aspx

(18) Email der SPD-Abteilung an die SPD Abteilung vom 11.11.08

(19) http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp_pdf/16186.pdf dort Seite 19855/6

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

(20) http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp_pdf/16186.pdf Seite 19926 ff

(21)Text der von Korte zitierten Antwort der Bundesregierung: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/039/1603973.pdf

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Innenpolitik Eine Schande für die Demokratie
Nächster Artikel Innenpolitik „Streng vertraulich“ – ist der Verteidigungsminister auf Kriegskurs?