Innenpolitik

Rassisten genießen Artenschutz in Deutschland

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Ein Kommentar von SUSANN WITT-STAHL, 22. April 2013 –

Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen das UNO-Abkommen zur Bekämpfung von Rassismus verstoßen. Zu dieser Feststellung kam der Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen, Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD), dem 18 internationale Experten angehören. Der Grund: Ein 2009 vom Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) beantragtes Ermittlungsverfahren gegen Thilo Sarrazin wegen Volksverhetzung, Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung war von der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt worden – auch der Widerspruch gegen diese Entscheidung wurde abgewiesen. Auslöser für den Strafantrag gegen den Autor des Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ waren diskriminierende Äußerungen über türkische und arabische Migranten. „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert“, hatte Sarrazin in einem Interview mit der Zeitschrift „Lettre International“ beispielsweise gesagt.

Der TBB war gegen die Untätigkeit der deutschen Justiz vorgegangen und hatte beim CERD Beschwerde eingereicht. Der wurde am 4. April statt- und Deutschland aufgegeben, binnen 90 Tagen Stellung zu nehmen und geeignete Abhilfemaßnahmen vorzustellen. So könnte es Schulungen für Richter, Staatsanwälte und eine Überprüfung der Richtlinien für die strafrechtliche Verfolgung rassistisch motivierter Vergehen geben.

Der TBB wertet das CERD-Urteil als „historische Entscheidung“. Denn es sei darin endlich einmal festgehalten worden, dass Sarrazins Äußerungen – die von der deutschen Rechtsprechung als „Meinung“ verharmlost wurden – „auf einem Gefühl rassischer Überlegenheit oder Rassenhass beruhen und Elemente der Aufstachelung zur Rassendiskriminierung enthalten“, so der TBB.

In jedem Fall skandalisiert das CERD-Urteil die Blindheit der Dritten Gewalt in Deutschland gegenüber der ausufernden Bedrohung von rechts. Diese geht, zumindest indirekt, auch von denjenigen aus, auf deren Ermittlungen und Beobachtungen die Justiz zwingend angewiesen ist: Beamte von Geheimdiensten und der Kriminalämtern schützen Neonazi-Mörderbanden samt ihrem politischen Unterstützerumfeld vor Strafverfolgung und sponsern sie großzügig mit Steuergeldern. Vor allem bei Verfassungsschützern, die militante Übergriffe der Islamhasser-Szene routinemäßig als „Einzelfälle“ verharmlosen, gehören rassistische Beleidigungen von Muslimen („Muselmänner“, „Ölaugen“) mittlerweile zum Standardvokabular.(1) Einige erweisen sich mehr und mehr als Komplizen von Politically Incorrect, Jihad Watch Deutschland und wie die Internet-Hetzmeuten sonst noch heißen mögen. Solche Verfassungsschützer bilden eine wichtige Säule des institutionalisierten Rassismus in Deutschland. Sie sind nicht Teil der Lösung – sie sind ein Teil des Problems.

Islamhasser gern gesehene Talkgäste und „geschätzte Mitbürger“

Ganz nebenbei hat das CERD-Urteil aber objektiv auch noch eine andere, damit verbundene und vielleicht noch bittere Wahrheit freigelegt: In diesem Land ist Volksverhetzung keineswegs karrierehinderlich. Ganz im Gegenteil: Wer sich damit gekonnt in Szene zu setzen weiß, wird reichlich belohnt, kann auf prall gefüllte Kassen hoffen, sich in den Blitzlichtgewittern der neoliberalen, also nahezu aller führenden Medien räkeln – die Anerkennung, großzügige Förderung, sogar öffentliche Ehrungen durch die Stützen der Gesellschaft ist ihm sicher.

Das hat nicht nur die Tatsache eindrucksvoll belegt, dass es hierzulande kaum noch eine Fernsehkamera gibt, in die Thilo Sarrazin nicht seine Hetzschwarte halten durfte. Entsprechend erreichte er gigantische Verkaufszahlen: Bis Januar 2012 waren es 1,5 Millionen Exemplare. Nach dem Motto ,Wer bei Beckmann, Jauch und Will sitzt, der kann ja kein schlechter Mensch sein‘ – schon gar nicht ein ganz ordinärer Demagoge – darf die in Deutschland reichlich vorhandene rechte Prominenz auf den Couchen der Talkmaster offen über ihre Idiosynkrasie gegen Türken, Araber, Perser und andere „Unzivilisierte“ sprechen. Henryk M. Broder, Betreiber der Achse des Guten, der nicht selten Mühe hat zu kontrollieren, dass ihm während seiner Dauerhasstiraden gegen „die Moslems“ nicht der Geifer aus den Mundwinkeln rinnt, gibt sich mit solchen, viel zu kurzen Gastauftritten, von denen er unzählige absolviert hat, schon lange nicht mehr zufrieden. Broder hat für seine Treibjagden auf fiese, hinterhältige Islamisten, aber auch „Islamversteher“, Umweltschützer, Friedensmarschierer und „linksreaktionäre Schlampen“, alle, die dringend verdächtig sind, mit jenem Kollektiv potentieller Selbstmordattentäter unter einer Decke zu stecken, extra eine eigene Fernsehserie bekommen (die solange auf allen ARD-Sendern ausgestrahlt wird, bis auch noch der letzte Gutmenschen-Depp die islamisch-bolschewistische Gefahr erkannt hat) – und den Bayerischen Fernsehpreis noch oben drauf.

Apropos Preis: Die niederländische Neocon-Politikerin und ehemalige Mitarbeiterin des American Enterprise Institutes Ayaan Hirsi Ali erhielt 2012 für ihre unermüdliche „Aufklärung“ über das im Islam tief verwurzelte reine Böse den Axel-Springer-Preis. Nachdem sie in ihrer Dankesrede Verständnis für Anders Behring Breivik geäußert hatte, der 2011 auf der Insel Utøya 69 junge Sozialisten massakrierte hatte, gab es als Sahnehäubchen noch einen besonders warmen Applaus von den geladenen Ehrengästen (darunter Henryk M. Broder und Leon de Winter). Besonders gerührt von Hirsis Mut, endlich einmal das Problem beim Namen zu nennen, zeigte sich die Witwe des Medienimperium-Gründers Friede Springer. Sie bedachte die glühende Moslem- und Linkenhasserin sogar mit einer herzlichen Umarmung. (2)

Und kürzlich ließ es sich Hamburgs Bürgermeister nicht nehmen, den vielfach ausgezeichneten Schriftsteller Ralph Giordano („Sarrazin hat vollkommen recht“), der einen Moscheebau als „Kriegserklärung“, „Landnahme auf fremdem Territorium“ betrachtet und „Multikulti-Illusionismus“ nicht ausstehen kann, anlässlich dessen 90. Geburtstags tüchtig zu feiern. Bei einem Senatsfrühstück bezeichnete Olaf Scholz (SPD) den Jubilar als „geschätzten Mitbürger“ und „leidenschaftlichen Sich-Einmischer“, sagte ihm, „Sie sind unverbesserlich uncool, wenn es um das geht, was Ihnen am Herzen liegt“, und lobte ihn bizarrerweise für sein angebliches Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit.

Von der Ersten bis zu Vierten Gewalt: Kulturrassisten, die sich meist auch als emphatische „Kommunistenfresser“ erweisen und sich in wachsender Zahl im Lager der Neokonservativen und der Neuen Rechten – die zwar nicht wie die Neonazis einen völkisch-nationalistisch eingestellt ist, nicht den Holocaust leugnet, aber andere signifikante Merkmale einer faschistischen Agenda aufweisen – sammeln, genießen hingebungsvollen Artenschutz im Biotop des bürgerlichen Establishments. „There is an elephant in the room“, wie man in England zu sagen pflegt. Und nach schlechter Tradition im faschistischen, im postfaschistischen – und bald wieder im präfaschistischen? – Deutschland, wird er erst gesehen, wenn er alles im Laden vorhandene Porzellan zerschlagen hat. 

Anmerkungen

(1) http://www.sueddeutsche.de/politik/rassistische-aeusserungen-die-kreuzritter-vom-verfassungsschutz-1.1630700
(2)  http://www.youtube.com/watch?v=Liz6O5qPphg

Rassisten genießen Artenschutz in Deutschland

 

Ein Kommentar von SUSANN WITT-STAHL, 19. April 2013 –

 

Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen das UNO-Abkommen zur Bekämpfung von Rassismus verstoßen. Zu dieser Feststellung kam der Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen, Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD), dem 18 internationale Experten angehören. Der Grund: Ein 2009 vom Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) beantragtes Ermittlungsverfahren gegen Thilo Sarrazin wegen Volksverhetzung, Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung war von der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt worden – auch der Widerspruch gegen diese Entscheidung wurde abgewiesen. Auslöser für den Strafantrag gegen den Autor des Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ waren diskriminierende Äußerungen über türkische und arabische Migranten. „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert“, hatte Sarrazin in einem Interview mit der Zeitschrift „Lettre International“ beispielsweise gesagt.

 

Der TBB war gegen die Untätigkeit der deutschen Justiz vorgegangen und hatte beim CERD Beschwerde eingereicht. Der wurde am 4. April statt- und Deutschland aufgegeben, binnen 90 Tagen Stellung zu nehmen und geeignete Abhilfemaßnahmen vorzustellen. So könnte es Schulungen für Richter, Staatsanwälte und eine Überprüfung der Richtlinien für die strafrechtliche Verfolgung rassistisch motivierter Vergehen geben.

 

Der TBB werdet das CERD-Urteil als „historische Entscheidung“. Denn es sei darin endlich einmal festgehalten worden, dass Sarrazins Äußerungen – die von der deutschen Rechtsprechung als „Meinung“ verharmlost wurden – „auf einem Gefühl rassischer Überlegenheit oder Rassenhass beruhen und Elemente der Aufstachelung zur Rassendiskriminierung enthalten“, so der TBB.

 

In jedem Fall skandalisiert das CERD-Urteil die Blindheit der Dritten Gewalt in Deutschland gegenüber der ausufernden Bedrohung von rechts. Diese geht, zumindest indirekt, auch von denjenigen aus, auf deren Ermittlungen und Beobachtungen die Justiz zwingend angewiesen ist: Beamte von Geheimdiensten und der Kriminalämtern schützen Neonazi-Mörderbanden samt ihrem politischen Unterstützerumfeld vor Strafverfolgung und sponsern sie großzügig mit Steuergeldern. Vor allem bei Verfassungsschützern, die militante Übergriffe der Islamhasser-Szene routinemäßig als „Einzelfälle“ verharmlosen, gehören rassistische Beleidigungen von Muslimen („Muselmänner“, „Ölaugen“) mittlerweile zum Standardvokabular.(1) Einige erweisen sich mehr und mehr als Komplizen von Politically Incorrect, Jihad Watch Deutschland und wie die Internet-Hetzmeuten sonst noch heißen mögen. Solche Verfassungsschützer bilden eine wichtige Säule des institutionalisierten Rassismus in Deutschland. Sie sind nicht Teil der Lösung – sie sind ein Teil des Problems.

 

Islamhasser gern gesehene Talkgäste und „geschätzte Mitbürger“

 

Ganz nebenbei hat das CERD-Urteil aber objektiv auch noch eine andere, damit verbundene und vielleicht noch bittere Wahrheit freigelegt: In diesem Land ist Volksverhetzung keineswegs karrierehinderlich. Ganz im Gegenteil: Wer sich damit gekonnt in Szene zu setzen weiß, wird reichlich belohnt, kann auf prall gefüllte Kassen hoffen, sich in den Blitzlichtgewittern der neoliberalen, also nahezu aller führenden Medien räkeln – die Anerkennung, großzügige Förderung, sogar öffentliche Ehrungen durch die Stützen der Gesellschaft ist ihm sicher.

 

Das hat nicht nur die Tatsache eindrucksvoll belegt, dass es hierzulande kaum noch eine Fernsehkamera gibt, in die Thilo Sarrazin nicht seine Hetzschwarte halten durfte. Entsprechend erreichte er gigantische Verkaufszahlen: Bis Januar 2012 waren es 1,5 Millionen Exemplare.

Nach dem Motto ,Wer bei Beckmann, Jauch und Will sitzt, der kann ja kein schlechter Mensch sein‘ – schon gar nicht ein ganz ordinärer Demagoge – darf die in Deutschland reichlich vorhandene rechte Prominenz auf den Couchen der Talkmaster offen über ihre Idiosynkrasie gegen Türken, Araber, Perser und andere „Unzivilisierte“ sprechen. Henryk M. Broder, Betreiber der Achse des Guten, der nicht selten Mühe hat zu kontrollieren, dass ihm während seiner Dauerhasstiraden gegen „die Moslems“ nicht der Geifer aus den Mundwinkeln rinnt, gibt sich mit solchen, viel zu kurzen Gastauftritten, von denen er unzählige absolviert hat, schon lange nicht mehr zufrieden. Broder hat für seine Treibjagden auf fiese, hinterhältige Islamisten, aber auch „Islamversteher“, Umweltschützer, Friedensmarschierer und „linksreaktionäre Schlampen“, alle, die dringend verdächtig sind, mit jenem Kollektiv potentieller Selbstmordattentäter unter einer Decke zu stecken, extra eine eigene Fernsehserie bekommen (die solange auf allen ARD-Sendern ausgestrahlt wird, bis auch noch der letzte Gutmenschen-Depp die islamisch-bolschewistische Gefahr erkannt hat) – und den Bayerischen Fernsehpreis noch oben drauf.

 

Apropos Preis: Die niederländische Neocon-Politikerin und ehemalige Mitarbeiterin des American Enterprise Institutes Ayaan Hirsi Ali erhielt 2012 für ihre unermüdliche „Aufklärung“ über das im Islam tief verwurzelte reine Böse den Axel-Springer-Preis. Nachdem sie in ihrer Dankesrede Verständnis für Anders Behring Breivik geäußert hatte, der 2011 auf der Insel Utøya 69 junge Sozialisten massakrierte hatte, gab es als Sahnehäubchen noch einen besonders warmen Applaus von den geladenen Ehrengästen (darunter Henryk M. Broder und Leon de Winter). Besonders gerührt von Hirsis Mut, endlich einmal das Problem beim Namen zu nennen, zeigte sich die Witwe des Medienimperium-Gründers Friede Springer. Sie bedachte die glühende Moslem- und Linkenhasserin sogar mit einer herzlichen Umarmung. (2)

 

Und kürzlich ließ es sich Hamburgs Bürgermeister nicht nehmen, den vielfach ausgezeichneten Schriftsteller Ralph Giordano („Sarrazin hat vollkommen recht“), der einen Moscheebau als „Kriegserklärung“, „Landnahme auf fremdem Territorium“ betrachtet und „Multikulti-Illusionismus“ nicht ausstehen kann, anlässlich dessen 90. Geburtstags tüchtig zu feiern. Bei einem Senatsfrühstück bezeichnete Olaf Scholz (SPD) den Jubilar als „geschätzten Mitbürger“ und „leidenschaftlichen Sich-Einmischer“, sagte ihm, „Sie sind unverbesserlich uncool, wenn es um das geht, was Ihnen am Herzen liegt“, und lobte ihn bizarrerweise für sein angebliches Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit.

 

Von der Ersten bis zu Vierten Gewalt: Kulturrassisten, die sich meist auch als emphatische „Kommunistenfresser“ erweisen und sich in wachsender Zahl im Lager der Neokonservativen und der Neuen Rechten – die zwar nicht wie die Neonazis einen völkisch-nationalistisch eingestellt ist, nicht den Holocaust leugnet, aber andere signifikante Merkmale einer faschistischen Agenda aufweisen – sammeln, genießen hingebungsvollen Artenschutz im Biotop des bürgerlichen Establishments. „There is an elephant in the room“, wie man in England zu sagen pflegt. Und nach schlechter Tradition im faschistischen, im postfaschistischen – und bald wieder im präfaschistischen? – Deutschland, wird er erst gesehen, wenn er alles im Laden vorhandene Porzellan zerschlagen hat

 

 

(1) http://www.sueddeutsche.de/politik/rassistische-aeusserungen-die-kreuzritter-vom-verfassungsschutz-1.1630700

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