Innenpolitik

Tarifstreit unter medialem und politischem Trommelfeuer

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Der GDL wurde in zweiter Instanz die Rechtmäßigkeit ihres Streiks gerichtlich attestiert. Gleichzeitig wird die Gewerkschaft seit Tagen durch eine mediale Hasskampagne verunglimpft, die sämtliche Regeln journalistischer Ethik verletzt –

Von RAINER BALCEROVIAK, 7. November 2014 –

Für viele Bahnreisende ist es sicherlich eine gute Nachricht. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat am Freitagnachmittag überraschend angekündigt, ihren ursprünglich bis Montag früh angesetzten Streik bereits am Sonnabend um 18 Uhr zu beenden. Kurz zuvor hatte das Hessische Landesarbeitsgericht in Frankfurt am Main eine Klage der Deutschen Bahn gegen den Streik in zweiter Instanz zurückgewiesen und die Arbeitsniederlegung als rechtskonform und verhältnismäßig bezeichnet.

“Wann wird die Nummer von Dr. Grube auf die Titelseite gedruckt?” – Ca. 1.500  Gewerkschaftsmitglieder der GDL kamen am 7. November zu einer Protestkundgebung am Potsdamer Platz in Berlin. Neben Zuspruch für ihren Vorsitzenden “Claus halte durch” gab es auch Kritk an der Stimmungsmache der Presse. Dort war die Telefonnummer des Gewerkschaftschefs Weselsky veröffentlicht worden mit der Aufforderung, ihm “mal kräftig die Meinung zu geigen”. Foto: Jörn Boewe

Der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky bezeichnete die Streikverkürzung als „Geste der Versöhnung“ und auch Bahn-
Personalvorstand Ulrich Weber sprach von einem „guten Zeichen für unsere Kunden und unsere Mitarbeiter“. Allerdings ist nicht erkennbar, dass die Lösung des Tarifkonflikts bei der Bahn damit in greifbare Nähe gerückt ist. Ganz im Gegenteil: Sowohl die GDL als auch die Bahn beharren auf ihren Ausgangspositionen und auch die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) machte am Freitag deutlich, dass sie nicht bereit ist, Abstriche an ihrer Tarifzuständigkeit für alle Bahnmitarbeiter – außer den Lokführern – zu akzeptieren.

Der Tarifkonflikt bei der Bahn hat – ungewöhnlich für deutsche Verhältnisse – eine ausgesprochen politische und sogar verfassungsrechtliche Relevanz. Denn die GDL kämpft dafür, für ihre Mitglieder in allen Sparten des Fahrpersonals eigenständige Tarifverträge abzuschließen. Sie beruft sich dabei auf den Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes. Dort heißt es: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig“ Maßnahmen (…) dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.“

Zwar hatte sich in Deutschland seit den 1950er Jahren das Prinzip der so genannten Tarifeinheit etabliert, welches konkurrierende Tarifverträge in einzelnen Betrieben oder Berufsgruppen ausschließen sollte. Doch das Bundesarbeitsgericht stellte im Juni 2010 unmissverständlich klar, dass eine erzwungene Tarifeinheit die verfassungsmäßigen Rechte kleinerer Gewerkschaften unverhältnismäßig einschränkt. Dennoch verweigert die Bahn Verhandlungen mit der GDL über eigene Tarifverträge und wird dabei von der konkurrierenden, dem DGB angehörenden Gewerkschaft EVG, unterstützt. Rückenwind kommt auch von der Bundesregierung, die noch in diesem Jahr im Kabinett einen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vorlegen will, um Arbeitskämpfe von Sparten- und Berufsgewerkschaften künftig auszuschließen.  Allerdings ist es nach Ansicht der meisten Arbeits- und Verfassungsrechtler äußerst fraglich, ob dieses Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird. Und der GDL-Vorsitzende Weselsky warf zuletzt am Mittwoch in Berlin die Frage auf, warum man die Gewerkschaften zur Tarifeinheit zwingen wolle, die Unternehmerverbände aber nicht. Denn die hätten mit Tarifflucht, Leiharbeit und Werkverträgen schließlich dafür gesorgt, dass Flächentarifverträge kaum noch Bedeutung haben.

Der GDL wird gemeinhin vorgeworfen, ihr gehe es um „mehr Macht“ bei der Bahn und um eine „Spaltung der Belegschaft“. Richtig ist, dass die traditionsreiche, bereits 1867 gegründete Lokführergewerkschaft seit einigen Jahren versucht, auch andere Berufsgruppen des Fahrpersonals zu organisieren und zu tarifieren. Wohl gemerkt: Fahrpersonal und nicht alle Konzernsparten. Dabei geht es um 17.000 Mitarbeiter: Zugbegleiter, Bordgastronomen, Lokrangierführer und Disponenten.   Doch das Streben der GDL nach tariflicher Autonomie hat eine in der aktuellen aufgeheizten Debatte in der Regel verschwiegene Vorgeschichte. Ohnehin ist die GDL erst seit Mitte der 1990er Jahre tariffähig, nachdem die Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Denn zuvor waren die westdeutschen Lokführer Beamte ohne Streikrecht. Zunächst agierte die GDL in einer Tarifgemeinschaft mit den EVG-Vorläufern GdED (später Transnet) und der kleinen Beamtengewerkschaft GDBA.  Bei der Bahn bzw. bei ihrem Besitzer, dem Bund, reiften ab Ende der 1990er Jahre allmählich Pläne, das staatseigene Unternehmen an die Börse zu bringen. Die Transnet-Führung mit Norbert Hansen an der Spitze unterstützte dieses Vorhaben vehement – mit Folgen für die Tarifpolitik. Die Lohnabschlüsse erfolgten in den kommenden Jahren stets unter der Prämisse, den geplanten Börsengang nicht zu gefährden. 2002 platzte der GDL erstmals der Kragen; sie verweigerte die Unterschrift unter einen Ergänzungstarifvertrag für die Regionalverkehrssparte, den Transnet mit der Bahn vereinbart hatte und der beträchtliche Verschlechterungen für Lokführer und Zugbegleiter beinhaltete. Wenig später kündigte die GDL die Tarifgemeinschaft auf, was allerdings erst einige Jahre später wirksam wurde. 2005 stellte die Gewerkschaft erstmals die Forderung nach einem eigenständigen Fahrpersonaltarifvertrag auf – was  die Bahn AG brüsk ablehnte. 2007 untermauerte die GDL ihre Forderung mit einer Urabstimmung und konnte sich nach mehreren Streiks und einem Schlichtungsverfahren teilweise durchsetzen. Sie setzte nicht nur eine Lohnerhöhung um elf Prozent, sondern auch einen eigenständigen Lokführertarifvertrag durch, musste ihre Forderung nach Vertretung des restlichen Fahrpersonals aber fallen lassen. In einem Grundlagenvertrag erkannte sie die Zuständigkeit der EVG für diese Berufsgruppen an und erhielt im Gegenzug die alleinige Tarifführerschaft für die Lokführer. Anschließend begann die GDL, auch bei den privaten Konkurrenten der Bahn die Anbindung an einen Flächentarifvertrag durchzusetzen, der die allmähliche Angleichung an das Niveau bei der Bahn vorsieht. Das ist ihr in jahrelangem zähen Ringen auch weitgehend gelungen – in vielen Fällen auch für Zugbegleiter.

Der Grundlagenvertrag über die Tarifzuständigkeit bei der Bahn AG lief im Mai 2014 aus. Daraufhin erneuerte die GDL ihre bereits 2007 formulierte Forderung nach einem Fahrpersonaltarifvertrag. Sie verlangt dabei – anders als damals – nicht die alleinige Zuständigkeit, sondern lediglich für ihre Mitglieder. Diese Möglichkeit ergibt sich durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010, das Tarifpluralität ausdrücklich ermöglicht. Auch beim Bahn-Konzern ist unterschiedliche Bezahlung innerhalb von Berufsgruppen Gang und Gebe, z.B. bei den Busfahrern der diversen Tochtergesellschaften, die teilweise dem Nahverkehrstarifvertrag unterliegen, teilweise aber auch diversen Haustarifen.

Doch neben dieser grundsätzlichen tarifpolitischen Dimension weist der aktuelle Konflikt bei der Bahn noch eine weitere Besonderheit auf. Wohl noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik sind  eine Gewerkschaft und vor allem ihr Vorsitzender in den Medien derartig dämonisiert worden. Claus Weselsky wurde unter anderem als „Psychopath“, „Profilneurotiker“ und „Größen-Bahnsinniger“ tituliert, der „ein ganzes Land in Geiselhaft“ nehme. An die Spitze dieser Kampagne setzten sich vor allem Bild und Focus. Sie veröffentlichten seine Bürotelefonnummer, verbunden mit der Aufforderung „ihm mal kräftig die Meinung zu geigen“. Der Focus druckte gar ein Foto vom Eingangsbereich zu seiner Wohnung und zitierte seine geschiedene Frau mit den Worten, dass sich ihr Ex-Mann schon früher als „Diktator“ aufgeführt habe. „Qualitätsmedien“ wie die Welt veröffentlichten unkommentiert Tweets aus sozialen Netzwerken wie z.B. „Man möchte den GDL-Bonzen teeren, federn und aus dem Land jagen“. Im Netz fühlte sich der Mob entsprechend animiert. In Facebook-Gruppen wie „Gegen den Streik der GDL“ wurde offen zur Gewalt gegen Weselsky und andere Gewerkschafter aufgerufen. Gefordert wird in unzähligen Einträgen ein Verbot der Gewerkschaft, verbreitet ist auch die Gleichsetzung  des GDL-Streiks mit dem Terror des IS und der Unterdrückung der Bevölkerung in der DDR durch die Stasi. Auch die Politik zeigte klare Kante. CDU, CSU und SPD werteten den Streik als Beleg für die Notwendigkeit der Einschränkung des Streikrechts durch ein Tarifeinheitsgesetz. Ähnlich äußerten sich die Vorsitzenden des DGB und der IG Metall, Reiner Hoffmann und Detlef Wetzel. Grüne und Linke lehnen dies zwar ab, bezeichneten den Streik der GDL allerdings als „schädlich“  bzw. „falsch“, wobei eine entsprechende Äußerung des LINKEN-Vorsitzenden Bernd Riexinger innerparteilich auf scharfe Kritik stieß. Zu den wenigen Lichtblicken in dieser mitunter hassgeschwängerten Stimmung im medialen und politischen Mainstream gehören der Beitrag von  Max Uthoff in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ (1) und der Kommentar von Jakob Augstein auf spiegelonline (2).

Das Urteil des Frankfurter Gerichts zur Rechtmäßigkeit des Streiks und die vorfristige Beendigung des Ausstandes durch die GDL-Führung könnten kurzfristig für etwas Entspannung sorgen. Die GDL ist jedoch nach wie vor entschlossen, für ihre Mitglieder beim Fahrpersonal Tarifverträge durchzusetzen, mit denen vor allem die unerträgliche Belastung durch menschenunwürdige Schichtpläne und bislang faktisch unbegrenzte Überstunden eingedämmt werden soll. Sie pocht ferner auf ihre Grundrechte als Gewerkschaft. Die Bahn weigert sich bislang beharrlich, ihr das zuzugestehen.  Hinter den Kulissen laufen bereits wieder die Drähte heiß, ist zu vernehmen.  Einiges spricht dafür, dass dieser exemplarische Kampf um gewerkschaftliche Grundrechte und um deutliche Verbesserungen für das Fahrpersonal der Deutschen Bahn noch lange nicht ausgestanden ist – weitere Streiks und unerträgliche Medienhetze inbegriffen.

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Anmerkungen:
(1)    http://www.youtube.com/watch?v=uddyvXiXjTk
(2)    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bahn-streik-der-lokfuehrer-arbeitskampf-ist-ein-geschenk-a-1001337.html

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