Corona

Störversuche gegen den Ausnahmezustand

Die Empörung war deutlich: Vor einem Jahr haben 52 Schauspieler satirische Videos mit dem Hashtag „#allesdichtmachen“ ins Netz gestellt. Sie wollten damit auf die Widersprüche der Corona-Politik und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft hinweisen. Schon kurz darauf verschwanden einige der Videos wieder aus dem Netz. Einige Protagonisten konnten den Medialen Shitstorm nicht aushalten – aus unterschiedlichen Gründen. Ein Jahr nach der Aktion ist ein Sammelband erschienen, der die Aktion wissenschaftlich untersucht. Bei uns lesen Sie Auszüge aus dem Buch.

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Der Youtube-Kanal von #allesdichmachen Der Youtube-Kanal von #allesdichmachen
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Die Angegriffenen verteidigen sich. Nach der Veröffentlichung der 53 Videos unter dem Hashtag „#allesdichtmachen“ bricht Kritik über die Initiatoren und die Schauspieler hinein. Die satirischen Videos gegen das herrschende Narrativ seien voller „Hohn und Zynismus“, bedienten „hämisch Narrative“, die Bestandteil von Verschwörungserzählungen seien. Die Schauspieler zeigten eine „egomane Innenwelt“, ihnen sei das „Ausmaß menschlichen Leids“ ebenso wie „mitmenschliches Engagement“ verborgen geblieben. Dies schrieben drei Journalisten. Ihre Zitate sind im Wikipedia-Artikel der Aktion zu finden. Mühelos könnte man einen ganzen Artikel mit weiteren füllen. Aber es gab auch andere Stimmen Julian Nida-Rümelin beispielsweise überzeugten die „Ironisierungen der Situation“ mehr oder weniger. Er verwies au die Lage der Schauspieler im Lockdown und riet zur Abrüstung der Diskussion.

Jetzt, ein Jahr nach der Aktion, gibt es eine erste umfassende Dokumentation. Herausgegeben von den Medienwissenschaftler Michael Meyen und Daria Gordeeva sowie dem Literaturwissenschaftler Carsten Gansel beleuchtet das Buch „#allesdichtmachen: 53 Videos und eine gestörte Gesellschaft“ (Oval Media, 428 Seiten, 24 Euro) die Aktion aus Sicht der Wissenschaft. Dabei versteht es sich selbst als Teil des Störversuchs, als den die Herausgeber „#allesdichmachen“ bewerten. Wir veröffentlichen im Folgenden zum einen einen großen Teil der Einleitung zum Buch, die die drei Herausgeber verfasst haben. Dazu stellen wir eine der Videobeschreibungen. Beides gibt einen Eindruck vom Inhalt des umfassenden Bandes, der auch eine Chronologie der Ereignisse sowie eine umfassende Auseinandersetzung darstellt.

Warum Deutschland über #allesdichtmachen sprechen musste

Von Michael Meyen, Carsten Gansel und Daria Gordeeva

22. April 2021, 15 Minuten vor Mitternacht: #allesdichtmachen erscheint ganz oben in der Onlineausgabe der Bild-Zeitung und ist damit im deutschen Sprachraum für ein paar Tage Thema Nummer eins. O-Ton Bild kurz nach dem Start der Aktion: „Mit Ironie, Witz und Sarkasmus hinterfragen Deutschlands bekannteste‘ Schauspielerinnen und Schauspieler die Corona-Politik der Bundesregierung und kritisieren die hiesige Diskussionskultur. Die Teilnehmer der Aktion #allesdichtmachen: ein ,Who is who‘ der deutschen Schauspiel-Szene! Stars wie Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Wotan Wilke Möhring, Ulrike Folkerts, Kostja Ullmann, Meret Becker, Ken Duken, Martin Brambach, Richy Müller, Nadja Uhl, Ulrich Tukur und Volker Bruch kritisieren die Maßnahmen, indem sie sich überschwänglich bei den Regierenden bedanken.“ [1]

Die 53 Videos sind da erst ein paar Stunden online, aber zumindest auf der „Haupt-Website der Aktion“ schon nicht mehr abrufbar. „Offenbar gehacked“, schreibt die Bild-Redaktion („Sie leitet auf eine öffentlich-rechtliche Doku-Serie des RBB über die Corona-Intensivstation der Berliner Charité“) und wirbt für YouTube. Außerdem gibt es einen Hinweis auf positive Reaktionen (etwa vom Grünen-Politiker Dieter Janecek oder vom Hamburger Virologen Jonas Schmidt-Chanasit, der von einem „Meisterwerk“ gesprochen habe) sowie einen Ausblick auf das, was den Leitmedien-Diskurs und damit auch die digitalen Plattformen in den nächsten Tagen dominieren wird: „Manche User auf Twitter und Facebook versuchen, die Aktion in die Corona-Leugner-Ecke zu rücken. Dabei leugnet keiner der Schauspielerinnen und Schauspieler auch nur ansatzweise die Existenz des Corona-Virus.“

Kommunikationswissenschaftlich gesprochen: Die Bild-Zeitung setzt hier zwar ein Thema, aber nicht den Ton. Anders gesagt: Was am späten Donnerstagabend noch zu gelten scheint, ist am Freitag nicht mehr wahr. „Wenn man seinen eigenen Shitstorm verschlafen hat“, twittert Manuel Rubey an diesem Morgen, ein Schauspieler aus Österreich, der in seinem Video fordert, „die Theater, die Museen, die Kinos, die Kabarettbühnen überhaupt nie wieder aufzusperren“. Kunst, vielleicht sogar zusammen mit anderen „genossen“? „Das Analoge ist vorbei. Lasset uns gemeinsam nur noch zuhause bleiben. Lockdown für immer.“ Eine Woche später erklärt Rubey einer Journalistin, mit der er schon vorher zusammengearbeitet hat, seinen Tweet. Gleich nach der Veröffentlichung habe er vor dem Zu-Bett-Gehen „noch ein bisschen Kommentare gelesen“ und „das Gefühl“ gehabt, „dass es verstanden wird, wie es gemeint war“. Der Tag danach: „ein kafkaesker Albtraum. Kollegen entschuldigten sich privat, dass sie ihre positiven Kommentare nun doch gelöscht hätten.“ [2] Sein Video hat Rubey zurückgezogen, seine Kritik jedoch nicht. [3]

Die Aktion #allesdichtmachen hat den Nerv einer Gesellschaft getroffen, die seit mehr als einem Jahr von einem „Killervirus“ beherrscht wurde – von einem „Narrativ“, zu dem vier „erzählerische Grundelemente“ gehören: erstens „eine einzigartige Ausnahmesituation “ (ein „tödlicher Erreger“, der mit anderen Viren nicht vergleichbar ist), zweitens „das lückenlose Kontaktverbot“ als Gegenmittel, drittens die Verleumdung von allen, die nicht uneingeschränkt an eins und zwei glauben („unsolidarisch, zynisch oder unmoralisch“), und viertens die Impfung als „einziger Ausweg aus der Krise“. [4]

Das Verb ,beherrscht‘ ist dabei in jeder Hinsicht wörtlich zu nehmen. Die Killervirus-Erzählung hat sämtliche Bereiche der Gesellschaft verändert – von der Wirtschaft, die erst Wochen und dann Monate durch Lockdowns aus ihrem Rhythmus gebracht wurde, über die Bildung (Stichwort Homeschooling) und damit den Alltag vieler Familien bis hin zum öffentlichen Debattenraum, der sowohl für andere Themen weitgehend geschlossen wurde als auch für Stimmen, die der hegemonialen Sicht widersprechen. [5] Selbst eine Petition mit mehr als 60.000 Unterschriften konnte zum Beispiel den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Herbst 2020 nicht dazu bewegen, Befürworter und Kritiker der Regierungspolitik zur besten Sendezeit an einen Tisch zu bringen. [6]

Die Schauspielerinnen und Schauspieler haben diese Blockade mit der Aktion #allesdichtmachen durchbrechen können, weil Form, Inhalt und Beteiligte perfekt auf die Handlungslogik eines Massenmediensystems abgestimmt waren, das auf die Maximierung von Reichweiten ausgerichtet ist und den Imperativ der Aufmerksamkeit selbst dann nicht ignorieren kann, wenn die strukturellen Kopplungen mit dem Wirtschaftssystem gelockert und dafür die Bindungen an das politische System verstärkt werden. [7] Punkt eins: Videos (das wichtigste Kommunikationsmittel im Zeitalter von Smartphone und digitalen Plattformen), sehr kurz (die meisten etwa eine Minute), unter einem Hashtag gebündelt und damit ideal für die genannten Verbreitungswege. Punkt zwei: eine andere (satirische, ironische, künstlerisch gebrochene und damit exklusive) Perspektive auf Themen, die ohnehin im Fokus der Öffentlichkeit standen – erst recht an einem Tag, an dem eine „bundeseinheitliche Notbremse“ in Kraft trat. [8] Und Punkt drei: Masse (52 Menschen, die die Öffentlichkeit mehr oder weniger kennt) plus Prominenz. Zusammen haben diese drei Punkte eine Wucht erzeugt, die die Aktion auch ohne den Gatekeeper und Befürworter Bild-Zeitung in die Leitmedien gebracht hätte.

[…]

Was noch zu tun ist

Auch viele Monate nach der Veröffentlichung der #allesdichtmachen-Videos sind die Nachbeben der Aktion im öffentlichen Raum spür- und sichtbar – zum Beispiel bei Wikipedia, wo rote Kreuze hinter den Namen der Beteiligten zeigen, wer seinen Beitrag gelöscht hat. Die entsprechende Seite wird dadurch zu einer Klagemauer, die auf uns alle verweist. Die Schauspielerinnen und Schauspieler haben nicht ihre Kritik zurückgezogen, sondern ihren sozialen und manchmal möglicherweise auch ihren physischen Körper aus der Schusslinie genommen. Die historische Forschung wird hier später eine Zeitenwende konstatieren: Vor #allesdichtmachen konnten wir allenfalls ahnen, wie klein der Toleranzspielraum dieser Gesellschaft und damit der Raum des öffentlich Sagbaren geworden waren. Nach der Aktion wussten wir es. Alle haben gesehen, wer die Deutungshoheit hat, und sich fortan darauf eingestellt – sowohl auf der einen Seite als auch auf der anderen.

Um diese These mit einem Beispiel zu illustrieren: Jan Josef Liefers berichtete am 8. Oktober 2021 in der Bild-Zeitung über seinen Besuch auf einer Intensivstation – wenn man so will eine sehr spät abgetragene ,Schuld‘, die ihm und den anderen Schauspielerinnen und Schauspielern Ende April unter dem Hashtag #allemalneschichtmachen aufgebürdet worden war. [10] In großer Aufmachung und unter einem Foto, das ihn in „sehr spezieller Schutzausrüstung“ zeigt (Taucherbrille, FFP2-Maske, grüner Haarschutz), schreibt Liefers hier, dass er in seiner Frühschicht sieben Patienten mit „Covid-Pneumonie“ gesehen habe. „Alle jung, von 28 bis 48 Jahre alt. Alle ungeimpft. Auch die beiden hochschwangeren Frauen, deren Kinder per Not-OP geholt wurden und leben, während die Mütter es nicht geschafft haben, wie ich inzwischen weiß.“ Liefers sagt, dass seine Impfung „topp funktioniert“ und er sich vorher umfassend informiert habe. Einen „Impfaufruf“ lehnt er trotzdem ab. „Ich gebe keine medizinischen Ratschläge, ich erzähle hier nur meine Geschichte. Die Entscheidung liegt bei jedem selbst. So will es unsere Regierung, die sich gegen eine Impfpflicht ausgesprochen hat. Wo keine Impfpflicht besteht, darf sie auch nicht von Dritten durch die Hintertür erzwungen werden. Erklärt sich eigentlich von selbst.“ [11]

Aus Sicht der Regierenden kann es gar kein besseres Testimonial geben. Einer der Stars von #allesdichtmachen sagt hier das, was das Bundespresse- und Informationsamt gar nicht besser formulieren könnte. Im gleichen Text berichtet Jan Josef Liefers aber auch, wie es ihm nach der Kunstaktion ergangen ist: „Die vielleicht erstaunlichste Erfahrung nach dem empörten Shitstorm auf #allesdichtmachen war eine bis heute anhaltende Welle der Ermutigung, des Zuspruchs und Verständnisses.“ [12] Und gut eine Woche später erscheinen auf der Webseite der Kampagne #allesaufdentisch zwei Videos, in denen der Schauspieler den Medien- und Journalismusforscher Stephan Russ-Mohl befragt und damit das aufgreift, was er ein halbes Jahr vorher selbst als ,Störung‘ in die Systeme Politik und Medien einspeisen wollte. [13]

Das Beispiel zeigt auch: Die Köpfe hinter den beiden Aktionen aus dem Kultursystem haben aus #allesdichtmachen ,gelernt‘ und Form, Inhalte, Beteiligte sowie die eigene Kommunikation an die Logiken der Teilsysteme angepasst, die sie im produktiven Sinn des Wortes ,stören‘ wollen. Statt Satire, punktueller Aufmerksamkeit und aufgeregten Rückzugs- und Verteidigungsgefechten bietet #allesaufdentisch Seriosität und eine Medienstrategie, die erkennbar auf Langfristigkeit, breite Akzeptanz und Überwindung der Spaltung zielt. Insofern lässt sich dieses Buch auch als Erfahrungsbericht lesen: Wie reagiert eine Gesellschaft, die sich im Ausnahmezustand wähnt, auf eine ,Störung‘ aus der Kunst und was bedeutet das umgekehrt für die Wahrnehmung und das Selbstverständnis von Künstlerinnen und Künstlern? Der wissenschaftliche und analytische Blick auf diese Fragen wiederum soll einerseits weitere Forschung anregen und andererseits im besten Fall selbst ein Teil der Störversuche werden, die mit der Aktion #allesdichtmachen verbunden sind.

Der Youtube-Kanal von #allesdichmachen Nadine Dubois in ihrem Video
Repro: hintergrund.de, Mehr Infos

Videoanalyse

Nadine Dubois: Im Elfenbeinturm der Privilegierten

Von Daria Gordeeva

Setting: In einer hellen Wohnung, am Fenster.

„Hallo. Ich bin Nadine Dubois, ich bin Schauspielerin. Und ich schütze mich und andere, indem ich zu Hause bleibe. Das kann ich mir zum Glück leisten. Es gibt ja auch für alles Lieferdienste. Die kommen dann hierher und bringen mir Sachen, damit ich nicht raus muss. Und es gibt zum Glück die Müllabfuhr. Und Wasser. Und Strom. So viele Menschen da draußen krempeln die Ärmel hoch und packen mit an, damit ich hier sitzen und andere schützen kann. Das finde ich gut. Nicht gut finde ich, wenn diese Menschen dann am Wochenende rausgehen aus ihren kleinen, dunklen Wohnungen und sich in den Park setzen. Dann gehe ich auf meinen Balkon, mach’ davon Fotos und schreibe auf Twitter, dass sie schrecklich egoistisch sind. Und dann gehe ich auf meine Dachterrasse, dass mir die Sonne ins Gesicht scheint, und fühle mich gut. Weil ich mich und andere schütze. Bleiben Sie gesund und machen Sie es genauso.“

Nadine Dubois hält allen Corona-Gutmenschen den Spiegel vor, die sich ihrer privilegierten Stellung nicht bewusst sind und die „Abweichler“ aus ihrer Wohlfühlblase anprangern. Doppelmoral, Blockwartmentalität und die Kluft zwischen Top- und Geringverdienern, die sich nicht erst mit dem Corona-Desaster auftat, aber jetzt breiter und sichtbarer wurde: Das sind die Themen dieses Videos. Gekleidet in eine weiße, ärmellose Bluse, steht Nadine Dubois an einem weiß gestrichenen Fenster. Der mit Licht gefüllte Raum ist strahlend-steril, im Hintergrund spielt ruhige Klaviermusik. Eine weiße Gardine schirmt Dubois vor den „vielen Menschen da draußen“ ab – eine starke Metapher für die Bessergestellten, die in ihrem Elfenbeinturm die Bedürfnisse und Wünsche der sozial Schwächeren nicht erkennen (wollen). Dubois ist etwas rechts von der Bildmitte – und somit filmtechnisch perfekt im goldenen Schnitt – positioniert. Die statische Nahaufnahme auf Augenhöhe schafft Nähe und Sympathie. Optik und Akustik machen aus Dubois etwas Heiliges, Engelsgleiches, moralisch Unantastbares. Mit feiner Ironie inszeniert sie sich als spießige „Moralapostelin“, die glaubt, sich selbst und andere durch ihr (vermeintlich solidarisches) Zuhausebleiben zu schützen, und denjenigen Egoismus vorwirft, die dies nicht tun, zumindest in ihrer Freizeit. So rechnet Nadine Dubois mit der Zweiklassengesellschaft ab und entlarvt die Scheinheiligkeit und den Hochmut der Top-Verdiener.

Das Video greift mehrere Aspekte sozialer Ungleichheit auf. Zum einen geht es um die Arbeitssituation: Während die einen ihren Bürostuhl gegen eine gemütliche Homeoffice-Couch eingetauscht haben und sich nun mit gutem Weltretter-Gewissen beliefern lassen, schuften die anderen in „systemrelevanten“, oft schlechter angesehenen und bezahlten Berufen. [14] Noch deutlicher wird das Gefälle bei einem Blick auf die Wohnverhältnisse: Während die einen auf ihrem Balkon oder gar auf einer Dachterrasse die Sonne genießen können, ist für die anderen ein Parkbesuch am Wochenende die einzige Möglichkeit, der Enge und Dunkelheit ihrer Kämmerchen zu entkommen. Die Hauptpointe ergibt sich allerdings aus einer Schere, die weit über die Arbeits- und Wohnverhältnisse hinausgeht – aus der moralischen Überheblichkeit der sozial und finanziell Bessergestellten.

Das Messen mit zweierlei Maß schlägt sich im Aufbau des Videos nieder: Im ersten Teil zeigt Dubois noch ihre Wertschätzung gegenüber den „Menschen da draußen“, die ihre Ärmel für sie und ihren Komfort hochkrempeln (eine Anspielung auf die 25-Millionen-Euro-Plakatkampagne, die die Impfbereitschaft in Deutschland steigern sollte) und das Funktionieren des „Systems“ in der Krise überhaupt erst ermöglichen. Im zweiten Teil echauffiert sie sich via Twitter darüber, dass diese „Menschen da draußen“ am Wochenende tatsächlich rausgehen. Während ihre Leistung für die Gesellschaft (und das Wohl der Bessergestellten) tendenziell unsichtbar bleibt (oder gar als selbstverständlich wahrgenommen wird), werden Fehltritte öffentlich angeprangert. Diese Doppelstandards erscheinen als Teil der kapitalistischen Marktlogik, die die Menschen auf ihre Wirtschaftsrolle reduziert (oder gar auf ihre „Funktion“: Müllabfuhr, Lieferdienst, Wasser- und Energieversorgung). Ihr Statement beendet Dubois mit einem zur Floskel gewordenen, geheuchelten „Bleiben Sie gesund“ und einer Moralpredigt: „Machen Sie es genauso.“ In diesem letzten Satz stecken eine unterschwellige Aufforderung und vielleicht sogar ein Befehl, der den Maßstab setzt für „moralisch richtiges“ Handeln.

Nadine Dubois, geboren 1983 in Mannheim, studierte Philosophie an der Freien Universität Berlin. Ihre Schauspielkarriere begann sie mit 23 Jahren an der Volksbühne Berlin. Es folgten Rollen an weiteren Berliner Theatern sowie am Pariser Théâtre de Gennevilliers. Außerdem war Dubois in über 30 Filmen zu sehen. Für ihre erste Hauptrolle in Aron Craemers Mandy – Das Sozialdrama (2017) erhielt sie beim Festival achtung berlin eine lobende Erwähnung in der Kategorie „Beste Schauspielerin“. 2019 und 2021 spielte Dubois in zwei Tatort-Episoden mit.

Nadine Dubois engagiert sich auch sozial. 2019 war sie Pressesprecherin des Berliner Vereins Restlos glücklich, der sich für klimafreundliche Ernährung, nachhaltigen Konsum und mehr Wertschätzung für Lebensmittel einsetzt. Im Frühjahr 2020 bot Dubois mit der Resilienz-Trainerin Kathrin Breitbach eine kostenlose „Quarantäne-Mediation“ an, um Familie, Paare, Wohngemeinschaften und Mitarbeiter in systemrelevanten Berufen bei Konflikten und Problemen zu unterstützen. Für ihre Teilnahme an #allesdichtmachen bekam Dubois auf ihrem Instagram-Account neben viel Lob teils heftige Kommentare. Im Mai 2021 zog sie ihr Video zurück. [15]

Endnoten

[1] Deutschlands bekannteste Schauspieler kritisieren die Corona-Politik. In: Bild-Zeitung vom 22.04.2021.
[2] Doris Priesching: Manuel Rubey über #AllesDichtmachen: „Ein kafkaesker Albtraum.“ Interview mit Manuel Rubey. In: Der Standard vom 30.04.2021.
[3] Vgl. die Videoanalyse Manuel Rubey: Nie wieder Kunst von Michael Meyen im Buch #allesdichtmachen, aus dem dieser Text stammt.
[4] Clemens G. Arvay: Wir können es besser. Wie Umweltzerstörung die Corona-Pandemie auslöste und warum ökologische Medizin unsere Rettung ist. Köln: Quadriga 2020, S. 55f.
[5] Vgl. Michael Meyen: Die Medien-Epidemie – Journalismus, Corona und die neue Realität. In: Hannes Hofbauer und Stefan Kraft (Hrsg.): Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand. Wien: Promedia 2021, S. 99–115.
[6] Vgl. Paul Schreyer: Im Dialog mit der ARD. In: Multipolar vom 26.11.2020; die Petition mit etlichen tausend Kommentaren findet sich auf der Seite Open Petition unter dem Titel „ARD-Sondersendung – Wie gefährlich ist Corona?“
[7] Vgl. Michael Meyen: Die Propaganda-Matrix. Der Kampf für freie Medien entscheidet über unsere Zukunft. München: Rubikon 2021.
[8] Vgl. den Beitrag Coronalogie der Ereignisse von Dennis Kaltwasserim Buch #allesdichtmachen, aus dem dieser Text stammt.
[…]
[10] Vgl. den Beitrag Delegitimierung im Chor von Daria Gordeeva und Michael Meyen im Buch #allesdichtmachen, aus dem dieser Text stammt.
[11] Jan Josef Liefers: „Keiner wäre hier mit Impfung.“ In: Bild-Zeitung vom 07.10.2021.
[12] Liefers, „Keiner wäre hier mit Impfung.“
[13] allesaufdentisch.tv.
[14] Vgl. Philipp Tolios: Systemrelevante Berufe. Sozialstrukturelle Lage und Maßnahmen
zu ihrer Aufwertung. Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung 2021.
[15] Mittlerweile ist das Video wieder sichtbar: https://www.youtube.com/watch?v=9_8qOybNDoU

Die Autoren

Dr. Carsten Gansel: Professor für Neuere deutsche Literatur und Germanistische Literatur- und Mediendidaktik am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen

Daria Gordeeva: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München

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Dr. Michael Meyen: Professor für Allgemeine und systematische Kommunikationswissenschaft am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München

 

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